Aufgeben ist keine Option

Datum
17. November 2022
Autor*in
Arne Seyffert
Themen
#Leben #YouMeCon22
Larena_Klöckner

Larena_Klöckner

Joscha F. Westerkamp

Larena Klöckner ist freie Jour­na­listin und hat Depres­sionen. Im Gespräch mit politikorange-Redak­teur Arne Seyffert erklärt sie, was getan werden muss, um mehr Aufmerk­sam­keit auf das Thema mentale Gesund­heit zu lenken.

Larena Klöckne

Foto: Larena Klöckner

Auf die Frage, wie es ihr geht, muss Larena Klöckner eine Weile über­legen. Sie möchte nicht unbe­dacht immer nur gut“ sagen, einfach, weil das auch nicht immer stimmt. Trotzdem sagt sie, dass sie sich im Moment gut fühlt.
Larena, 26 Jahre alt, ist freie Jour­na­listin, studiert und lebt in Berlin. Freude am Schreiben hatte sie schon sehr lange. Wie viele hatte sie keine Idee, was sie nach dem Abitur machen möchte. Es sollte aber etwas sein, das sinn­stif­tend ist”; der Gesell­schaft etwas bringt. Sie wusste damals, dass ihre Oma, die sie stark geprägt hat, hundert­pro­zentig hinter ihr steht, also hat sie sich mit 20 für das erste Prak­tikum bei einer Online-Lokal­re­dak­tion beworben. Heute schreibt sie leiden­schaft­lich gerne über Femi­nismus, queere Themen, Gesund­heit und Gesell­schaft. Seit kurzem widmet sie sich auch dem Sterben als Thema in ihren Texten, die beim Tages­spiegel, der taz und anderen Herausgeber*innen erscheinen. Fest­legen auf ein Gebiet? Möchte sie sich nicht.

Am Anfang sei ihr noch nicht so stark bewusst gewesen, dass hinter einem Artikel mehr Arbeit steckt, als man denkt, erzählt sie. Von anderen Kolleg*innen kommen manchmal Sätze wie: Das ist ja nur ein Artikel! Den schreibe ich an einem Nach­mittag.“ So leicht ist es nicht, beson­ders in der Anfangs­zeit. Vielen fällt es schwer, wirk­lich an einer Sache dran zu bleiben. Aber Larena ist dran geblieben. Trotzdem ist die Arbeit als Jour­na­listin nicht immer einfach für sie. Larena hat Depres­sionen und nimmt daher seit 9 Jahren psycho­lo­gi­sche Hilfe in Form einer Therapie in Anspruch . Umso stolzer ist sie deshalb auf einen Beitrag, in dem sie über ihre Depres­sionen schreibt. Sie ist eine der wenigen Journalist*innen, die offen darüber spricht. Depres­sionen? Als Journalist*in? Besser nicht, denn es wird erwartet, dass man ablie­fert, und zwar schnell, ohne Probleme . Doch wenn man eine depres­sive Phase hat, kann man weder liefern, noch präsent sein und sogar manchmal nicht zur Arbeit kommen.

Jour­na­lismus und Social Media

Social Media hat den Jour­na­lismus umge­wälzt und tut das noch immer. Larena beschreibt die Folgen für sie ganz eindring­lich. Immer soll man auf Twitter Präsenz zeigen und auf Insta­gram erreichbar sein. Und es gibt diesen immensen Vergleichs­druck. Warum hat der oder die schon wieder etwas geschrieben und ich gerade nicht?“, fragt sie sich dann. Ist es okay, wenn ich heute Abend mal eine Pause mache? Das Handy muss auch mal abge­schaltet werden, damit man regel­mäßig gute und krea­tive Arbeit leisten kann.”

Tatsäch­lich ist Larena kein Einzel­fall. Etwa zwei Drittel aller Journalist*innen sind schon vor Arbeits­an­tritt müde und 40% fühlen sich emotional ausge­laugt“. Einer Studie der Otto Brenner Stif­tung zufolge denken 60% der Befragten über einen Berufs­wechsel nach. Mit anderen Worten: Der Branche geht es nicht gut. Und Social Media stellt sie vor große Heraus­for­de­rungen, bringt aber auch Chancen mit sich. Larena meint dazu: Noch nie sei es einfa­cher gewesen, Journalist*innen oder Redak­tionen direkt anzu­schreiben, sie um etwas zu bitten oder einfach eine Frage zu stellen. Noch nie konnte jede*r so leicht sehen, wo er/​sie im Vergleich zu anderen steht. Ande­rer­seits ziehe das ein ewiges Verglei­chen nach sich. Und das wirke sich negativ auf das Selbst­wert­ge­fühl aus. Larena erzählt, es sei eine Über­win­dung für sie gewesen, den Artikel zu veröf­fent­li­chen. Beson­ders verun­si­cherte sie, nicht zu wissen, wie die Reak­tionen dazu ausfallen würden. Doch ihre Arbeitgeber*innen haben nach dem Bekenntnis zu ihren Depres­sionen Akzep­tanz und Verständnis gezeigt: Die Verant­wor­tung lag bei mir. Ich wurde nicht bevor­mundet.“ Sie konnte sich selbst eine Pause nehmen, wenn sie das brauchte.

Lang­fristig mehr Aufmerk­sam­keit?

Auf die Frage, wie mehr Aufmerk­sam­keit auf das Thema gelenkt werden kann, antwortet Larena erst nach kurzem Nach­denken. Das Thema muss offener thema­ti­siert werden, das kann auch in kleinen Gesprä­chen, durch kleine Impulse oder auch durch Gesten der Freund­lich­keit passieren.“ Außerdem darf mentale Gesund­heit nicht nur wie ein Trend­thema“ behan­delt werden, sondern muss dauer­haft präsent sein. Denn nicht nur die Zivil­ge­sell­schaft, auch die Führungs­kräfte müssen begreifen, dass die mentale Gesund­heit ihrer Mitar­bei­tenden sehr wichtig ist. Von erholten und gesunden Journalist*innen profi­tieren nicht nur die Vorge­setzten, sondern vor allem auch die Leser*innen.

Trotz all dem, was sie erlebt hat, hat Larena Klöckner nie ans Aufgeben gedacht: Dafür mag ich die Branche zu sehr.“ Da sei sie stur, genau wie ihre Oma, die früher ihre größte Bezugs­person gewesen sei. Larena will nicht aufgeben.
Die Reso­nanzen auf ihren Beitrag waren sehr positiv, daran habe sie auch gemerkt, wie wichtig es für sie war, dass sie den Artikel veröf­fent­licht hat. Es musste ausge­spro­chen werden.“ Dennoch sei es seltsam gewesen, das erste Mal auf den Artikel von Kolleg*innen ange­spro­chen zu werden, mit der Zeit wurde es aber besser.

Möglich­keiten zum Stress­abbau

Neben ihrer Tätig­keit als studen­ti­sche Mitar­bei­terin beim Tages­spiegel arbeitet Larena haupt­säch­lich als freie Jour­na­listin. Eine andere Möglich­keit, jour­na­lis­tisch tätig zu sein, ist die Fest­an­stel­lung bei einem Medi­en­haus oder einer Rund­funk­an­stalt. Mögli­cher­weise bietet diese auch mehr Stabi­lität, wodurch auch die Psyche weniger stark bean­sprucht werden würde. Larena sagt, beides habe Vor- und Nach­teile. Sie genieße aber gerade eher die Vorteile des freien Jour­na­lismus.

Um den mentalen Stress im jour­na­lis­ti­schen Alltag wirk­lich zu verrin­gern, müssen die Fragen und Probleme der Redakteur*innen, insbe­son­dere die der jungen Redakteur*innen, ernst genommen werden. Genauso könnten ältere Mitar­bei­tende den Jüngeren helfen, zum Beispiel, in dem Raum für Gespräche geschaffen wird. Kleine Gesten, in denen Kolleg*innen ihren Respekt und ihre Aufmerk­sam­keit ausdrü­cken, können manchmal Wunder bewirken, sagt Larena.

Zwei­fellos ist es wichtig, schon in der Ausbil­dung zum/-r Journalist*in über den rich­tigen Umgang mit dem mentalen Druck aufge­klärt zu werden. In dieser Hinsicht geschehe noch viel zu wenig, meint Larena. Sie vermisst umfang­reiche Ange­bote von Univer­si­täten und Journalist*innenschulen. Es gibt zu wenig Ansprechpartner*innen. Aber an der katho­li­schen Jour­na­lis­ten­schule ifp in München, an der sie eine (studi­en­be­glei­tende) Jour­na­lis­mus­aus­bil­dung absol­viert, habe sie gute Erfah­rungen gemacht. Hier wäre es voll­kommen in Ordnung, wenn sie wegen ihrer Depres­sionen ein paar Tage fehlt. Es ist auch ganz wichtig, Depres­sion als ernst­zu­neh­mende Krank­heit anzu­er­kennen.“ Mit jemandem zu spre­chen, dem man vertraue, sei enorm hilf­reich, so Larena.

Die Studie der Otto-Brenner-Stif­tung, die im Juli 2022 veröf­fent­licht wurde, ist eine der wenigen, die die mentale Gesund­heit im Jour­na­lismus thema­ti­siert. Sicher­lich ist der Jour­na­lismus nicht die einzige Branche mit Verbes­se­rungs­be­darf, aber es ist trotzdem auffal­lend, wie selten hier darüber gespro­chen wird. Menschen wie Larena Klöckner beginnen, das zu ändern. Die Jour­na­lis­mus­branche steht kurz vor einem kollek­tiven Burnout.”, sagt die dju-Bundes­vor­sit­zende Tina Groll dazu. Doch dazu muss es nicht kommen, wenn mehr Menschen über diese Miss­stände berichten, meint Larena.
Die Angst vor dem Kann ich das?‘ war groß, aber als ich gemerkt habe, dass ich mit meiner Erkran­kung nicht allein bin, hatte ich eigent­lich alles erreicht, was ich mir erhoffen konnte.“


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