Jüdi­sche Kultur in Krakau – ein Prozess der Inte­gra­tion

Datum
16. Juli 2018
Autor*in
Amira Muhammad
Thema
#poTANDEM18
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Foto: Nils Brunschede
Das Viertel Kazi­mierz ist in Krakau als jüdi­sches Viertel bekannt. Doch wie viel ist bekannt über die Kultur und der Lebens­weise der jüdi­schen Bevöl­ke­rung früher und heute in diesem Viertel?

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Beim jüdischen Kulturfestival in Krakau ging es bunt zu - Polnische Bürger und Menschen jüdischen Glaubens feiern Seite an Seite.    Foto: Nils Brunschede

Vor dem aktu­ellen Kontext stellen sich folgende Fragen:

  • Wie ist die Inte­gra­tion der Juden hier in der Stadt?
  • Wie hat sich ihre Kultur seit dem 2. Welt­krieg verän­dert?
  • Haben viele Polen Kontakt zu Juden?
  • Teilen beide Völker auch gemeinsam ihre Feier­tage?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, sprach ich in Kazi­mierz im Gebäude Judaica Centrum Kultury Zydowskiej“ mit Joachim Russek, dem Leiter des Zentrums…

Vor dem zweiten Welt­krieg lebten in Polen etwa 3,3 Millionen Menschen jüdi­schen Glau­bens. Während des Krieges wurden nicht nur 3 Millionen polni­sche Juden in den Konzen­tra­ti­ons­la­gern umge­bracht, auch die gesamte jüdi­sche Kultur wurde dabei fast voll­ständig ausge­löscht.

Nach dem Krieg verließen noch immer viele Jüdinnen und Juden Polen. Ihre Wege führten nach Übersee oder Israel. Grund dafür waren die Repres­sa­lien des dama­ligen kommu­nis­ti­schen Regimes. Aus diesen Gründen leben heute nur noch etwa 6000 Juden in Polen. Aller­dings beläuft sich die Zahl nur auf alle regis­trierten Personen. Die Dunkel­ziffer bewege sich hingegen deut­lich höher, so Joachim Russek. Nach dem zweiten Welt­krieg ist das Judentum also noch immer ein Bestand­teil des Lebens in Polen. Dabei erfuhr die Reli­gion ab 1990 eine Wieder­be­le­bung, nachdem zuvor nur Split­ter­gruppen exis­tierten.

Das jüdi­sche Leben findet in Polen bereits seit fast 1000 Jahren statt, wodurch Menschen jüdi­schen Glau­bens insge­samt gut inner­halb der Gesell­schaft inte­griert sind. Mit den Gepflo­gen­heiten, der Sprache und dem kultu­rellen Leben sind alle Jüdinnen und Juden vertraut. Außerdem gingen nach dem zweiten Welt­krieg jüdi­sche Kinder nicht mehr auf rein jüdi­sche Schulen, sondern haben gemeinsam mit polni­schen Schü­le­rinnen und Schü­lern eines anderen Glau­bens die Schul­bank geteilt. Sie haben zusammen die gleiche Ausbil­dung erhalten, Erwach­senen stehen die glei­chen beruf­li­chen Perspek­tiven offen, wie ihren polni­schen Arbeits­kol­legen.

Viele junge Menschen entde­cken heut­zu­tage ihre jüdi­schen Wurzeln. Auch die Feste werden oft gemeinsam gefeiert. Dies ergab sich aus der Tatsache, dass Menschen oftmals gemeinsam Feste feiern. So gibt es Erzäh­lungen von Personen, die ihre Arbeits­kol­le­ginnen und ‑Kollegen fragten, ob sie nicht gemeinsam das Chanukka Fest feiern wollen. Auf der anderen Seite wird dann zu Weih­nachten einge­laden und so wachsen Kultur und Reli­gion etwas näher zusammen. Vorur­teile können so abge­baut werden und in Personen anderen Glau­bens sieht man nicht mehr nur das Fremde, sondern Freund­schaft und Verbun­den­heit.

Die Geschichte Polens spielt bei dem Verhältnis zwischen dem Judentum und dem Land eine entschei­dende Rolle. Seit der Exis­tenz des ersten Staates war Polen ein Viel­völ­ker­staat – im Gegen­satz zu Deutsch­land. Bereits unter dem ersten polni­schen König Bolesław I Chrobry wurde die heutige West­ukraine an Polen ange­glie­dert, unter den Pias­ten­fürsten und ‑Königen wurden viele deut­sche Hand­werker in Schle­sien ange­sie­delt, unter Władysław II Jagiełło kam es zur polnisch-litaui­schen Union, unter Jan III Sobieski wurden die Tataren in Polen ansässig. So könnte man noch viele andere polni­sche Könige und Wahl­kö­nige aufführen, wie z.B. Stefan Batory unter dessen Herr­schaft Ungarn und Teile Rumä­niens an Polen ange­glie­dert wurden.

Dadurch hat Polen eine sehr reiche, bunte Kultur und in den letzten tausend Jahren polni­scher Geschichte gab es nie Reli­gi­ons­kriege, wie in Deutsch­land, Frank­reich und vielen anderen Ländern Europas. Geprägt durch dieses inter­kul­tu­relle Staats­ge­füge und die enorme Reli­gi­ons­frei­heit kam es auch zu der größten jüdi­schen Diaspora in Europa auf polni­schen Boden. 

Viele Juden, die im 13. und 14. Jahr­hun­dert in Mittel- und West­eu­ropa verfolgt wurden, fanden Zuflucht in Polen, aber auch schon nach den Kreuz­zügen im 11. und 12. Jahr­hun­dert. Die Juden erhielten in Polen viele Privi­le­gien durch die polni­schen Fürsten und Könige. So hatten Juden in Polen eine eigene Gerichts­bar­keit, Handels­frei­heit, es stand ihnen der Schutz von Leben, Eigentum, Synagogen, Fried­höfen zu, sie hatten eigene hebräi­sche Drucke­reien in Krakau und Lublin. 

Im Gegenzug kämpften sie immer an der Seite Polens, betei­ligten sich an den Aufständen zur Wieder­erlan­gung der Frei­heit Polens. Auch gab es ein jüdi­sches Reiter­re­gi­ment im ersten Welt­krieg als viele jüdi­sche Frei­wil­lige in den von Marschall Józef Piłsudski geführten Legionen für die Frei­heit Polens kämpften. 

Doch Pogrome wie die während des Kosa­ken­auf­standes unter Bogdan Chmiel­nicki und während der Regie­rung von Roman Dmowski nach dem ersten Welt­krieg markierten auch schwie­rige Zeiten in der Geschichte der polni­schen Juden.

Nach dem Besuch im jüdi­schen Viertel in Krakau glaube ich, dass das Wort Inte­gra­tion nicht ein leeres Wort bleiben muss. Inte­gra­tion kann gelebt werden, doch ihr Weg verlangt, dass man das Andere als das annimmt was es ist. Das kann nur durch gegen­sei­tiges kennen­lernen und verstehen erfolgen. Erst dann ist das Fremde nicht mehr fremd. Gründe für Krieg, Zerstö­rung und Leid sollte es nicht mehr geben. Deshalb ist Inte­gra­tion für uns alle wichtig! Und wir alle brau­chen Frieden zum Leben. Krakau ist heute eine wunder­schöne Stadt, doch auch hier hat es über 70 Jahre gedauert bis die Wunden, die der zweite Welt­krieg hinter­ließ, sich schließen konnten und die Narben abge­heilt sind.

 


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