Wählen für Faule

Datum
01. September 2019
Autor*in
Cindy Boden
Thema
#sltw19
IMG_0112

IMG_0112

Tobias Brendel

Die Brief­wahl ist nicht für Faule gedacht, sondern eigent­lich für Notfälle. Das Kreuz nicht mehr nur am Wahltag zu setzen, wider­spricht der Grund­idee der Wahl – ein Kommentar von Cindy Boden.

Eine stei­gende Wahl­be­tei­li­gung lässt Demo­kra­tie­herzen höher schlagen. Bereits kurz nach 12 Uhr hatte in Dresden jeder und jede Zweite bei der Land­tags­wahl 2019 gewählt. Doch viele gehen für ihre Stimme heute gar nicht mehr ins Wahl­lokal: Brief­wahl ist das Zauber­wort. Sie ermög­licht einen freien Sonntag.

Einige Wahl­be­hörden meldeten bereits Rekord­be­tei­li­gungen zur Brief­wahl, zum Beispiel in der Landes­haupt­stadt Dresden. 2014 lag die Wahl­be­tei­li­gung in Sachsen bei 49,1 Prozent, etwa jeder Fünfte wählte per Brief­wahl. Doch die Wahl von zuhause ist kritisch.

Als die Brief­wahl 1957 auf Bundes­ebene einge­führt wurde, wollten die Ideen­ge­benden die Allge­mein­heit der Wahl sichern. Das heißt, alle Wahl­be­rech­tigten sollten ihre Stimme abgeben können – auch dann, wenn sie gesund­heit­lich verhin­dert oder aus anderen Gründen am Wahltag nicht in der Stadt sind. Dafür können alle unkom­pli­ziert die Brief­wahl-Unter­lagen bean­tragen. Eigent­lich ganz – wäre da nicht das Problem mit dem verlän­gerten Wahl­zeit­raum.

Zeit­punkt der Wahl­ent­schei­dung

Der 1. September ist mitt­ler­weile der letzt­mög­liche Wahltag in Sachsen. Die Wahl per Brief war hier bereits den gesamten August über möglich. Das ist schlecht für die Gleich­heit der Wahl. Denn um sich zu entscheiden, wem man seine Stimme gibt, sind viele Faktoren entschei­dend: Inhalt, Sympa­thie und Bezie­hung zur Partei.

Wer schon viele Tage vor dem eigent­li­chen Wahltag die verlangten Kreuze setzt, nutzt womög­lich andere Infor­ma­tionen als Grund­lage als Wählende am 1. September. Alles, was kurz vor diesem Stichtag passiert ist, konnten manche Wähler und Wähle­rinnen nicht mehr in ihre Entschei­dung mit einbe­ziehen. Doch Politik steht nicht still. Ein Beispiel dafür ist die klare Absage von CDU-Minis­ter­prä­si­dent Michael Kret­schmer, keine Minder­heits­re­gie­rung einzu­gehen. Erst am 20. August äußerte er sich dazu ohne Wenn und Aber in einem Interview mit dem Tages­spiegel.

Sind Lieb­ha­be­rinnen und Lieb­haber neuer Regie­rungs­formen jetzt doch nicht mehr von Kret­schmer begeis­tert? Kann sein. Beson­ders einschnei­dend sind Skan­dale und Miss­stände, die uner­wartet ans Licht kommen. Doch dann ist es zu spät: Ihre abge­ge­bene Wahl­ent­schei­dung können die Brief­wäh­lenden nicht mehr ändern.

Befür­worter der Brief­wahl argu­men­tieren, dass der Wahltag selbst ein belie­biges Datum ist. Auch danach könnten Poli­tiker und Poli­ti­ke­rinnen ihre Verspre­chen verwerfen. Doch geht es ums Verfahren: Alle müssen am glei­chen Tag wählen, nur dann ist die Wahl­ent­schei­dung vergleichbar.

Dritte könnten die Wahl­ent­schei­dung beein­flussen

Außerdem: Wahl­ka­binen sind nicht zur Zierde da. Wo ein Mensch sein Kreuz setzt, muss niemand wissen – Wahlen sind geheim! Dieser Wahl­grund­satz ist nicht mehr gesi­chert, wenn der Wahl­zettel außer­halb des Wahl­lo­kals ausge­füllt wird. Wurde Druck auf die Entschei­dung ausgeübt? Hat jemand anderes den Zettel ausge­füllt? Das alles kann bei der Brief­wahl nicht mit Sicher­heit verneint werden.

Und nicht zu vergessen: Kommt mein Brief über­haupt an? Es gibt keine Bestä­ti­gung, dass mein Wahl­zettel recht­zeitig und sicher auf dem Auszäh­lungs­stapel liegt. Es braucht Vertrauen in die Post. Doch eine über­zeugte Wahl­ent­schei­dung wäre besser.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Die CDU muss sich verjüngen“

Marija Skvoznikova

Artikel

5 Lehren aus der Sach­sen­wahl

Julius Kölzer

Artikel

So trifft Dresden die Wahl

Marija Skvoznikova