Jour­na­lismus auf Social Media – macht uns TikTok zu unab­hän­gigen und besseren Journalist*innen? 

Datum
19. November 2022
Autor*in
Marlene App
Themen
#Medien #YouMeCon22
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Foto: unsplash / Rob Hampson

Journalist*innen der Gene­ra­tion Z schaffen den Weg von der Gegen­wart zur Zukunft: Bericht­erstat­tung in Echt­zeit, überall und oft weniger als eine Armlänge entfernt von denen, die sie errei­chen wollen. politikorange-Redak­teurin Marlene App gibt einen Einblick, welchen Chancen und Heraus­for­de­rungen sich junge Medi­en­schaf­fende auf Social Media stellen.

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Immer mehr Menschen konsumieren Nachrichten über Social Media. Was bedeutet das für Journalist*innen? Foto: Unsplash / Rob Hampson

Jour­na­lismus machen – das ist Traum und Realität vieler junger Menschen, die ich bei der Youth Media Conven­tion (YouMeCon) in Hamburg getroffen habe. Ich bin hier, weil ich wissen will, ob wir als Journalist*innen auf Social Media aktiv sein sollten und ob uns Social Media zu unab­hän­gi­geren, besseren Journalist*innen machen kann. Bisher habe ich mich TikTok verwei­gert und auch auf Insta­gram bin ich eher privat unter­wegs – aber nach 12 Stunden auf der YouMeCon sitze ich im Redak­ti­ons­raum und lade mir TikTok runter. Natür­lich primär zu Recher­che­zwe­cken, ein biss­chen aber auch, weil ich in der Medi­en­branche Fuß fassen will und es mir scheint, dass das dort inzwi­schen eben zum Job dazu gehört. Es spricht einiges dafür, dass Journalist*innen auf Social Media aktiv sind:

Die Platt­formen sind omni­prä­sent, denn aktu­elles Zeit­ge­schehen wird längst nicht mehr von großen Zeitungen, Fern­seh­sen­dern oder Radio Talk­shows bestimmt – egal ob es um den Krieg in der Ukraine, Trumps Präsi­dent­schafts­wahl­kampf oder Ener­gie­po­litik geht. Wessen Inter­essen sich durch­setzen können, hängt oft auch davon ab, wer im Wett­kampf um Reich­weite mit Likes und Follower*innen-Zahlen über­wiegt. Aber was macht Social Media so rele­vant für den Jour­na­lismus heute? Im Duden ist Social Media als Gesamt­heit der digi­talen Tech­no­lo­gien und Medien defi­niert, über die Nutzer*innen mitein­ander kommu­ni­zieren und Inhalte austau­schen können. Was dieses Medium so beson­ders macht, ist die Möglich­keit, in Kommen­tar­spalten und Insta­feeds aktiv auf Infor­ma­tionen reagieren zu können und sich unter­ein­ander auszu­tau­schen. Auf TikTok sind es vor allem junge Nutzer*innen, die Content produ­zieren und konsu­mieren. So waren 2021 laut einer Studie von influ­Data etwa 75% aller Contentcreator*innen unter 25 Jahre alt. Auf YouTube oder Insta­gram kann man sich auch ohne jour­na­lis­ti­sche Ausbil­dung eine Reich­weite aufbauen und über die Themen berichten, die einen inter­es­sieren – und das, ohne sich an unbe­zahlten Prak­tika und steilen Hier­ar­chien in großen Medi­en­häu­sern ein Bein auszu­reißen. Das klingt doch nach einer Chance für junge Journalist*innen wie mich – oder?

Wenn man Tess­niem Kadiri, 21, u.a. Mode­ra­torin für das ARD- Repor­ta­ge­ma­gazin neun­ein­halb‘ und Presen­terin für den TikTok-Kanal nice­to­know‘ des WDR News­room zuhört, bekommt man den Eindruck, jour­na­lis­ti­sche Arbeit ist nicht nur eine Chance, sondern unab­wend­bare Zukunft des Jour­na­lismus.

Jour­na­lismus in Deutsch­land: Wird es noch Fern­sehen geben?”

Auf die Frage, welche Rolle Social Media in der Zukunft in ihrem Beruf spielen wird, antwortet sie: Ich mache mir keine Sorgen darüber, ob es Insta­gram und TikTok in der Zukunft noch gibt. Die Frage ist eher – wird es noch Fern­sehen geben? Mein Traum war früher, so lange Jour­na­lismus für junge Menschen auf Social Media zu machen, wie ich selbst noch jung bin, und dann ins Fern­sehen zu gehen. Das wäre perfekt gewesen. Das Ding ist nur, ich glaube, in zehn Jahren gibt es kein Fern­sehen mehr, so wie ich mir das vorstelle. So eine Karriere wie Sandra Maisch­berger oder Anne Will, also von der Poli­tik­re­dak­teurin in die Talk­show oder ins Radio, das kann ich mir nicht vorstellen, dass es das dann noch gibt.“

Durch das Gespräch verstehe ich, dass der Anspruch, als medi­en­schaf­fende Person auf Social Media präsent zu sein, nicht für jede*n Vorteile bringt und Medi­en­schaf­fende sehr unter Druck setzen kann: Vor allem dieje­nigen, die inhalt­lich arbeiten wollen und nicht vor der Kamera stehen wollen, die ihr Gesicht nicht zeigen wollen, werden dadurch unsichtbar.“, sagt Kadiri. Sogar bei Bewer­bungs­ver­fahren für Volon­ta­riate sei es mitt­ler­weile Stan­dard, eine Instastory oder einen TikTok zu machen, und auch der Auftritt auf dem Insta­gram Profil werde geprüft.

Das zu fordern ist schwierig, weil Social Media richtig Arbeit ist!“ Menschen, deren Persön­lich­keit das Ganze weniger entspricht oder die einfach keine Zeit finden, fielen raus. Es ist doch nicht möglich, gleich­zeitig Mode­ra­torin für mehrere Formate zu sein und guten jour­na­lis­ti­schen Content auf Insta­gram und anderen Platt­formen zu posten. Ich habe zwar einen aktiven Insta-Account, aber das liegt daran, dass ich aktuell bereit bin, für meinen Job einiges meiner Frei­zeit einzu­büßen – denn wenn ich eine Insta­gram-Story mache oder ein Reel schneide, dann bin ich viel­leicht schon im Feier­abend, aber natür­lich schalte ich nicht ab und entspanne – sondern ich arbeite noch.” Die Einstiegs­hürden seien so für manche Menschen nied­riger, für andere höher geworden. Ältere Kolleg*innen seien zu Kadiri gekommen, um sie zu warnen, weil sie die Doppel­be­las­tung irgend­wann nicht mehr tragen konnten. Das liege auch daran, dass die Grenzen von Arbeit und Privat­leben durch Präsenz auf sozialen Platt­formen noch mehr verschwimmen. Klingt so, als würde Social Media uns vor allem zu Journalist*innen machen, die bald nerv­lich am Ende sind.

Das Beste daran, dass man sich als Jour­na­listin auf Insta oder TikTok etablieren kann, ist, dass etablierte Medi­en­häuser nicht mehr so arro­gant sein können“

Aber Kadiri gibt auch Einblick in die guten Seiten: Es ist cool, weil Minder­heiten eine Stimme bekommen. Das Beste daran, dass man sich als Jour­na­listin auf Insta oder TikTok etablieren kann, ist, dass etablierte Medi­en­häuser nicht mehr so arro­gant sein können. So was wie unbe­zahlte Prak­tika bei den öffent­lich-recht­li­chen Sendern, das ist einfach respektlos. Jetzt haben die Leute in den Redak­tionen gemerkt, dass sie die Platt­formen alleine nicht verstehen, dass sie die jungen Leute jetzt brau­chen. Und dass die jungen Leute sich auch einfach selbst etablieren können. Ich hoffe, dass Redak­tionen sich jetzt mehr Mühe um junge Journalist*innen geben.”

Bemer­kens­wert ist auch, dass gute Formate die Menschen errei­chen, die sonst wenig durch etablierte Nach­rich­ten­platt­formen mitbe­kommen. Es gibt Redak­tionen, die die Platt­formen wirk­lich verstehen, die jede Woche daran arbeiten, besser zu werden. Wir errei­chen so wirk­lich dieje­nigen, die wir errei­chen wollen. Wahr­schein­lich erreicht niemand sonst unsere Commu­nity mit Nach­richten-Inhalten, eben weil es sonst kaum Nach­rich­ten­ka­näle gibt, die die Ressourcen haben, das anzu­bieten. Zum Beispiel haben wir beim WDR News­room TikTok-Kanal nice­to­know‘ vor Kurzem über den Krieg in Äthio­pien berichtet. Das waren laut View­zahl über drei­hun­dert­tau­send Vier­zehn- bis Sech­zehn­jäh­rige, die sich das ganz ange­sehen haben. Sie haben durch unsere Arbeit verstanden, dass es da einen Krieg gibt, über den kaum gespro­chen wird, einfach weil es ein Nischen­thema zu sein scheint”, sagt Kadiri.

Jour­na­lismus auf TikTok und Co. – lohnt es sich?

Das Wort Nischen­thema habe ich in den letzten Tagen oft im Zusam­men­hang mit Jour­na­lismus auf Social Media gehört. Nischen­thema, weil sich manche Themen für klas­si­sche Medien nicht lohnen, weil sie nicht die breite Masse an Zuschauer*innen ziehen. Nischen­thema, weil es außer im indi­vi­duell abge­stimmten Algo­rithmus nirgendwo sonst geboten wird. Geboten wie Angebot, Angebot wie Nach­frage, über­setzt sich in Gewinn maxi­mieren, führt mich zu der Frage, wer eigent­lich daran verdient, wenn mein TikTok viral geht. Für Content-Creator*innen geht das auf Insta­gram und TikTok vor allem über Werbung und Spon­so­ring-Verträge, was für Journalist*innen eigent­lich ein beruf­li­ches No-Go ist. Deshalb nutzen viele Medi­en­häuser und Redak­tionen Platt­formen wie TikTok und Insta­gram, um Nutzer*innen auf ihre eigenen Websites zu locken. Es gibt auch Kritik daran, dass öffent­liche Medi­en­häuser diese Platt­formen nutzen, wie beispiels­weise der Deutsch­land­funk schon in einem Artikel berich­tete. Denn Journalist*innen, die dort aktiv sind, müssen sich nach den Spiel­re­geln privater Konzerne richten, die Macht darüber erlangen, wie poli­ti­sche Nach­richten verbreitet werden.

Die Frage, ob Social Media uns zu unab­hän­gi­geren und besseren Journalist*innen macht, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beant­worten. Ja, weil wir freier in unserer Themen­aus­wahl sind, uns als Anfänger*innen unab­hängig von der Gunst älterer Kolleg*innen entwi­ckeln können, weil wir junge, span­nende Formate auspro­bieren können. Nein, weil das stän­dige Posten und online präsent sein uns unter Druck setzt, weil wir von Social Media nicht leben können und wir umso abhän­giger von Klicks und Views werden. Dennoch sind Platt­formen wie TikTok und Insta­gram nicht mehr aus unserem Leben wegzu­denken und es bleibt wichtig, dass junge Journalist*innen dort präsent sind und so die Menschen errei­chen, die sonst kaum mit seriöser Bericht­erstat­tung in Kontakt kommen.


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