Unter einen Hut

Datum
13. November 2019
Autor*in
Carlos Hanke Barajas
Thema
#JMT19
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Foto: Jugendpresse Deutschland/Annkathrin Weis

Akti­vismus und Jour­na­lismus: klingt nach zwei Paar Schuhen. Auf den zweiten Blick sind die Tech­niken, Ansprüche und Ziele aber oft die selben. Carlos Hanke Barajas hat sich auf den Jugend­me­di­en­tagen 2019 mit Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen ausge­tauscht, die sich in der Schnitt­menge der beiden Felder bewegen und hat dabei unter­schied­liche Perspek­tiven zum Wider­spruch zwischen Objek­ti­vität und Haltung gesam­melt.

Lou Zucker kommt ins Grübeln. Sie erzählt nach ihrem Work­shop bei den Jugend­me­di­en­tagen von einem Auswahl­ge­spräch an einer der renom­mier­testen Jour­na­lis­ten­schulen Deutsch­lands. Später sagt sie, hätte sie danach ein wenig Angst gehabt. Ein Jour­na­list macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Mit diesem Zitat von Hans Joachim Fried­richs wurde sie damals konfron­tiert. Sie versteht und verstand sich damals wie heute klar als Akti­vistin. In ihrer Twitter-Bio steht gleich nach Redak­teurin Queer­fe­mi­nusmus, Macht­ver­hält­nisse, Liebe und Sex“. Sie sagt, dass sie womög­lich nicht an dieser Schule genommen wurde, weil sie sich klar akti­vis­tisch posi­tio­niert. Ich hab gemerkt, was für eine Trag­weite das für meine Karriere haben kann, wenn ich mich nicht mit dem Wider­spruch zwischen Akti­vismus und Jour­na­lismus beschäf­tige und dazu eine klare Haltung habe.“ Dieses Jahr hat sie einen Frau­en­streik bei ihrem Arbeit­geber Neues Deutsch­land orga­ni­siert. Sie brachte alle Autorinnen dazu, beim Welt­frau­entag ihre Arbeit nieder­zu­legen. Was darf Jour­na­lismus? So wie Lou geht es immer mehr Medi­en­ma­che­rinnen und Medi­en­ma­chern in Deutsch­land. 2018 löste Martin Macho­wecz eine Diskus­sion aus, ob und wie Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen an Demos gegen Rechts teil­nehmen dürften. Er findet es unjour­na­lis­tisch“, zumin­dest das Rufe-Mitrufen“ und Plakate-Hoch­halten“. Darf man als Jour­na­list oder Jour­na­listin über diese Demons­tra­tionen berichten, wenn man sie privat auch besu­chen würde? Muss man als Bericht­erstatter oder Bericht­erstat­terin durch­ge­hend still beob­ach­tend durch das Zeit­ge­schehen wandeln? Für Linus Giese kommt das nicht in Frage. Er ist Trans­mann, Germa­nist, Buch­händler und Akti­vist. Und er nutzt Jour­na­lismus als Werk­zeug, um sich Gehör zu verschaffen. Für mich geht Jour­na­lismus nicht ohne Akti­vismus.“ Als Trans­person ist er direkt von der Bericht­erstat­tung über Geschlechter betroffen. Letztes Jahr veröf­fent­lichte er seine Geschichte im Tages­spiegel, der größten Berliner Tages­zei­tung. Wenn ich über meine Themen schreibe, möchte ich als Akti­vist schreiben, weil mein Anliegen ja Aufklä­rung ist.“ In dem von Lou Zucker und Leonie Sont­heimer gelei­teten Work­shop bei den Jugend­me­di­en­tagen 2019 kommt die Gruppe zu ähnli­chen Erkennt­nissen: Akti­vismus und Jour­na­lismus verfolgen im Grunde recht ähnliche Ziele: Sie setzen Themen, schaffen Aufmerk­sam­keit, weisen auf Miss­stände hin. Sie leisten Bildungs­ar­beit und versu­chen emotio­nale Bezüge zu Geschichten herzu­stellen. Was die beiden vonein­ander unter­scheidet, ist das Aufrufen zum Handeln. Viel­leicht gab es auch deswegen ein großes Medi­en­echo als Anja Reschke 2015 zum Haltung zeigen“ und Mund aufma­chen“ aufrief. Im Zuge der so genannten Flücht­lings­krise“ traf ihr Kommentar in der Tages­schau einen Nerv. Das darauf folgende Echo kam nicht nur wegen der Aussage, sondern wegen der Tatsache, dass Jour­na­lismus Haltung bezog, klare Posi­tionen vertrat und den Menschen sagte, was zu tun war. Objek­ti­vität ist aus der Zeit gefallen Ange­sichts eines Anspruchs auf Objek­ti­vität nach Hajo Fried­richs ist es verständ­lich, dass viele Menschen, klare Posi­tio­nie­rungen wie die von Reschke für eine Grenz­über­schrei­tung halten: Von einer Poli­ti­kerin sind solche Aussagen zu erwarten, von einer Akti­vistin sowieso. Aber von einer Jour­na­listin würde man sich doch nicht sagen lassen, was zu tun ist! Doch nicht nur in Deutsch­land regt sich dies­be­züg­lich eine Diskus­sion: Jour­na­lismus ist immer eine Art Akti­vismus“, schreibt der US-ameri­ka­ni­sche Jour­na­list Glenn Green­wald in einem offenen Brief an die New York Times. Der Anspruch der Zeitung, objektiv und über­par­tei­lich zu berichten, scheint ihm aus der Zeit gefallen. Jeder Jour­na­list treffe Entschei­dungen, denen ausdrück­lich subjek­tive Annahmen inne­wohnen. Wer über Kultur, Natio­nal­staaten, Geschlecht und Herkunft spricht, wird es also kaum vermeiden können, Worte zu verwenden, die ein bestimmtes Lager stärken. Selbst die konforme, mittige, bürger­liche Posi­tion, die sich an der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung orien­tiert, ist auch klar eine Posi­tion, die wertet. Die Teil­neh­menden am Work­shop haben das nach drei Stunden verin­ner­licht. Dass man auch Haltung zeigen kann, ohne sich als Akti­vistin zu verstehen, zeigt Thembi Wolf, Redak­teurin bei ze​.tt. Ich sehe mich gar nicht als Akti­vistin. Ich finde auch Anti­ras­sismus ist kein Akti­vismus, sondern hoffent­lich selbst­ver­ständ­lich in unserer Gesell­schaft.“ Auf den JMT erzählte sie beim Jour­na­lismus Jam über einen Kommentar, in dem sie fordert, christ­liche Feier­tage abzu­schaffen. Auch wenn der Hass, der ihr danach entge­gen­schlug und die Meinungen, die sie vertritt, sich mit denen von Akti­vis­tinnen und Akti­visten decken sollten, hält sie eine klare Distanz.„Aktivistinnen und Akti­visten denken manchmal sie und ich seien dasselbe. Aber ich trenne das. Sage ihnen klar, was ich nicht ok finde, frage nach Genau­ig­keit in den Forde­rungen und wie die prak­ti­sche Umset­zung funk­tio­nieren soll.“
Foto: Ann-Kathrin Weis/Jugendpresse Deutschland

Thembi Wolf als Anwärterin beim Journalismus Jam auf den Jugendmedientagen 2019. Foto: Ann-Kathrin Weis/Jugendpresse Deutschland

Schreiben im Kollektiv Um die eigene Haltung und die persön­li­chen Hinter­gründe darzu­legen, haben sich Thembi Wolf, Leonie Sont­heimer, Lou Zucker und andere zum Kollektiv coll­ec­text“ zusam­men­ge­schlossen. Seien es ihre Sozia­li­sa­tion, ihr Akti­vismus, von ihnen gegrün­dete Kinder­gruppen oder hand­werk­liche Schnitzer aus der Vergan­gen­heit: Auf ihrer Website ist bei jeder von ihnen trans­pa­rent nach­zu­lesen, wie sich die mehr oder weniger akti­vis­ti­schen Jour­na­lis­tinnen in der Vergan­gen­heit durch das Span­nungs­feld bewegt haben. Für ihre jour­na­lis­ti­sche Glaub­wür­dig­keit haben sie zusätz­lich einen Leit­faden erar­beitet, der ihnen hilft, Grenzen zu setzen, wo sie nötig sind. Von Aktionen zu berichten an denen sie selbst betei­ligt waren, ist für sie nicht in Ordnung. Die Geschichte von Jour­na­listen als unvor­ein­ge­nom­mene, unbe­schrie­bene Blätter wirkt nach den Gesprä­chen mit coll­ec­text utopisch. Jour­na­limsus geschieht nicht im luft­leeren Raum“, steht auf ihrer Website. Um die Luft im Raum zu beschreiben, in dem Jour­na­lismus statt­findet, hat sich Lou Zucker Trans­pa­renz, Haltung und Diskurs verschrieben. Und dadurch ein Netz­werk gefunden, durch das sie sich sicher in einem schwie­rigen Span­nungs­feld bewegt. Angst hat sie zumin­dest nicht mehr. Auch nicht vor dem nächsten Jour­na­listen, der ihr das Hans Joachim Fried­richs-Zitat vor die Nase hält. Viel­leicht ja schon beim nächsten Auswahl­ge­spräch. poli­ti­ko­range berichtet gemeinsam mit Spree­wild, der Jugend­re­dak­tion der Berliner Zeitung, von den Jugend­me­di­en­tagen 2019. Alle Artikel erscheinen in den kommenden Tagen hier und bei Spree­wild.

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