Wenn der Kopf stärker ist als das Herz

Datum
27. April 2016
Autor*in
Juliane Kraus
Thema
#JMWS16
Autorenbild_Jule

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Wie stark werden wir von Vorur­teilen geleitet? Wie sehr domi­nieren uns Ängste vor dem Fremden? Juliane Kraus beschreibt in einer fiktiven Geschichte, wie es ist, wenn der Kopf verrückt spielt, aber das Herz am Ende siegt.

Es ist dunkel und ich lasse meinen Blick von rechts nach links wandern, als ich das Gebäude verlasse. Meinen Schal ziehe ich noch ein biss­chen fester, so dass nur noch ein Minimum der eisigen Luft an meinen Körper gelangen kann. Dann atme ich noch einmal tief durch; ich fühle mich sicher, denn in meiner Tasche ertaste ich das Pfef­fer­spray.

Es ist dunkel und ich befinde mich auf meinem Weg nach Hause; endlich abschalten nach einem stres­sigen Tag, von dem mir nun der Kopf schwirrt. Doch anstatt entspannt zu laufen kann ich nur an eines denken: Das Flücht­lings­heim, welches sich auf meinem Nach­hau­seweg befindet. Noch nie ist mir etwas passiert, noch nie wurde ich beläs­tigt oder gar ange­griffen, und trotzdem steht mein Kopf jedes Mal an die dieser Stelle vor einer Explo­sion von Vorur­teilen, die sich dort auf Grund von Medien und dem tägli­chen Zeitungs­lesen ange­sam­melt haben.

Sofort redet er wie wild auf mich ein

Mein Blick ist gesenkt und ich laufe. Viel schneller als nötig, denn schnell bin ich außer Atem. Was ist wenn mich jemand sieht? Mich beläs­tigt, angreift, über­wäl­tigt? Hätte ich doch nur die Stiefel ohne Absatz ange­zogen, denke ich, als urplötz­lich ein Mann mit langem Bart vor mir steht. Sofort redet er wie wild geworden auf mich ein, auf einer Sprache, die ich nicht verstehe. Meine Angst, nun an ihrem abso­luten Höhe­punkt ange­langt, droht mich reak­ti­ons­un­fähig zu machen. Was soll ich tun? Der Mann sieht panisch aus. Braucht er etwa meine Hilfe? Oder will er mich kidnappen? Anfassen? Verge­wal­tigen? Unbe­wusst schnellen meine Gedanken zurück an die Kölner Silves­ter­nacht, die ich so unzäh­lige Male im Fern­sehen und dann in meinen schlimmsten Träumen nach­emp­funden habe. Für diese Männer gelten doch andere Regeln, oder? Sie denken doch Frauen haben andere Rechte, dass sie über sie verfügen können, oder? Mein Kopf wird schwer bei all diesen wirren Gedanken und ich verliere mich in einer gewal­tigen Welle aus Vorur­teilen. Ich gehe unter in dieser Welle, schmecke Salz, als heiße Tränen meine Wangen berühren. Ich höre mich noch sagen: Do you need help?“, und dann falle ich, tiefer und tiefer, in ein riesiges schwarzes Loch.

Ein biss­chen panisch schaue ich mich um“

Im nächsten Moment spüre ich wie mich jemand auffängt. Es sind große warme Hände und nur einen Augen­blick später befinde ich mich in einem Zelt auf einer weichen Matratze. Eine Frau mit langem Gewand und einem herz­li­chen Lächeln auf den Lippen bringt mir einen Tee, den ich dankend annehme. Ein biss­chen panisch schaue ich mich in dieser unge­wohnten Umge­bung um. Da hinten entdecke ich ihn; den Mann der mir draußen begegnet ist und vor dem ich so eine unglaub­liche Angst hatte. Mit einem Grinsen im Gesicht kommt er schnellen Schrittes auf mich zu. You okay?“, fragt er mich, während er seine Hand auf meine Schulter legt. Vorsichtig nicke ich und ertappe mich, wie ein Lächeln über meine Lippen huscht.

Let your heart quell your mind“, Deutsch­land, eine neue, bunte andere Heimat. Für alle.


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