Die Angst vor dem Wolf im Schafs­pelz

Datum
02. Mai 2016
Autor*in
Carolina Pfau
Thema
#JMWS16
Florian Wätzel

Florian Wätzel

Der Terrorismusexperte Florian Wätzel

Die Angst vor IS-Kämp­fern und Anschlägen in Deutsch­land ist groß, doch wie viele poten­ti­elle Terro­risten verste­cken sich tatsäch­lich unter den Flücht­lingen? Caro­lina Pfau hat mit dem Terro­ris­mus­experten Florian Wätzel über die Angst vor Anschlägen gespro­chen.

Sie kommen aus einem fremden Land, in dem Krieg herrscht. Ihre Kultur, Sprache und Reli­gion ist meist eine andere als die unsere. Sie sind fremd und Fremdes macht uns Angst. Das Miss­trauen gegen Flücht­linge wird nicht weniger: Bei deut­schen Poli­zei­stellen gingen nach Infor­ma­tionen des Nach­rich­ten­dienstes vom Focus“ aus der Bevöl­ke­rung bisher bereits über 250 Hinweise auf mögliche terro­ris­ti­sche Absichten des soge­nannten Isla­mi­schen Staates (IS) unter Flücht­lingen ein. Doch nur bei knapp über 20 Fällen sah man tatsäch­lich Hand­lungs­be­darf.

Wo Extre­mismus beginnt, lässt sich nur schwer sagen“, sagt Florian Wätzel. Er arbeitet beim Institut für Sicher­heits­po­litik (ISPK) an der Chris­tian-Albrecht-Univer­sität zu Kiel und beschäf­tigt sich mit Terro­ris­mus­for­schung. Das ISPK widmet sich der sicher­heits­po­li­ti­schen Forschung. In seiner Arbeit betrachtet Florian Wätzel das Verhalten terro­ris­ti­scher Orga­ni­sa­tionen. Allge­mein vereinen alle extre­mis­ti­schen Tendenzen bestimmte Merk­male. Dazu gehören ein Allein­ver­tre­tungs­an­spruch, ein starker Dogma­tismus, Into­le­ranz, Fana­tismus und ein ausge­prägtes Freund-Feind-Denken. Sobald Extre­misten zur Gewalt greifen, um ihre poli­ti­schen oder reli­giösen Ziele zu errei­chen, spre­chen Wissen­schaftler von Terro­rismus.“ Das traf bei dem Groß­teil der beschul­digten Flücht­linge nicht zu. Resul­tieren die Verdäch­ti­gungen also nur aus über­trie­bener Vorsicht und Verun­si­che­rung? Nicht ganz: Der Verfas­sungs­schutz gibt zu, den IS unter­schätzt zu haben und vermutet, dass auch über den Weg der Flücht­linge Anhänger der Terror­miliz Isla­mi­scher Staat nach Deutsch­land geschleust werden könnten. Aller­dings sei das taktisch eher unklug, da es immer schwie­riger wird nach Europa zu gelangen.

Die Medien bemühen häufig eine Kata­stro­phen-Meta­phorik

70 Prozent der Flücht­linge haben bei der Einreise nach Deutsch­land keinen Pass. Bei dieser Masse an Menschen scheint es nicht unwahr­schein­lich, dass sich auch der ein oder andere Extre­mist unter die Flüch­tenden mischt. Pässe können notfalls auch gefälscht werden, wie im Fall der Terro­risten der Paris-Atten­tate. Mit jedem Attentat, mit jedem Verdacht auf IS-Anhänger breitet sich das Gefühl von Hilf­lo­sig­keit aus. Die Kata­stro­phen-Meta­phorik tut ihr übriges: Die Medien berichten über eine Flücht­lings­welle, eine Flücht­lings­la­wine, eine Flücht­lings­ka­ta­strophe. Deutsch­land scheint über­rollt, über­for­dert, verängs­tigt.

Doch wie begründet ist nun die Angst vor Terro­risten unter Flücht­lingen? Darauf reagierte Florian Wätzel mit einer ehrli­chen Antwort: Wir wissen, dass sich Terro­risten des Isla­mi­schen Staats unter den Flücht­lings­strom gemischt haben, um nach Europa zu gelangen. Darunter waren auch einige Atten­täter der Anschläge in Paris und Brüssel.“ Die Gefahr, dass Terro­risten über die Flücht­lings­routen einreisen, sei real, wenn auch sehr gering. Hier ist es wichtig, deut­lich zwischen Flücht­lingen, die ihrer­seits vor dem Terror fliehen und in Europa Schutz suchen, und Terro­risten zu unter­scheiden, um einer Stig­ma­ti­sie­rung der Flücht­linge vorzu­beugen.“ Eine Gefahr gehe vor allem von den soge­nannten Rück­keh­rern“ aus. Die meisten Atten­täter von Paris und Brüssel waren Euro­päer, die sich in Syrien dem Isla­mi­schen Staat ange­schlossen hatten, bevor sie auf der Flücht­lings­route wieder in ihre Heimat­länder zurück­ge­kehrt sind.“

Der Experte schätzt das Risiko als real, aber gering ein

Aller­dings schätzt Florian Wätzel die Zahl der Terro­risten, die bisher als Flücht­linge getarnt nach Europa gekommen sind, als gering ein. Genaue Infor­ma­tionen gibt es nicht. Für Flücht­linge sei es aber immer schwerer geworden, nach Europa zu gelangen, und mit dem Rück­gang der Flücht­lings­zahlen sinke auch das Risiko, das weitere Terro­risten auf diesem Weg nach Europa kommen werden. Wer dennoch Angst vor den zu uns kommenden Flücht­lingen hat, der läuft Gefahr, in den Frem­den­hass abzu­rut­schen. Rechts­extreme Hetzer sind sich dessen natür­lich bewusst und miss­brau­chen die Angst als Vorwand für ihren Hass auf Flücht­linge. Der Unter­schied zwischen Angst und Hass ist – voraus­ge­setzt es besteht keine unmit­tel­bare Bedro­hung – dass ein ängst­li­cher Mensch noch ein gewisses Maß an Empa­thie für sein Gegen­über empfinden kann, ein hassender Mensch kann dies nicht“, sagt Wätzel. Und genau diese Empa­thie gilt es zu behalten, denn der IS versucht Angst und Unsi­cher­heit zu verbreiten um die Gesell­schaft zu spalten. Dies bestä­tigt Florian Wätzel.

Zusam­men­halt sei ein wich­tiger Punkt im Kampf gegen den Isla­mi­schen Staat. In Europa versucht der IS beispiels­weise durch Terror­an­schläge den Hass der Mehr­heits­ge­sell­schaft gegen die musli­mi­sche Minder­heit zu schüren. Fühlen sich die Muslime bedroht, so zumin­dest der perfide Plan des IS, laufen sie dem IS in die Arme. Sollten Gesell­schaften oder eben Reli­gi­ons­ge­mein­schaften jedoch zusam­men­halten, wird der IS nicht erfolg­reich sein können“, erklärt der Experte abschlie­ßend.


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