Wenn Enttäu­schung zu Frust wird

Datum
02. September 2019
Autor*in
Julius Kölzer
Thema
#sltw19
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Die AfD nutzt die Debatte um den Kohle­aus­stieg vor den kommenden Land­tags­wahlen in Bran­den­burg und Sachsen, um Konflikte zu erzeugen. Ihre Stra­tegie: Nichts tun, Ängste instru­men­ta­li­sieren. Ein histo­ri­scher Über­blick darüber, wie das möglich werden konnte. Und ein Ausflug in die Lausitz

Eine Reise durch das Lausitzer Braun­koh­le­re­vier lohnt sich aus ganz unter­schied­li­chen Gründen. Nicht nur bietet das Lausitzer Seen­land eine span­nende und einzig­ar­tige Land­schaft für Wande­rungen und Fahr­rad­touren. Auch inter­es­sante Geschichten sammeln sich hier. Dicht an dicht. Einige tief verkrustet unter der Erde, manche die schon immer sichtbar waren und andere deren Wunden seit einiger Zeit wieder sichtbar sind. Es sind Erzäh­lungen des Umbruchs, geprägt von Wut, Verlust und Perspek­tiv­lo­sig­keit. Erzäh­lungen des Aufbruchs, von Hoff­nung, Zuver­sicht, Orien­tie­rung und Stolz. Geschichten die wie Riesige Plat­ten­bauten, baum­artig aus dem Boden wuchsen und scheinbar genau so schnell wieder verschwanden. Auch wenn viele dieser Geschichten bereits 30 Jahre zurück­liegen: Beim passieren der Gruben, Wälder, und Seen, der kleinen Dörfer und der Laby­rinth-ähnli­chen Plat­ten­land­schaft“ fällt schnell auf dass die Nach­wende Geschichten von damals wieder aktuell sind. Die Region zwischen Cottbus, Görlitz, Weiß­wasser und Hoyers­werda ist vor der Sach­sen­wahl einer der Brenn­punkte der Berliner Repu­blik. Warum das so ist, wird spätes­tens dann deut­lich, wenn man die Dörfer am Rande der Lausitzer Tage­baue betritt. Land­tags­wahlen stehen an. Blaue Plakate,Schwarze Plakate, Rote Plakate. Hier Kret­schmer, dort Dulig, da Kalbitz. Alles dreht sich hier um BRaun­kohle, bezie­hungs­weise das was danach kommen soll. Vier Abbau­ge­biete gibt es in der Lausitz noch: Zwei davon im säch­si­schen Land­kreis Görlitz, Eins im Kreis Oder-Spree Neiße und Eins Östlich von Cottbus .Sie belie­fern die Kraft­werke Boxberg,Jänschwalde und Schwarze Pumpe rund um die Uhr mit Kohle und das seit Ende der 60er Jahre. Damals in der DDR, heute im geeinten Deutsch­land. Deutsch­land will raus aus der Kohle. Muss raus, wenn es noch etwas werden soll, mit dem Kampf gegen die globale Erwär­mung und der damit verbun­denen Einhal­tung der Pariser Klima­ziele. Ein ganzes Drittel des bundes­deut­schen Co2 Ausstoß stammt aus der Kohle­ver­stro­mung. Zu viel. Fürs Klima. Und für die, die seit Monaten Frei­tags auf die Straße gehen. Auch für die Bundes­re­gie­rung, die sich der Proble­matik nach jahre­langem Zeit­ver­schwand zwar halb­herzig, aber immerhin ange­nommen hat. Das betrifft nicht nur das durch die Hamba­cher Proteste bekannt geowr­dene Rhei­ni­sche Revier, sondern auch die Lausitz. Nach Plänen der Großen Koali­tion sollen die letzten Braun­kohle-Meiler deshalb endgültig 2038 vom Netz. Nach Prognosen verschie­denster Insti­tute und den Forde­rungen von Fridays­for­Fu­ture ist das aber mindes­tens Acht Jahre zu spät. Das was in Kreisen von Wissen­schaft­lern und Protest­gruppen völlig verständ­lich ist, ist im Süden Bran­den­burgs und dem Osten Sach­sens jedoch ein heißer Konflikt­herd. Das was in Berlin in Kohle­ko­mis­sion und Bundestag verhan­delt wird soll hier vor Ort umge­setzt werden. Ein Ausflug lohnt sich also. Hier in der Lausitz, ist der Streit um die Braun­kohle eigent­lich kein neuer. Auch wenn die wesent­li­chen Streit­punkte der vergan­genen Jahre sich über die Jahre leicht gewan­delt haben. Während es damals vor allem um den Erhalt von Dörfern ging, geht es jetzt um die Zukunft der Region als Indus­trie­standort und deren lange Tradi­tion. Der Ausstieg ist für viele Leute in der Lausitz nicht einfach nur Ausstieg. Es geht um Arbeits­plätze. Mit denen in einer sonst struk­tur­schwa­chen Regionen nicht nur Beschäf­ti­gung verbunden ist, sondern auch Iden­tität. Vor- und Nach­wende Geschichte. Jahr­zehn­te­langes Malo­chen. Kultur des Berg­baus und der Kumpel. Auch deswegen ist der Ausstieg hier so unpo­pulär: Laut ARD Deutsch­land­trend vom Januar 2019 spre­chen sich in Bran­den­burg und Sachsen nur 34 % der Umfra­ge­be­tei­ligten für einen möglichst raschen Ausstieg aus, die Mehr­heit möchte dagegen länger an der Braun­kohle fest­halten. Den Klima­pro­testen aus weit entfernten Städten, steht man hier eher skep­tisch bis kritisch gegen­über. Kostet der Ausstieg gut bezahlte Arbeits­plätze die beson­ders hier so wichtig sind? Warum sollten wir Kraft­werke abschalten, wenn drüben im polni­schen Bełchatów noch viel mehr und noch viel schmut­ziger emit­tiert wird? Das der Nähr­boden für Klima­po­li­ti­schen Fort­schritt hier eher mager ausfällt ist spätes­tens seit den Bundes­tags­wahlen 2017 nichts was einem noch verwun­dern sollte. Je tiefer man sich in die Lausitz vorkämpft, umso blauer werden die Wahl­kreise. Die Lausitz ist Hoch­burg der AfD und bundes­weit betrachtet das stärkste Pflaster der Rechts­po­pu­listen. Zur Euro­pa­wahl im Mai wurde die AfD in allen Revier-Wahl­kreisen“, Görlitz, Bautzen und Spree Neiße, mit Ergeb­nissen von über 30% stärkste Kraft. Auch am kommenden Sonntag wird die Partei bei den Land­tags­wahlen in Bran­den­burg und wohl große Zuwächse verbu­chen können. Für CDU und SPD im poli­ti­schen Berlin ging es in den letzten Wochen grade deshalb nicht nur um Klima­schutz­ge­setze, sondern auch um Wähler­stimmen. Darum die Lausitz nicht endgültig an die AfD zu verlieren, die im Wahl­kampf mit dem Thema Braun­kohle auf Stim­men­fang ging. Beson­ders für die CDU ist die Situa­tion ernst. Sogar so Ernst das Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer, am Wahl­abend wohl um seinen Land­tags­mandat bangen muss. 2017 verlor der dies­jäh­rige Spit­zen­kan­didat der CDU in seiner Heimat­stadt Görlitz, sein 15 jähriges Bundes­tags-Direkt­mandat an Tino Chrup­alla von der AfD. Seinem Heraus­forder Sebas­tian Wippel, der erst kürz­lich bei der Görlitzer Bürger­meis­ter­wahl knapp gegen den über­par­tei­li­chen Kandi­daten Ursu schei­terte, werden gute Chancen einge­räumt. Ein Verlust von Kret­schmers Direkt­mandat und ein schlechtes Abschneiden der CDU könnten das poli­ti­sche Ende von Michael Kret­schmer sein und auch der ange­schla­genen Bundes­vor­sit­zenden erheb­li­chen Schaden hinzu­fügen.

Viel Geld für die Lausitz

Also musste sich die Große Koali­tion bei dem Thema etwas audenken. Mona­te­lang handelten Wirtschaft,Politik und Umwelt­ver­bände in der soge­nannten Kohle-Komis­sion einen Plan aus, der den Ausstieg aus Braun und Stein­kohle, sowie die Zukunft der Betrof­fenen Regionen regeln sollte. Aus jenem Kompro­miss wurde nun das Struk­tur­stär­kungs­ge­setz“. Auch wenn dieses noch keine festen Abschalt­ter­mine der einzelnen Kraft­werke fest­legt, ist es für die Zukunft der Lausitz von hoher Bedeu­tung.

Die Bundes­re­gie­rung möchte auch nach dem Wegfall der Braun­kohle Arbeits­plätze in der Lausitz erhalten. Eine Region von Ener­gie­wirt­schaft und Indus­trie soll sie bleiben und dabei zukunfts­fä­hige Perspek­tiven bieten. Dazu soll vor allem Geld fließen. Infra­struktur, Forschungs­ein­rich­tungen, Kompe­tenz­zen­tren und Entwick­lungs­stand­orte – insge­samt 17 Milli­arden Euro werden in die Lausitz inves­tiert, um Unter­nehmen in die Gegend zu locken. Beson­ders der Ausbau der Anbin­dung an Straßen&Bahnnetz bringt hohe Ausgaben mit sich.

Ganze 17 Milli­arden Euro Inves­ti­tionen sollen getä­tigt, um ledig­lich 1,5 Milli­arden Euro an regio­naler Wert­schöp­fung auszu­glei­chen. Auf die Arbeits­plätze umge­rechnet gibt der Bund also unge­fähr eine Million Euro für jeden der circa 20.000 wegfal­lenden Arbeits­platz aus. Das sei zu viel Geld für einen zu geringen wirt­schaft­li­chen Gegen­wert“, beklagen Kritiker, wie Stefan Zundel, Volks­wirt­schafts­pro­fessor an der TU Cottbus. Doch hinter den hohen Summen verbirgt sich nicht nur eine wirt­schaft­liche Kosten-Nutzen Rech­nung. Es geht um die Wahrung von Iden­tität. Künf­tige Arbeits­plätze und Wirt­schafts­struktur, sollen zumin­dest irgendwie dem Bergbau glei­chen. Hundert Jahre Kohle­bergbau will man nicht einfach so fallen lassen. Die beson­ders radi­kalen Ost-Landes­ver­bände der AfD sollen es möglichst schwer haben die Struk­tur­hilfen schlecht zu reden.

Von der AfD hört man in jenem Kontext vor allem Warnungen über eine drohende Deindus­tria­li­sie­rung“, die den Menschen in der Lausitz von Berlin aus ihre Jobs vernichten würden. Die Angst­ma­cherei von einem zerstö­re­ri­schen Struk­tur­bruch wie der in Folge der Wieder­ver­ei­ni­gung, ergibt zusammen mit einem pola­ri­sie­renden Block­par­teien Feind­bild von CDU,SPD und Grünen den Wahl­kampf-Tonus im Vorfeld der Land­tags­wahl. Slogans wie Voll­ende die Wende“, Wende 2.0“, Wir sind das Volk“, Steh auf für den Osten“, oder Werde zum Bürger­rechtler“ machen das Skur­ille DDR-Wende Para­digma der AfD perfekt. Alles was der poli­ti­sche Gegner tut oder vor hat soll mit teils trau­ma­ti­schen Erfah­rungen aus dem DDR Regime und der Nach­wende Zeit in Verbin­dung gebracht werden. Für viele poli­ti­sche Beob­achter ist die Instru­men­ta­li­sie­rung der Wende Erfah­rungen von Millionen Ostdeut­schen zentraler Bestand­teil der dies­jäh­rigen Wahl­kampf Stra­tegie.

Eine Geschichte voller Hoff­nung

Das Bedienen von Ängsten gehört seit langem zum Reper­toire der Alter­na­tive. Hier in der Lausitz trifft es aber ganz beson­ders. Schon lange vor der Deut­schen Teilung wurde hier Kohle­bergbau betrieben. Eine Lausitz ohne Kohle, ist für Menschen die hier in der Region ihre Wurzeln haben, nahezu unvor­stellbar. Beides gehört zusammen.

Mit der Grün­dung der DDR wurde das Gebiet zur wich­tigsten Bergbau-Region der jungen Volks­re­pu­blik. Zum einen galt es möglichst schnell 17 Millionen Einwoh­nern mit Strom und Wärme zu versorgen, zum anderen wollte man gegen­über der Bundes­re­pu­blik wirt­schaft­lich konkur­renz­fähig bleiben. Schnell wurde der SED-Führung in Berlin klar, dass letz­teres nur mit einem enormen Kraft­auf­wand möglich sein dürfte. Schließ­lich hatte die Lausitzer Braun­kohle einen viel schlech­teren Brenn­wert als die Stein­kohle aus dem west­deut­schen Ruhr­pott. So eröff­nete man Tagebau, nach Tagebau. Gruben die heute Seen sind. Bis kurz vor der Wende waren in der DDR mehr als 80.000 Menschen direkt in der Kohle­wirt­schaft beschäf­tigt. Vier mal so viel als zur glei­chen in Zeit in den west­deut­schen Bundes­län­dern.

Um die benö­tigten Förder­mengen zu errei­chen suchte man hände­rin­gend nach Arbeits­kräften. Die Arbeits­kräfte für diesen riesigen Wirt­schafts­zweig kamen nicht einfach so herbei geflogen. Durch weit­flä­chige Werbe­initia­tiven der DDR Regie­rung zog es zehn­tau­sende Menschen nur 10 Jahre nach dem Krieg, strom­artig voller Hoff­nung gen Lausitz, in große Plan­städte die inner­halb weniger Jahre allein für den Kohle­bergbau aus dem Boden gestampft wurden. Plat­tenbau-Dschungel, riesige Wohn­kom­plexe dicht an dicht, im Stile des sozia­lis­ti­schen Wohnungsbau. Wer hier hin zog war Teil eines gewollten wirt­schaft­li­chen Aufbruchs. Der für viele Menschen nach dem Krieg dennoch ein neues Gefühl von Zuver­sicht brachte.

Das Para­de­bei­spiel der sozia­lis­ti­schen Plan­städte: Hoyers­werda. Vorher noch eine beschau­liche Klein­stadt, mit gut erhal­tenen Bauwerken aus der Renais­sance und inner­halb weniger Jahre zu einer sozia­lis­ti­schen Muster­stadt. Mit der Errich­tung des Kraft­werks Schwarze Pumpe“ nörd­lich der Stadt um 1955, stieg die Einwoh­ner­zahl von 9000, inner­halb weniger Jahre bis 1978 um das sieben­fache an. Hoyers­werda explo­dierte förm­lich. Heute würde man die östli­chen Stadt­teile von Hoyers­werda mit ihrer Plat­ten­land­schaft als Sozialer Brenn­punkt einordnen, doch damals waren sie das Zuhause Zehn­tau­sender Kohle Kumpels und deren Fami­lien. Beim Über­queren des Schwarze Elster Kanals, erlebt man heut­zu­tage Zwei komplett unter­schied­liche Geschichts­pe­ri­oden direkt neben­ein­ander.

Hoyers­werda erlebte wie viele andere Städte in der Lausitz, dank der Kohle, ein unge­kanntes Wachstum. Nicht nur die Städte wurden größer, sondern auch das Selbst­wert­ge­fühl ihrer Einwohner. Wenn hier das Förder­band stoppte, gingen im fernen Berlin die Lichter aus. Wer hier arbei­tete sorgte dafür das auch im kältesten Winter die Wohnungen vom Erzge­birge bis zur Ostsee warm blieben. Die Arbeit war eine stolze, die in der Propa­ganda des Regimes ihre beson­dere Wert­schät­zung bekam und den Leuten das Gefühl vermit­telte gebraucht zu werden und wichtig zu sein. 1981 erreichte die Bevöl­ke­rungs­zahl von Hoyers­werda mit 71.000 Einwoh­nern ihren Höchst­stand. Im vergleich zu den länd­li­chen Gebieten lebte man hier deut­lich besser. Heizungen, Parks, Wohn­ge­mein­schaften waren Norma­lität.

Den eins­tigen Stolz von Hoyers­werda aus Zeiten der Boom Jahre ist auch 30 Jahre nach dem Nieder­gang noch zu sehen. Mitten im Laby­rinth der Plat­ten­bauten ruht das Centrum, ein Waren­haus der Kette Centrum Waren­haus. In jeder bedeu­tenden Stadt der sozia­lis­ti­schen Repu­blik fand sich eines dieser Geschäfte mit ihrer kenn­zeich­nenden Kachel-Fassade aus Metall, die bei Sonnen­licht zu glänzen begann. Größer als die sons­tigen Kauf­häuser der Konsum-Genos­sen­schaften. Ausdruck von Moder­nität, Wohl­stand. Ausdruck einer florie­renden Stadt­ge­sell­schaft. Heute findet sich hier ein Aldi.

Mit dem Wieder­ver­ei­ni­gung von DDR und Bundes­re­pu­blik wurden große Teile der ostdeut­schen Indus­trie obsolet. In einem gemein­samen Wirt­schafts­raum waren die ehema­ligen volks­ei­genen Betriebe kaum Konkur­renz fähig und gingen bank­rott oder wurden durch die Treu­hand gere­gelt. Die Folge war Massen­ar­beits­lo­sig­keit. Der Wegfall hundert­tau­sender Arbeits­plätze in kürzester Zeit.

Auch in der Lausitz. 1991 verschwanden binnen eines Jahres fast 15.000 Jobs in den Lausitzer Tage­bauen und Kraft­werken. Viele weitere Tausende sollten in den Jahren danach folgen. 1997 hatte lag die Anzahl von Beschäf­tigen in den Tage­bauten mit 12.000 auf west­deut­schen Niveau. Auch Zuliefer Betriebe die etwa vom Kraft­werk Schwarze Pumpe abhängig waren machten dicht,

Enttäu­schung und Verbit­te­rung über Arbeits­lo­sig­keit wurden schnell zu einer Welle aus Wut und Frust, die darauf hin nur wenig später im September 1991, in dem auslän­di­schen Vertrags­ar­bei­tern ihre Bran­dung finden sollte. 5 Tage lang ließen Neo Nazis und teil­weise einfache Arbeiter Molo­tow­cock­tails und Steine fliegen. Drinnen vor allem Vertrags-Ange­stellte zu Gast aus sozia­lis­ti­schen Bruder­staaten wie Mosam­bique und Vietnam, die bis vor kurzen im Tagebau gear­beitet hatten. Gemeinsam mit den Kumpels die nun draußen standen und etwa 200 Rechten Gewalt­tä­tern beim Steine werfen applau­dierten und tatenlos zuschauten Polizei und Rechts­staat kapi­tu­lierten nach einer knappen Woche und evaku­ierten Flücht­linge und Vertrags­ar­beiter aus der Stadt. Szenen die man heute vor allem aus Rostock Lich­ten­hagen kennt. Ausklang von Hass und Verlust, denn der System­wechsel hatte sie arbeitslos gemacht.

Nach­wende Trauma

Bis heute haben Städte wie Hoyers­werda und Weiß­wasser, eins­tige Indus­trie­zen­tren, mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren und stehen darüber hinaus für die bis heute in Ostdeutsch­land nach­wir­kenden Misstände der Nach­wende Zeit. Glei­ches gilt für andere Ostdeut­sche Regionen. Für das was man heute Ungleich­heit der Lebens­ver­hält­nisse nennt. Für sozialen und wirt­schaft­li­chen Wunden der 90er und 2000er Jahre, die auch scheinbar 30 Jahre danach noch nicht ganz verheilt zu sein scheinen.

Mit der verschwin­denden Braun­kohle verschwand auch die anhäng­liche Indus­trie in der Region: Mit dem Groß­teil der Kohle­wirt­schaft verschwand auch die anhäng­liche Indus­trie in der Region: Die Textil­in­dus­trie in Görlitz, Löbau, Zittau, Guben, Forst und Cottbus. Chemie und Alumi­ni­um­ver­wer­tung in Schwarz­heide und Lauch­hammer. Sprem­berg stellte Möbel für ganz Ostdeutsch­land her. Heute ist bis auf Waggonbau in Niesky, BASF in Schwarz­heide und einer Glaß­fa­brik in Weiß­wasser sowie ein Siemens Werk in Görlitz kaum etwas vergleich­bares davon geblieben.

Heute sind die Lausitzer Land­kreise von starker Überalterung,Abwanderung und geringen Gebur­ten­raten geprägt. Nach Berech­nungen des Statis­ti­schen Bundes­amtes sowie der Statis­ti­schen Landes­ämter Bran­den­burgs und Sach­sens verloren die Revier Land­kreise der Lausitz seit 1990 durch Abwan­de­rung oder Tod, mehr als 20% ihrer Bevöl­ke­rung. Görlitz verlor fast nach der Wende fast ein ganzes Drittel seiner Einwoh­ner­zahl. Bundes­weit haben nur wenige Land­kreise einen derart großen Anteil an 60 und 75 jährigen. Beson­ders der Weggang junger Gene­ra­tion und fehlende Zuwan­de­rung resul­tieren in dem jetzigen Fach­kräf­te­mangel der Region. Auch beim Verfüg­baren Einkommen, der Arbeits­lo­sen­qoute und dem BIP pro Kopf hängen die Ostsäch­si­schen Kohle­re­gionen dem Rest der Bundes­re­pu­blik hinter her.

Eine perfide Stra­tegie

Als Stimme des Ostens“, müsste man meinen das sich die Alter­na­tive ganz beson­ders um die Zukunft der Region Gedanken macht. Sich Konzepte und Pläne erar­beitet, wie auch nach dem Ende der Braun­kohle, etwas gedeihen kann und Menschen iden­ti­täts­stif­tende Arbeit finden. Tun sie aber nicht. Und müssen sie auch nicht. Schließ­lich ist die Situa­tion so wie sie jetzt ist gut geeignet um geeig­nete Wahl­er­geb­nisse zu sichern.

Die aktu­elle Sozi­al­struktur der Lausitzer Land­kreise ist für den dortigen Erfolg der Alter­na­tive nämlich enorm wichtig. Nach einer Studie des Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schaft zu dem Wahl­aus­gang der Euro­pa­wahl 2019 und den damit verbun­denen Struk­tur­merk­malen, ergab sich folgendes Bild: “ Die AfD erzielt vor allem in solchen Kreisen hohe Stimm­an­teile, in denen viele Menschen abge­wan­dert sind, mehr Menschen ihren Arbeits­platz von Auto­ma­ti­sie­rung bedroht sehen, die Bevöl­ke­rung über­durch­schnitt­lich alt ist und in denen die wirt­schaft­liche Lage zu wünschen übrig lässt.“ Treffen die genannten Struk­tur­merk­male zu, ist das Ergebnis der AfD tenden­ziell höher. Dazu gehört beson­ders das ostsäch­si­sche Stadt Görlitz.

Weiter heißt es in der Studie: Inter­pre­tiert als Signal eines Vertrau­ens­ver­lusts in die Politik der beiden Regie­rungs­par­teien weist das Wahl­er­gebnis und damit auch unsere Analyse darauf hin, dass die Politik in den vergan­genen Jahren nicht genug geleistet hat, um möglichst gleich­wer­tige Lebens­ver­hält­nisse in Deutsch­land herzu­stellen.“ Als mögliche Gegen­maß­nahmen nennt die Studie Stär­kung der digi­talen Infra­struktur, Schaf­fung von Aus- und Weiter­bil­dungs­mög­lich­keiten, und eine ausrei­chende Finan­zie­rung der Kommunen, damit diese in die Infra­struktur inves­tieren können. Gene­rell müssten die Regionen attrak­tiver für Zuwan­de­rung werden damit auch nach dem Weggang von Altin­dus­trie neue Jobs entstehen.

Die Lausitz einfach so zu lassen wie sie jetzt ist, ist für die AfD lang­fristig wohl profi­ta­bler als sich aktiv in die Debatte einzu­bringen. 30 Jahre nach der Wieder­ver­ei­ni­gung kommt der Kohle­aus­stieg gut gelegen um an das zu erin­nern das für viele Ostdeut­sche immer noch eine schmerz­hafte Erin­ne­rung ist. Vor allem bei denje­nigen die sich nach der Wende nie gen Westen gemacht haben und dage­blieben sind, sitzen die Erin­ne­rungen tief. Urban,Kalbitz und Gauland liegt es daran eine bestimmte Szenerie zu etablieren die sich die Verlust und Exis­tenz­ängste der ostdeut­schen Bevöl­ke­rung zu nutze machen soll. Die Politik wolle ein urplötz­li­ches und kopflos Aussteigen, doch hier stünden tausende Arbeits­plätze in der Kohle auf dem Spiel und durch die Erhö­hung der Strom­kosten könne es zu einer größeren Entin­dus­tria­li­sie­rung und dem Wegfall ganzer Indus­trie­zweige kommen, entschieden von Poli­ti­kern die sich noch nie für diese Region inter­es­siert hätten“, so Kalbitz bei einer Wahl­kampf­ver­an­stal­tung in Cottbus vor Zwei Wochen.

Die gelebten Erfah­rungen der Ostdeut­schen Bevöl­ke­rung sollen keine Recht­fer­ti­gung sein AfD zu wählen oder sich mit rechts­ra­di­kalen Gedan­kengut anzu­freunden, dennoch können sie dabei helfen Wahl­ent­schei­dungen und das Aufkommen von Ressen­ti­ments zu erklären und nach­zu­voll­ziehen.



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Tobias Brendel