Wenn der Staat zuschaut, chillen wir

Datum
06. Mai 2020
Autor*in
Ole Wahls
Themen
#pressefreiheit20 #Politik
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Kommu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung und Daten­schutz: Für die einen ein großes Thema, für die anderen egal – sie hätten sowieso nichts zu verbergen. Unser Autor Ole Wahls betrachtet die Situa­tion jener, deren Leben jedoch im Zweifel davon abhängen kann: Journalist*innen. Ein Kommentar.

Stell dir vor, du bist Journalist*in und ein*e Informant*in spielt dir sensible Infor­ma­tionen über sein Land zu? Oder du selbst lebst in einem Land mit einge­schränkter Meinungs­frei­heit und gibst Infor­ma­tionen über Miss­stände an auslän­di­sche Journalist*innen weiter? Dann hängt unter Umständen dein Leben davon ab, wer noch zuhört. Das Internet hat auf der Ebene der Meinungs‑, Infor­ma­tions- und Pres­se­frei­heit eine schiere Anzahl von Möglich­keiten für dieje­nigen geöffnet, die weder Ressourcen noch Reich­weite besaßen, um gedruckte Infor­ma­tionen zu publi­zieren. Auch wenn die Medi­en­viel­falt im Bürger­jour­na­lismus seit der welt­weiten Vernet­zung zuge­nommen hat, birgt das Internet Gefahren für die freie Presse: Verschleppte Blogger*innen im Irak, inhaf­tierte Social Media-User*innen in Russ­land, ganz zu schweigen vom Über­wa­chungs­staat China. Sylvie Ahrens-Urbanek, Kommu­ni­ka­ti­ons­lei­terin bei Reporter ohne Grenzen, meint: Die Frei­heit, die wir durch das Internet gewonnen haben, möchten viele Staaten wieder einzu­schränken“. Die Beispiele aus China und dem Irak mögen nicht mehr über­ra­schen, aber auch in Deutsch­land ist es drin­gend an der Zeit, hinzu­schauen, wer der Presse zuschaut.

Das BND-Gesetz – Ein Angriff auf die Infor­ma­tions- und Pres­se­frei­heit“

Im Oktober 2016 wurde eine Geset­zes­re­form für den Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND) im Schnell­ver­fahren durch den Bundesrat gewunken. Seit Januar 2017 gilt die Kommu­ni­ka­tion im Ausland für den BND als vogel­frei: Er ist zu einer grund­losen Über­wa­chung auslän­di­scher Privat­per­sonen legi­ti­miert. Diese Reform sorgte bereits bei ihrem Inkraft­treten für einen Aufschrei der Oppo­si­tion und vieler Menschen­rechts­in­itia­tiven. Die bedin­gungs­lose Fern­mel­de­auf­klä­rung, also die freie Über­wa­chung von Ausländer*innen im Ausland sei ein Angriff auf die Infor­ma­tions- und Pres­se­frei­heit“, sagt Chris­tian Mihr, Geschäfts­führer von Reporter ohne Grenzen gegen­über netz​po​litik​.org: Menschenrechtsaktivist*innen oder Bürgerjournalist*innen werden zum Steig­bü­gel­halter für den BND, wenn sie mit Infor­manten kommu­ni­zieren“. Gerade in auto­ritär geführten Staaten seien diese Aktivist*innen unab­ding­lich für grenz­über­grei­fende jour­na­lis­ti­sche Infor­ma­ti­ons­leis­tung. Nun könnten Informant*innen aus Angst vor einer Ausspä­hung davor zurück­schre­cken, Infor­ma­tionen aus auto­ri­tären Staaten ins Ausland zu geben, wo dann frei über die Miss­stände berichtet werden kann. Die Auslands­über­wa­chung des BND würde eine Selbst­zensur aus Furcht vor dem Staat auslösen, einen soge­nannten Chil­ling-Effect“.

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© Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Um gegen diese große Gefahr für den Quel­len­schutz und damit auch für die Pres­se­frei­heit im Ausland vorzu­gehen, legten Vertreter*innen von Jour­na­lis­mus­ver­bänden, darunter die Gesell­schaft für Frei­heits­rechte und Reporter ohne Grenzen sowie mehrere auslän­di­sche Journalist*innen eine Verfas­sungs­be­schwerde ein. Es ist nicht ganz klar, ob Deut­sche im Ausland über­wacht werden dürfen oder nicht“, erklärt Ahrens-Urbanek von Reporter ohne Grenzen. Gene­rell gelte welt­weit: Kommu­ni­ka­tion kann nicht einfach grundlos über­wacht werden“. Im Januar 2020 verhan­delte das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ruhe zwei Tage lang über einen Verstoß des BND-Gesetzes gegen die Grund­rechte auf Pres­se­frei­heit (Art 5, GG) und das Fern­mel­de­ge­heimnis (Art 10, GG). Die Hoff­nung ist groß, dass die Befug­nisse des BND mit der Urteils­ver­kün­dung am 19. Mai 2020 wieder an stren­gere Grund­lagen geknüpft werden.

Netz­an­ony­mität in Gefahr

Debatten wie diese um eine Bedro­hung der Pres­se­frei­heit durch moderne Sicher­heits­ge­setze bleiben keine Einzel­fälle. Ein aktuell disku­tierter Geset­zes­ent­wurf, der Darknet-Para­graf“, würde zu einer Krimi­na­li­sie­rung von Tor-Brow­sern bezie­hungs­weise dessen Betreiber*innen führen. Tor-Browser fungieren als Anony­mi­sie­rungs­dienste im Internet und ermög­li­chen einen Zugang in das Darknet, wodurch eine Bewe­gung im digi­talen Raum ohne das Hinter­lassen von Fußab­drü­cken möglich ist. Im Jour­na­lismus spielt diese Tech­no­logie eine essen­zi­elle Rolle für Wistleblower*innen in der Über­tra­gung von sensi­blen Daten. So besitzen zum Beispiel auch der Spiegel oder die Süddeut­sche Zeitung digi­tale Post­fä­cher im Darknet für vertrau­liche Infor­ma­ti­ons­ab­lagen. Öffent­lich bekannt ist das Darknet aber meist nur als Mittel für ille­gale Handels­ge­schäfte: Ein Markt­platz für Waffen, Rausch­gift und Kinder­por­no­grafie. Die Anzahl der krimi­nellen Seiten im Darknet ist dabei geringer als häufig ange­nommen, und so handelt es sich bei diesen Auswüchsen eher um einen sehr unschönen Neben­ef­fekt, der mit einer geschützten Kommu­ni­ka­tion im Internet einher­geht.

Verbre­chen im Darknet werden dabei keines­falls einfach hinge­nommen, sondern straf­recht­lich verfolgt. Strafbar machten sich dabei bislang nur die Verbrecher*innen selbst, wie in der realen Welt auch. Der neue Darknet-Para­graf möchte nun auch die Anony­mi­sie­rungs­dienste bezie­hungs­weise deren Betreiber*innen gene­rell in das Faden­kreuz staat­li­cher Ermitt­lungen rücken. Jegliche geschützte Kommu­ni­ka­tion würde Gefahr laufen, aufge­deckt zu werden. Informant*innen in Krisen­län­dern, deren Sicher­heit und Leben von diesem Schutz abhängt, könnten dem Deck­mantel der Anony­mität nicht mehr ausrei­chend vertrauen. Der Chil­ling-Effect würde eintreten. Infor­ma­ti­ons­quellen würden versiegen und die Aufklä­rung über Miss­stände verschwindet im Dunkeln.

In Deutsch­land steht es um die Pres­se­frei­heit – auch im digi­talen Bereich – bei weitem nicht so schlimm wie in vielen anderen Ländern dieser Welt. Dennoch ist insbe­son­dere bei neuen Sicher­heits­ge­setzen Vorsicht gefragt, egal ob eine Einschrän­kung der Pres­se­ar­beit inten­diert ist oder nicht. Das sind wir unserer Frei­heit genauso schuldig, wie derer anderer Länder.


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Vivienne Fey