Das andere 68 – Demons­tra­tionen und Anti­se­mi­tismus in Polen

Datum
13. Juli 2018
Autor*in
Mirco Malik
Thema
#poTANDEM18
Jüdisches Kulturfestival

Jüdisches Kulturfestival

Unter dem Motto 'Zion' lud das Jüdisches Kulturfestival nach Krakau ein.

Das Jahr 1968 wurde auf dem Jüdi­schen Kultur­fes­tival in Krakau mit verschie­denen Formen beleuchtet, um dessen Aufar­bei­tung gerecht zu werden, da es für die jüdi­sche Gemein­schaft Polens ein schwarzes Kapitel der Geschichte darstellt. Ein Blick ins Nach­bar­land.

In Deutsch­land ist 1968 untrennbar mit der gleich­na­migen Bewe­gung verbunden. In Krakau hat aber auch dasselbe Jahr eine Bedeu­tung, stach es doch in der Programm­be­schrei­bung des Jüdi­schen Kultur Festi­vals oft ins Auge. Zudem schienen die Ereig­nisse dieses Jahres offen­kundig bekannt zu sein.

Dem Jahr 68 lief der Sechs­tage-Krieg Israels im Jahr zuvor voraus. Die arabi­schen Staaten wurden dabei durch die Sowjet­union unter­stützt. Aus der Sicht der dama­ligen UdSSR handelte es sich um impe­ria­lis­ti­sche Bestre­bungen“. Auf der anderen Seite hegten die Kirche als auch die Mehr­heit der polni­schen Bevöl­ke­rung eine Sympa­thie zu Israel. Władysław Gomułka, Partei­chef der Vereinten Polni­schen Arbei­ter­partei, warnte vor einer fünften Kolonne inner­halb Polens und forderte all die Personen, die sich Israel mehr als Polen verbunden fühlten, auf, Polen zu verlassen. Dies star­tete eine anti-zionis­ti­sche Kampagne, bei der es nicht bleiben sollte.

Die natio­na­lis­tisch-popu­lis­ti­sche Partei instru­men­ta­li­sierten diese Kampagne und atta­ckierte die Zionisten bei jeder Gele­gen­heit, und erzeugte somit die anti­se­mi­ti­sche Stim­mung im Lande. Die ersten Juden und Jüdinnen wurden aus Militär, Partei und der akade­mi­schen Welt entlassen.

Kerze

Licht in der Dunkelheit. Foto: Jonas Gebauer.

Toten­feier der Meinungs­frei­heit

Anfang 68 wurde das unter Studie­renden beliebte Thea­ter­stück Dziady, die Toten­feier, von Adam Mickie­wicz aufge­führt. Es enthielt dabei anti­so­wje­ti­sche Elemente. Nach der kurz­fris­tigen Einstel­lung des Stücks führte dies zu Protesten der Studie­renden und Rufen nach Unab­hän­gig­keit ohne Zensur“ – solange, bis sie durch die Schlag­stöcke der Miliz aufge­löst wurden. Anschlie­ßend wurde eine Peti­tion der Studie­ren­den­schaft gegen das Verbot gestartet, die eben­falls durch den Kreis der Lite­raten unter­stützt wurde. Im März dehnte sich die Welle der Empö­rung aus und mani­fes­tierte sich in Protesten in mehreren Städten. Begleitet wurden diese stets durch Fest­nahmen.

Die west­deut­schen Studie­ren­den­be­we­gungen dieser Zeit zeich­neten sich durch Demo­kra­ti­sie­rung und Eman­zi­pa­tion, aber vor allem Entna­zi­fi­zie­rung, aus. In Polen hingegen gab es ein Verlangen nach Meinungs- und Pres­se­frei­heit, eben­falls wurden die Ideale des Sozia­lismus einge­for­dert. Die Massen­de­mons­tra­tionen bestanden über­wie­gend aus Schü­le­rinnen und Schü­lern oder jungen, arbei­tenden Menschen.

Zionisten nach Zion“

Diese komplexe poli­ti­sche Situa­tion führte zu einer anti-studen­ti­schen, anti-intel­lek­tu­ellen, anti-“zionistischen“ Stim­mung in Polen. Eine mediale Schmier­kam­pagne mündete in Demons­tra­tionen, bei denen die Massen skan­dierten: Studenten nehmt das Studium auf, Schrift­steller das Schreiben“ oder Zionisten nach Zion“.

Am 19. März betonte Gomułka die jüdi­sche Herkunft einiger Studie­renden, versuchte sich aber gleich­zeitig gegen den Vorwurf des Anti­se­mi­tismus abzu­grenzen. Gleich­zeitig befeu­erte er dennoch die anti-intel­lek­tu­elle Stim­mung des Landes mit weiteren Beschul­di­gungen gegen­über der Intel­li­gen­zija.

Im April äußerte sich Minis­ter­prä­si­dent Cyran­kie­wicz, dass eine Loya­lität gegen­über dem sozia­lis­ti­schen Polen und dem impe­ria­lis­ti­schen Israel gleich­zeitig nicht möglich sei und schluss­fol­gerte, dass niemand als Konse­quenz – in Form von Emigra­tion – daraus, auf irgend­welche Hinder­nisse stoßen würde“. Daher erstellte das Innen­mi­nis­te­rium eine Kartei aller polni­schen Bürger jüdi­scher Herkunft. Dies gipfelte für sie im Verlust der Anstel­lung im öffent­li­chen Dienst sowie in Schulen und Univer­si­täten. Ihnen wurden eben­falls Ausrei­se­do­ku­mente ausge­stellt, sodass sie das Land verlassen konnten.

Es ist nicht zu vergessen, dass es sich um Juden und Jüdinnen handelte, die entweder den Holo­caust über­lebt hatten oder Kinder von Holo­caust-Über­le­benden waren. Die Presse berich­tete über die Ereig­nisse derart hetze­risch, dass viele erneute Pogrome befürch­teten. Dies führte zu der Ausreise von etwa 13 000 Juden und Jüdinnen. Trotz der zionis­ti­schen Anschul­digen, reisten diese über­wie­gend nicht nach Israel. Dadurch schrumpfte die jüdi­sche Bevöl­ke­rung nach vorhe­rigen Ausrei­se­wellen auf ein neues Tief in der polni­schen Nach­kriegs­ge­schichte.

Ich wollte kein Jude sein“

Da die Aufar­bei­tung dieses histo­ri­schen Ereig­nisses erst seit den letzten zwanzig Jahren statt­findet, war es inter­es­sant zu sehen, mit welchen unter­schied­li­chen Mitteln es auf dem Festival behan­delt wurde. Hinter den schieren Zahlen treten oft die persön­li­chen Schick­sale zurück. Der ausge­strahlte Film Pere­co­wicze“ beleuch­tete die jüdi­sche Yitzhak Leyb Peretz Schule in Łódź. Die kind­liche Perspek­tive eröffnet einen ganz anderen, greif­baren, Blick auf diese Ereig­nisse, da sie in Zeiten des erstar­kenden Anti­se­mi­tismus für viele eine Zuflucht“ und Para­dies“ darstellte. Die porträ­tierten Schick­sale zeigen die vielen Facetten der Geschichte auf: manche berichten davon, keinen Anti­se­mi­tismus erlebt zu haben, wieder andere wurden mit Steinen beworfen – bis hin zu der Aussage: Ich wollte kein Jude sein, aber ich wusste nicht, was es war“.

In Folge der Emigra­tion musste diese Schule aufgrund eines Mangels an Schü­le­rinnen und Schü­lern schließen. Viele der Ehema­ligen berich­teten, sich gar nicht als Jude oder Jüdin iden­ti­fi­ziert zu haben, und dennoch wurden ihnen Reise­pässe ausge­stellt, in denen ihnen die polni­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit aberkannt wurde. Eben­falls werden oft die Nach­wir­kungen von Emigra­tion oft vergessen. Diese 68-er Gene­ra­tion“ musste zum Teil ihre Eltern in Polen zurück­lassen und konnte teil­weise zehn bis zwanzig Jahre nicht das Land besu­chen, sodass Einzelne nicht einmal in der Lage waren, am Begräbnis ihrer Eltern teil­zu­nehmen. Insbe­son­dere die Eltern­ge­nera­tion tat sich schwer im neuen Land Fuß zu fassen und konnte sich teils gar nicht an die neue Heimat gewöhnen. Eine Jüdin erin­nerte sich in dem Film – ihr Vater sei verliebt in Polen“ gestorben.

Blick nach vorne

Das Festival trug dieses Jahr den Namen Zion“, der Name eines Berges in Israel, an den Menschen jüdi­schen Glau­bens laut der Theo­logie hoffen zurück­zu­kehren. Auf der anderen Seite kehren viele der Juden und Jüdinnen, die im Jahre 1968 das Land verließen, regel­mäßig in ihr Heimat­land zurück. Die Ehema­ligen der Łódźer Schule erlebten trotz der Schre­cken eine enge und fami­liäre Verbun­den­heit unter­ein­ander und treffen sich alle zwei bis drei Jahre in Asch­kelon, Israel. Dies ist ein Sinn­bild für das ganze Festival der Jüdi­schen Kultur in Krakau: Sich der Vergan­gen­heit bewusst, aber in die Zukunft schauend.

Ander­seits lohnt der Blick zurück, denn das Jahr 68 steht auch dafür, wie vorder­grün­diger Anti­zio­nismus Anti­se­mi­tismus Tür und Tor öffnet und welche Konse­quenzen dies haben kann – erin­nert ganz an heute.


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