Schatten und Licht: Die Rolle der (Mit)Schuld

Datum
11. Juli 2018
Autor*in
Jasmin Richter
Thema
#poTANDEM18
poTANDEM18-36

poTANDEM18-36

Nachdem das polni­sche Holo­caust-Gesetz nicht nur die ganze Nation, sondern auch außer­halb des Landes pola­ri­siert hat, wurde es kürz­lich ein Stück weit durch das natio­nale Parla­ment entschärft. Ein Kommentar von Jasmin.

Es stimmt: Polens Rolle während des zweiten Welt­kriegs lässt sich nicht mit der Deutsch­lands verglei­chen. Eben­falls wahr ist, dass es sich bei den Konzen­tra­ti­ons­la­gern nicht um polni­sche Konzen­tra­ti­ons­lager handelte, sondern ledig­lich um deut­sche Konzen­tra­ti­ons­lager auf polni­schem Grund. Und die dritte Wahr­heit ist, dass der einzig rich­tige Weg für einen mehr­sei­tigen Diskurs sein kann, weiterhin über dieses Gesetz zu kommu­ni­zieren anstatt nicht mehr davon zu spre­chen.

poTANDEM18-34
Zweiter Welt­krieg: Polen und Deutsch­land – weiß und schwarz. Polen ist von Deutsch­land besetzt. Deut­sche Konzen­tra­ti­ons­lager werden auf polni­schem Grund errichtet. Viele Polen leiden unter Nazi-Deutsch­land. Viele Polen werden zu Helden, indem sie Juden helfen. 2018: Polen und Deutsch­land. Nicht mehr weiss und schwarz, aber grau. In Deutsch­land gibt es ein Gesetz, das das Leugnen des Holo­causts verbietet. Es ist ein Eingriff in die Meinungs­frei­heit, der in Deutsch­land akzep­tiert wird, um die Wahr­heit über deut­sche Verbre­chen nicht zu verschleiern. In Polen gibt es derweil ein Gesetz, welches die gesagten Wahr­heiten kontrol­lieren soll. Es ist dementspre­chend auch ein Eingriff in die Meinungs­äu­ße­rung. Kann man die beiden Gesetze also gleich­setzen? Nein. Dass auch Polen der jüdi­schen Bevöl­ke­rung Leid angetan haben, wird bis heute verschwiegen. Und das, obwohl Forscher, unter anderem Jan Gross, in den letzten Jahr­zehnten Polens Geschichte neu aufge­ar­beitet und genau das heraus­ge­ar­beitet haben. Jedoch sieht sich die polni­sche Regie­rung nach wie vor lieber ausschließ­lich als Opfer der Natio­nal­so­zia­listen. Eine weitere Chance für die polni­sche Regie­rung, um an ihrer Opfer­rolle fest­halten, bot sich 2012, als der ehema­lige US-Präsi­dent Barack Obama in einer Rede von polni­schen Konzen­tra­ti­ons­la­gern spricht. Es ist der Start­schuss für eine Diskus­sion, dessen Resultat im wahrsten Sinne des Wortes geschichts­ver­än­dernd ist. Eine Diskus­sion über Sprache, Inter­pre­ta­tion und Emotionen auf inter­na­tio­naler Ebene. Eine Diskus­sion an dessen Ende sogar Israel hinter Polen steht, für einen Geset­zes­ent­wurf der besagt, dass die Konzen­tra­ti­ons­lager auf polni­schem Grund keine polni­schen Konzen­tra­ti­ons­lager sind. Einige Zeit später ist das Gesetz dank einer neuen Regie­rung, nicht mehr das, was es einst sein sollte. Es wird nicht nur bestraft, wer von polni­schen Vernich­tungs­la­gern spricht, sondern auch, wer fakten­widrig der polni­schen Nation die Verant­wor­tung oder Mitver­ant­wor­tung für Verbre­chen zuschreibt, die von Deutsch­land begangen wurden. Der eigent­liche Sinn des Gesetzes, Polens Rolle in der Zeit der Beset­zung richtig zu stellen, ging verloren. Zurück blieb ein Gesetz, das freie Äuße­rungen über den zweiten Welt­krieg nicht nur kontrol­lierte, sondern einschränkte. Zurück blieb ein Gesetz, das freie Meinungs­äu­ße­rung straf­recht­lich verfolgte.
poTANDEM18-85
Zum Holo­caust sollte es niemals ein Gesetz geben, das die Aussagen oder Fakten­lage zu diesen Gräu­el­taten verän­dert oder kontrol­liert. Dieses Kapitel ist für viele Nationen ein dunkles Kapitel. Am dunkelsten für die Deut­schen, keine Frage. Aber auch die polni­sche Bevöl­ke­rung hat die jüdi­sche Bevöl­ke­rung verfolgt und ausge­lie­fert. Und das unter den Teppich zu kehren, ist mehr als falsch. Wenn man zu etwas stehen muss, dann zur Geschichte und zur eigenen Schuld. Nur dadurch können wir uns in der Zukunft weiter­ent­wi­ckeln. Nur dadurch, dass wir etwas laut ausspre­chen, können wir es verän­dern. So ein Gesetz ist eine Herab­wür­di­gung der Opfer des Holo­causts und dessen, was in ganz Europa passiert ist. Niemals sollten Teile der Geschichte verschwiegen werden. Ganz beson­ders nicht, um die eigene Schuld zu igno­rieren und sich selbst in einem posi­tiven Licht und ausschliess­lich in einer Opfer­rolle darzu­stellen. 27. Juni 2018: Polen mildert das Holo­caust Gesetz ab. Nachdem Kritik aus dem Ausland kam und die Bezie­hungen zwischen Polen und Israel sowie Polen und den USA gelitten haben, mildert die polni­sche Regie­rung das Gesetz nun ab. Es soll nicht mehr als Straftat verfolgt werden, wenn dem polni­schen Volk wahr­heits­widrig eine Schuld oder Mitschuld an den Verbre­chen der Natio­nal­so­zia­listen unter­stellt wird. Weiterhin soll aber die Möglich­keit erhalten bleiben, mit zivil­recht­li­chen Mitteln gegen Darstel­lungen auch in auslän­di­schen Medien vorzu­gehen. Hiermit reagiert Polen auf die breite Kritik und macht einen entschei­denden Schritt zurück in die Rich­tung des ersten Geset­zes­ent­wurfes. Ein Geset­zes­ent­wurf, der wichtig ist. Es waren deut­sche Vernich­tungs­lager. Deut­sche Vernich­tungs­lager auf polni­schem Grund und keine polni­schen. Dass dies auch in der Öffent­lich­keit so darge­stellt wird, ist wirk­lich wichtig. Genauso wichtig ist, dass die Verbre­chen an Juden, egal von welchem Land, laut ausge­spro­chen werden können. Dass Holo­caust Über­le­bende ihre Erfah­rungen mitteilen können, ohne eine recht­liche Straf­ver­fol­gung befürchten zu müssen. Die Abmil­de­rung des Gesetzes ist nun also ein Schritt in die rich­tige Rich­tung. Denn nur durch Geschichte kann gelernt werden. Nur durch die Geschichte, kann sich eine Nation auch weiter­ent­wi­ckeln. Es ist nun mal nicht schwarz oder weiß. Es ist grau. Tief­grau, aber es ist unsere Entschei­dung, ob wir in Zukunft in eine schwarze oder weiße Rich­tung gehen wollen. Das sollten nicht nur unsere Poli­tiker und Poli­ti­ke­rinnen, sondern jede Einzelne und jeder Einzelne von uns im Kopf behalten. Dass wir grau sind ist sogar gut. Die Schat­tie­rung ist entschei­dend.

Empfohlene Beiträge