Alles im rechten Licht

Datum
02. September 2019
Autor*in
Tobias Brendel
Thema
#sltw19
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Chem­nitz stand lange Zeit im Schatten von Dresden und Leipzig. Die rechten Proteste im letzten Jahr haben das verän­dert. Tobias Brendel fragt sich, wie rechts Chem­nitz wirk­lich ist.

11. August 2018 in Chem­nitz: Ein junger Soma­lier wird von vier Deut­schen ange­griffen. Er wird geschlagen und getreten, erleidet schwere Verlet­zungen. Dabei wird er als Scheiß Schwarzer“ beschimpft.

Es ist nur eines von vielen Vergehen, das der säch­si­sche Verfas­sungs­schutz in seinem Bericht über das Jahr 2018 erwähnt. Nach dem gewalt­samen Tod des Deutsch­ku­ba­ners Daniel H. und den damit verbun­denen Protesten, kam es im vergan­genen Jahr zu einem Anstieg rechter Gewalt­taten – Chem­nitz scheint nicht zur Ruhe zu kommen.

In der Bericht­erstat­tung über die Stadt wirkt rechtes Denken deshalb mehr wie die Regel als eine Ausnahme. Ein selt­sames Gefühl für Chem­nit­ze­rinnen und Chem­nitzer, die sich dem entge­gen­stellen. Also: Wie rechts ist diese Stadt wirk­lich?

Viele Ausländer“, wenige von uns“

Für gewöhn­lich sind Städte mit knapp 250.000 Einwoh­nern eher nicht so präsent in den Medien. Am 31. August 2018 titelte sogar die New York Times, dass die Proteste in Chem­nitz die neue Stärke von Deutsch­lands Rechts­extremen zeigten. Bundes­weit erregten AfD und PRO CHEM­NITZ Aufmerk­sam­keit.

Bren­nende Bengalos, Hitler­grüße, Hetz­jagden“ auf Geflüch­tete – Bilder, die sich in das Gedächtnis vieler Deut­scher einbrannten. Viele bezeich­neten die Demons­tra­tionen als rechts­extrem, selbst viele Chem­nitzer und Chem­nit­ze­rinnen. Der Tenor: Die Stadt ist ein brauner Sumpf, ein Problem­fall. In Chem­nitz kommen nach Schät­zungen des Verfas­sungs­schutzes zufolge dreimal so viele Rechts­extreme auf dieselbe Anzahl von Deut­schen wie in anderen Teilen der Bundes­re­pu­blik.

So einfach kann man Chem­nitz aber nicht abstem­peln. An der anfangs erwähnten Demons­tra­tion betei­ligten sich etwa 6.000 Menschen. Darunter laut Verfas­sungs­schutz viele mit bürger­li­cher Meinung“. Sie standen gemeinsam mit gewalt­be­reiten Rechts­extre­misten, die Hitler­grüße zeigten und tole­rierten diese offenbar. Man könnte den Eindruck bekommen, sie hätten größere Angst vor Migran­tinnen und Migranten als davor, mit Nazis in einen Topf geworfen zu werden.

Ob in der Schule, in der Familie oder auf Arbeit. Gele­gent­lich kommt zur Sprache, dass man sich nicht mehr in die Innen­stadt traue. Man kann das Zentrum von Chem­nitz nicht mit denen von Leipzig oder Dresden verglei­chen. Es gibt große Einkaufs­zen­tren im Umkreis der Stadt, die meist besser besucht sind als die Läden im Inneren. So kommt es, dass die Innen­stadt im Vergleich zu anderen Städten leer ist.

Hinzu kommen Gerüchte von unan­ge­nehmen Erleb­nissen: Mädchen, die von Migranten begafft würden und Prüge­leien von jungen Geflüch­teten. Meis­tens werden solche Geschichten durch Mund­pro­pa­ganda weiter­ge­geben.

Beson­ders brutale Taten wie der gewalt­same Tod von Daniel H. im August letzten Jahres werden dann als unwi­der­leg­barer Beweis instru­men­ta­li­siert: Deut­sche seien in der Stadt nicht mehr sicher. Die Tat passt genau in das Bild, das rechte Parteien schon lange zeichnen. Und man hat den Eindruck, dass sie der Tropfen war, der das Fass zum Über­laufen brachte.

Chem­nitzer Verhält­nisse

Lange hatten rechts­extreme Bewe­gungen versucht, ihre Nach­richt weit in die Normal­be­völ­ke­rung zu verbreiten. Durch diese Gele­gen­heit ist es ihnen gelungen. Um ihren Ärger über die vermeint­lich schlechte Sicher­heits­lage in der Stadt deut­lich zu machen, folgten einige Chem­nitzer den Aufrufen zur Demons­tra­tion von PRO CHEM­NITZ und AfD.

Insge­samt rechnet die Versamm­lungs­be­hörde von Chem­nitz mit 6000 Demons­trie­renden. Ihr Anliegen, mehr Sicher­heit, konnten viele sogar verstehen. Doch schon vorher war bekannt, wer diese Demos orga­ni­sierte.

Obwohl der Verfas­sungs­schutz lange der Meinung war, es gäbe keine verfas­sungs­feind­li­chen Bestre­bungen, wird die Bürger­be­we­gung seit Ende 2018 beob­achtet und Teile des Führungs­per­so­nals als rechts­extrem einge­stuft. Robert Andres, Schatz­meister der Frak­tion, ist lang­jäh­riger Neonazi, der Frak­ti­ons­vor­sit­zende Martin Kohl­mann unter­stützt Holo­caust-Leugner. Selbst die AfD hat PRO CHEM­NITZ auf eine Unver­ein­bar­keits­liste“ gesetzt.

Chem­nitz nicht gleich aufgeben

Trotzdem ist Chem­nitz kein brauner Sumpf. Die stärkste Partei ist die CDU, dicht gefolgt von AfD und der Linken. Die poli­ti­schen Strö­mungen sind in viele kleine und mittel­große Parteien zersplit­tert. Insge­samt halten sich die poli­ti­schen Lager im Gleich­ge­wicht. Gegen-Demons­tra­tionen finden neben den großen rechten Protest-Märschen jedoch häufig zu wenig Aufmerk­sam­keit in der Bericht­erstat­tung vieler Medien.

Außerdem wird kaum darüber berichtet, dass die Versuche von PRO CHEM­NITZ, eine dauer­haft Protest-Welle zu etablieren, fehl­schlugen. Ledig­lich 250 Teil­neh­mende erschienen noch im Dezember 2018. Ein Zeichen, dass aus besorgten Bürgern nicht gleich stramme Rechts­extre­misten werden müssen?

Ihr Gegenpol: Die Grünen. Der Spre­cher des Chem­nitzer Grünen-Vorstands, vermutet, dass die Spal­tung der Gesell­schaft und das Erstarken der AfD“ dazu geführt hätte, dass mehr Menschen als vorher die die Grünen wählen. Er gibt zu: Wir haben in der Stadt rechte und rechts­extreme Struk­turen und Wähler­schichten, davor verschließen wir nicht die Augen“. Wie viele in der Stadt sagt auch er: Chem­nitz ist mehr. Chem­nitz hat viele welt­of­fene, soli­da­ri­sche, für das Gemein­wohl enga­gierte Menschen.“

Man muss sich jedoch Zeit nehmen, die Stadt kennen zu lernen. Chem­nitz, das sind nicht nur graue Plat­ten­bauten, sondern auch die Heimat einer großen alter­na­tiven Kunst- und Musik­szene und grüne Frei­flä­chen zur Erho­lung sowie die Oper und das Schau­spiel­haus.

Es braucht viel Charme und Freund­lich­keit, bis die Menschen hier auftauen. Bis sie lächeln und sich öffnen, dauert es viel­leicht etwas länger. Doch die Mühe lohnt sich. Ein frän­ki­scher Unter­nehmer sagte mal, er möge die Chem­nitzer. Sie seien ehrliche Menschen, die über sich selbst lachen können.

Das ist die andere Seite von Chem­nitz. Sicher­lich, die Stadt hat ihre Probleme. Und sie mag mehr Rechte haben als andere. Doch der über­wie­gende Teil der Einwohner wählt weder AfD noch PRO CHEM­NITZ.


Wer mehr über die Stadt von poli­ti­ko­range-Autor Tobias Brendel erfahren möchte,dem kann Tobias folgende Texte empfehlen: Sie brachten ihn zum Lachen und erin­nerten ihn daran, dass Chem­nitz schöner ist als mancher Chem­nitzer denkt:

Chem­nitz – Schön geht anders

Sachsen: Gestrandet in Chem­nitz


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