Deutsch­land hat mich verän­dert“

Datum
01. Mai 2016
Autor*in
Ann-Christin Rinker
Thema
#JMWS16
Ann-Christin

Ann-Christin

Das Leben in Deutsch­land hat sie reifen lassen, erzählt die junge Syrerin Joudi. Sie hat Ann-Christin Rinker berichtet, wie sie nach ihrer Flucht aus dem Bürger­kriegs­land in die Stadt Neuss kam und welchen Einfluss die neue Heimat auf sie hat.

Es ist ein grauer, verreg­neter Frei­tag­morgen in der nord­rhein­west­fä­li­schen Kreis­stadt Neuss. Während der Rest der Familie noch schläft, packt Joudi leise ihre Tasche und verlässt das Haus. 7.30 Uhr, um diese Zeit beginnt für sie Morgen um Morgen der Alltag. Nach einem kurzen Blick in den Himmel, der nicht heller zu werden scheint, setzt sie sich die Kapuze ihres grauen Mantels auf und tritt aus dem Haus­ein­gang. Ihr Ziel: das Quri­nius Gymna­sium Neuss, das sie seit ihrer Ankunft in Deutsch­land besucht. In der Haupt­stadt Aleppo geboren und aufge­wachsen, flüch­tete die 18-jährige Syrerin vor 15 Monaten vor dem Krieg in eine andere Heimat. Seitdem wohnt sie mit ihren zwei Brüdern und ihren Eltern in einer Vier-Zimmer-Wohnung, inmitten der hekti­schen, pulsie­renden, anonymen Innen­stadt.

In den ersten Wochen dachte sie: Ich hasse Deutsch­land“

Sie geht gerne zur Schule. Anfangs, so erzählt sie mit etwas Wehmut in der Stimme, habe sie es aber schwer gehabt. In den ersten Wochen habe ich immer gedacht: Ich hasse Deutsch­land, ich hasse das Leben´. Ich wollte nicht hier­bleiben.“ Das, so sagt sie, habe sich aber schnell gelegt, als sie von allen Schülern*innen und Lehrern*innen sehr nett aufge­nommen wurde. Erleich­tert ergänzt sie: Es wurde nicht auf meine Natio­na­lität geschaut. Statt­dessen wurde ich als Mensch wahr­ge­nommen.“ Deutsch­land habe einen Wohl­fühl­faktor – Fremde wurden schnell zu Freunden, die anfäng­liche Angst wandelte sich in Vertraut­heit. Deutsch spricht sie mitt­ler­weile flie­ßend. Und dennoch hört man aus ihren Erzäh­lungen eine innere Zerris­sen­heit heraus. In mir schlagen zwei Herzen, eins für Syrien und eins für Deutsch­land.“ Syrien wird immer ihre alte“ Heimat bleiben, dort ist Joudi geboren und aufge­wachsen, dort sind ihre Wurzeln, dort lebt der Rest ihrer Familie. Ihre neue“ Heimat ist nun aber Deutsch­land, dort wo ihre Eltern und Geschwister sind, wo sie in Sicher­heit leben kann. Hier sieht sie ihre Zukunft.

Deutsch­land hat mich verän­dert, reifer werden lassen“

Ob die 18-Jährige einen Traum habe? Nachdem Abitur soll in Deutsch­land ein Medi­zin­stu­dium folgen, lautet die Vision. Kranken Menschen helfen. Ich möchte dem Land, was so viel für mich getan hat, was mir meine Bildung ermög­licht hat, etwas zurück­geben“, sagt sie mit zurück­hal­tender Stimme. Ob sie es schafft, eines Tages hier als Ärztin zu arbeiten, wisse sie aber nicht. Ich bin nicht mehr so opti­mis­tisch und selbst­be­wusst wie früher, Deutsch­land hat mich verän­dert, reifer werden lassen. Ich habe gelernt, dass ich mich sehr anstrengen muss, um hier eine gute Zukunft zu haben. Aber ich bin bereit dafür alles zu tun.“

Eigent­lich ist Joudi hoch­be­gabt – hätte in Syrien schon ihr Abitur und erste Schritte in Rich­tung Berufs­leben gemacht. Doch die unge­plante Flucht nach Deutsch­land war ein unge­planter Einschnitt in ihr Leben. Der Krieg zerstörte den bishe­rigen Erfolg, den Opti­mismus, die viel­ver­spre­chende Moti­va­tion. Eine andere Heimat, ein anderer Mensch?


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