Spezia­li­täten aus Syrien

Datum
27. April 2016
Autor*in
Stefanie Huschle
Thema
#JMWS16
Foto_Huschle_beitragsbild

Foto_Huschle_beitragsbild

Dieses Bild wurde auf badische-zeitung.de verˆffentlicht.

Ghosoun Racho (52) ist vor 19 Jahren von Syrien nach Deutsch­land gekommen. Heute führt sie in Lahr einen Laden mit arabi­schen Spezia­li­täten. Mit der Anzahl der Flücht­linge wächst auch ihre Kund­schaft.

Foto_Huschle

Ghosoun Racho verkauft in ihrem Laden arabische Spezialitäten und ist Ansprechpartnerin für Geflüchtete und andere Kunden und Kundinnen. Foto: Stefanie Huschle

Viele Kunden kommen an diesem Morgen zu Ghosoun Racho, denn frei­tags verkauft sie frisches Fladen­brot. In ihrem kleinen Laden kann man große Gläser mit acht Kilo­gramm Oliven kaufen. Einen Stand mit buntem, beson­derem Gemüse gibt es auch: Wenn die Leute sehen, dass sie hier Mini- Zucchini wie in Syrien kaufen können, dann freuen sie sich richtig“, schmun­zelt Racho. Ihr Lieb­lings­essen steht natür­lich eben­falls im Regal: Moloukhia, ein spinat­ähn­li­ches Gericht, das man mit Hühn­chen zube­reiten kann. Ihre anderen Lieb­lings­pro­dukte: Hummus, arabi­scher Käse und selbst­ge­ba­ckene Sesam­kekse. Außerdem liebt sie arabi­schen Kaffee, der mit Kardamon, manchmal auch Zimt oder Nelken gewürzt wird. Gele­gent­lich lädt sie ihre Kunden auf einen solchen Kaffee ein.

In Syrien wurde Racho erpresst, weil sie sich poli­tisch enga­gierte

Heute ist eine Freundin zu Besuch, die vor einein­halb Jahren aus Syrien geflüchtet ist. Ihr, und auch den anderen Flücht­lingen, die bei ihr einkaufen, gibt Racho manchmal Tipps. Denn vor 19 Jahren war sie selbst neu in Deutsch­land. In meinem Dorf in Syrien gab es eine kleine Gruppe von Menschen, die sich getroffen hat, um über Politik zu spre­chen. Wir waren nicht zufrieden mit dem Regime von Assad. In Syrien durften wir aber unsere Meinung nicht äußern. Die Eltern meines Ex-Mannes wussten von den Treffen und erpressten mich. Als Hebamme mit eigener Praxis verdiente ich gut. Sie wollten Geld von mir, ansonsten hätten sie der Polizei von den Treffen erzählt“, berichtet Racho. Sie möchte so nicht leben und beschließt, gemeinsam mit ihren zwei kleinen Kindern nach Deutsch­land zu gehen. Sie reist in die Türkei, zahlt Schleu­sern 4000 Dollar, wird in einem Last­wagen versteckt und nach Deutsch­land gebracht. Es war so heiß und eng. Wir lagen da, wie in einem Sarg – drei Tage lang. Ich spürte, wie meine Kinder schwitzten. Das Geld haben sie genommen, aber nicht einmal Wasser haben sie uns gegeben“, erin­nert sie sich. Ich möchte gar nicht daran denken.“

Racho mag Deutsch­land, aber würde gerne wieder zurück nach Syrien gehen

Racho mag ihre neue Heimat. Ich liebe die Deut­schen. Sie haben ein gutes Herz. Deutsch­land geht in der Flücht­lings­krise mit gutem Beispiel voran.“ Sie fühle sich als Lahrerin, Lahr sei ihre zweite Heimat, aber: Ich bin ehrlich: Wenn in Syrien wieder alles gut wäre, würde ich zurück­gehen. Meine ganze Verwandt­schaft ist dort.“ Das Telefon klin­gelt: Ja, ich habe Kori­ander da. Und morgen hole ich frische Minze“, infor­miert Racho. Jede Woche fährt sie ins 50 Kilo­meter entfernte Straß­burg, um frische Ware zu kaufen. Weil der nächste Groß­markt zu weit weg ist, kauft sie in klei­neren Geschäften ein, verdient daher ledig­lich ein paar Cent an jedem Produkt. Aber seit die Flücht­linge kommen, hat die Kund­schaft um etwa 50 Prozent zuge­nommen und ich kann zum Glück nicht mehr jammern“, sagt sie. Für Ghosoun Racho sind die Flücht­linge ein Glücks­fall. Der Text wurde (leicht abge­än­dert) in der Badi­schen Zeitung veröf­fent­licht: http://​www​.badi​sche​-zeitung​.de/​l​a​h​r​/​s​p​e​z​i​a​l​i​t​a​e​t​e​n​-​a​u​s​-​s​yrien – 118861625.html


Empfohlene Beiträge

Artikel

Plat­ten­bau­be­wohner 2.0

Juliane Kraus und Annika

Artikel

Die Angst vor dem Wolf im Schafs­pelz

Carolina Pfau

Artikel

Deutsch­land hat mich verän­dert“

Ann-Christin Rinker