Wir müssen als Gesell­schaft disku­tieren, was uns unab­hän­giger Jour­na­lismus wert ist“

Datum
04. Mai 2023
Autor*in
Clara Baldus
Themen
#Pressefreiheit23 #Politik
Titelbild_Claudia Maicher_Pressefreiheit

Titelbild_Claudia Maicher_Pressefreiheit

Claudia Maicher sitzt seit 2014 für Bündnis90/Die Grünen im Sächsischen Landtag in Dresden. Wir haben sie in ihrem Wahlkreisbüro in Leipzig getroffen. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Ella Sophia Seeger
Die grüne Land­tags­ab­ge­ord­nete Claudia Maicher berichtet im Inter­view über ihre Arbeit als Vorsit­zende des Ausschusses für Medien und zeigt auf, warum die Pres­se­frei­heit in Sachsen beson­ders bedroht ist.

poli­ti­ko­range: Wie schätzen Sie die Lage der Pres­se­frei­heit in Deutsch­land aktuell ein? Claudia Maicher: Wir sehen, dass die Ausübung der jour­na­lis­ti­schen Tätig­keiten an vielen Stellen einge­schränkt ist. Nicht so, wie wir es in Dikta­turen erleben, aber es ist beängs­ti­gend, wie viele Angriffe auf Journalist*innen doku­men­tiert werden. Das ist eine große Gefahr für die Pres­se­frei­heit.

Und wie ist die Situa­tion spezi­fisch in Sachsen? In Sachsen werden Journalist*innen beson­ders stark bedroht und beschimpft. Ich erlebe hier in den letzten Jahren sehr oft, dass die Ausübung des Berufs auf Demons­tra­tionen teil­weise gar nicht möglich ist. Die Zahlen des Euro­päi­schen Zentrums für Presse- und Medi­en­frei­heit (ECPMF) zeigen, dass von 2015 bis 2022 in Sachsen allein 104 von deutsch­land­weit insge­samt 321 Angriffen auf Journalist*innen gemeldet wurden. Das ist eine klare Häufung.

Woran liegt es, dass die Lage in Ostdeutsch­land beson­ders prekär ist? Das hat mit den häufigen Demons­tra­tionen zu tun und einer in den letzten Jahren stark gewach­senen, sehr aggres­siven Streit- und Demons­tra­ti­ons­kultur, insbe­son­dere von rechts­extremer Seite. Das Recht auf Versamm­lungs­frei­heit wird genutzt, um gewalt­tätig gegen Presse- und Medienvertreter*innen vorzu­gehen. Hinzu kommt eine in ostdeut­schen Ländern verhär­tete Kritik an öffent­lich-recht­li­chen Medien. Auch erlebe ich, dass Journalist*innen in Sachsen stärker als in anderen Ländern ein Haltungs­jour­na­lismus vorge­worfen wird. Es wird gar nicht mehr unter­schieden zwischen unab­hän­giger Bericht­erstat­tung zu rele­vanten Themen, die in der Gesell­schaft kritisch bespro­chen werden müssen, und dem Vorwurf der Kampa­gnen­ar­beit.

Zum Teil werden Journalist*innen auf Demons­tra­tionen auch vonseiten der Polizei an ihrer Arbeit gehin­dert. Was läuft hier falsch? Hier greift schließ­lich eine staat­liche Insti­tu­tion in die Pres­se­frei­heit ein. Das ist defi­nitiv zu beob­achten. Bei der Poli­zei­li­chen Krimi­nal­sta­tistik sind viel weniger Fälle gemeldet als bei den Zahlen des ECPMF und ich frage mich, woran das liegt. Womög­lich hat das damit zu tun, dass Journalist*innen weniger Vertrauen in die Polizei haben. Das muss uns zu denken geben, weil eine unab­hän­gige Bericht­erstat­tung das urei­genste Inter­esse unserer Gesell­schaft ist. Und wenn dies schon in der Ausübung von denje­nigen, die sie schützen sollen, nicht ausrei­chend wahr­ge­nommen wird, dann ist das ein Riesen­pro­blem. Es kann in einer Demo­kratie nicht sein, dass Journalist*innen auf Veran­stal­tungen von der Polizei wegge­drängt werden oder sich eigenen Schutz mitbringen müssen.

Wie kann die Politik dieses Problem angehen? Wenn es inner­halb der Polizei zu Verstößen kommt, dass sie sich an Einschrän­kungen der freien Bericht­erstat­tung auf Demons­tra­tionen betei­ligen, müssen diese erfasst und geahndet werden. Vor allem aber braucht es eine bessere Aus- und Weiter­bil­dung bei der Polizei. Es muss viel stärker auf die Fragen im Umgang mit Medienvertreter*innen auf Demons­tra­tionen einge­gangen werden, welche Rechte sie haben und welchen Schutz sie brau­chen. Das ECPMF erar­beitet hierzu Leit­fäden, die mit der Polizei und Medienvertreter*innen gemeinsam aufge­stellt und disku­tiert werden. Als Politik ist es unsere Aufgabe, die entspre­chenden Ressourcen bereit­zu­stellen.

Was tun Sie als poli­ti­sche Entschei­dungs­trä­gerin sonst noch, um die Pres­se­frei­heit in Sachsen zu schützen? Zuerst einmal bin ich eine klare Verfech­terin von Unab­hän­gig­keit von Politik und Jour­na­lismus. Wir als Frei­staat, bezie­hungs­weise als Politik, können natür­lich keine Inhalte fördern oder fordern. Deswegen bin ich für eine strikte Tren­nung. Aber das heißt nicht, dass wir nicht in einen starken Austausch treten. Im Medi­en­aus­schuss haben wir regel­mäßig die Intendant*innen der Öffent­lich-Recht­li­chen zu Gast und spre­chen über notwen­dige Entwick­lungen. Ein weiterer wich­tiger Punkt ist der Erhalt von Medi­en­viel­falt, denn lokalen Medien brechen Finan­zie­rungs­mög­lich­keiten weg. Wir finan­zieren über die Säch­si­sche Landes­me­di­en­an­stalt Lokal­jour­na­lismus, damit dieser über­haupt über­leben kann. Auch das ECPMF wird sehr deut­lich finan­ziert, damit beispiels­weise juris­ti­sche Bera­tung für Journalist*innen statt­finden kann. Das haben wir als Grüne Frak­tion in den Haus­halts­ver­hand­lungen voran­ge­bracht.

Es kommt immer wieder vor, dass Teile der AfD gegen Journalist*innen hetzen, sie als Lügen­presse“ beti­teln. Wie gehen Sie damit um und wie gestaltet sich die Zusam­men­ar­beit im Ausschuss, in dem auch AfD-Abge­ord­nete vertreten sind? Die AfD stachelt Menschen in Sachsen gegen Journalist*innen auf und sieht Beitrags­gelder nur dann als legitim an, wenn verbreitet wird, was sie gerne hören wollen. Sie trägt zur Bedro­hung der Pres­se­frei­heit bei. Und deswegen gibt es von meiner Frak­tion keine poli­ti­sche Zusam­men­ar­beit mit der AfD. Natür­lich sitzt die AfD als zweit­größte gewählte Frak­tion in Sachsen im Landtag und sie sitzt auch in den Ausschüssen, aber das heißt nicht, dass man zusam­men­ar­beiten muss. Im Gegen­teil müssen wir in der parla­men­ta­ri­schen Arbeit die Probleme klar benennen und uns deut­lich dafür ausspre­chen, die Frei­heit von Presse und Medien zu vertei­digen.

Die welt­weite Rang­liste der Pres­se­frei­heit von Reporter ohne Grenzen zeigt ein erschüt­terndes Ergebnis: Deutsch­land ist zum zweiten Mal in Folge um mehrere Ränge abge­rutscht. Über­rascht sie das? Das hat mich weniger über­rascht, denn wir sehen an den Debatten in der Öffent­lich­keit, dass die Zuspit­zung stärker wird. Die Kritik am öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk und Bedro­hungen einzelner Journalist*innen haben extrem zuge­nommen. Das ist nicht nur in Sachsen so, überall haben die Proteste während der Corona-Pandemie zuge­nommen, bei denen es zu Angriffen auf Journalist*innen kommt. Der Unmut, dass nicht so berichtet wird, wie man selbst möchte, spitzt sich immer weiter zu und deswegen verwun­dert mich der derzei­tige Abwärts­trend nicht.

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft, wird sich dieser Abwärts­trend weiter fort­setzen? Ich hoffe darauf, dass sich die Situa­tion verbes­sern wird. Aber ich bin verhalten opti­mis­tisch, weil die harten Ausein­an­der­set­zungen der letzten Jahre weiter bestehen. Wir müssen als Gesell­schaft viel stärker disku­tieren und wahr­nehmen, was uns unab­hän­giger Jour­na­lismus wert ist. Das heißt, wir müssen uns fragen: Was brau­chen Journalist*innen? Wie kann Schutz ganz konkret aussehen? Ohne unab­hän­gigen Quali­täts­jour­na­lismus können wir unsere Demo­kratie nicht erhalten, weil nur so Meinungs­bil­dung möglich ist. Deswegen müssen wir ihn vertei­digen.


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