Wenn ich das Buch veröf­fent­liche, werden sie mich verfolgen“

Datum
03. Mai 2023
Autor*in
Rebekka Schäfer
Themen
#Pressefreiheit23 #Leben
Titelbild_Interview_Journalist aus Bangladesch

Titelbild_Interview_Journalist aus Bangladesch

© BMEIA; Angelika Lauber
Weil er mit seinen Texten das Regime kriti­sierte, musste ein Jour­na­list aus Bangla­desch fliehen. In Deutsch­land kann er seine Arbeit zwar fort­führen, die Unsi­cher­heit aber bleibt.

Eigent­lich sollte ich heute nicht hier sein, sondern zuhause bei meiner Familie und meinen Freunden“, sagt Sohel*. Denn heute ist Eid, das Fest des Fasten­bre­chens, an dem Muslim*innen welt­weit das Ende des Rama­dans begrüßen. Obwohl er kein prak­ti­zie­render Muslim ist, feiere er die Feste gerne, erzählt er. Es ist ein großes Ereignis, wir bereiten viel Essen vor. Dann kommen Freunde zu uns und wir feiern gemeinsam“. Doch dieses Jahr kann Sohel das Fasten­bre­chen am 21. April nicht mit seiner Familie feiern. Weit entfernt von seinem Zuhause in Bangla­desch sitzt er in einem sparsam einge­rich­teten Büro­raum. Der Raum im Dach­ge­schoss ist zwar von Sonnen­licht erleuchtet, dennoch erin­nert nichts an ein leben­diges Fest. Wo genau wir uns treffen, soll nicht bekannt werden. Denn obwohl Sohel sich hier eini­ger­maßen sicher fühlt, muss er vorsichtig sein.

Weil er in Bangla­desch als Jour­na­list gear­beitet hat und dort regie­rungs­kri­ti­sche Texte veröf­fent­lichte, musste Sohel das Land verlassen. Nun lebt er im Exil in Deutsch­land. In seinen Recher­chen schrieb er über Terro­rismus und Terro­ris­mus­be­kämp­fung, Korrup­tion und Menschen­rechts­ver­let­zungen – und geriet damit ins Visier der Sicher­heits­be­hörden.

Ein feind­li­ches Umfeld für kriti­sche Journalist*innen

Wenn in der jüngsten Vergan­gen­heit in Deutsch­land über Pres­se­frei­heit disku­tiert wurde, lag der Fokus oft auf Ländern wie der Türkei, Iran oder Russ­land. Andere Länder – wie auch Bangla­desch – geraten schnell aus dem Blick­feld. Dabei hat sich die Lage der Pres­se­frei­heit dort in den letzten Jahren dras­tisch verschlech­tert. Auf der Rang­liste der Pres­se­frei­heit, die jähr­lich von der unab­hän­gigen NGO Reporter ohne Grenzen veröf­fent­licht wird, rutschte Bangla­desch allein im Vergleich zum Vorjahr um zehn Plätze nach unten – und landete im Jahr 2022 auf Platz 162 von 180. Vor allem Sicher­heits­be­hörden und isla­mis­ti­sche Grup­pie­rungen stellen eine Gefahr für unab­hän­gige Journalist*innen dar und schränken sie stark in ihrer Arbeit ein. Insbe­son­dere dieje­nigen, die zu heiklen Themen wie Korrup­tion und Menschen­rechts­ver­let­zungen berichten, werden ange­griffen und verfolgt. Sechs Journalist*innen saßen im Jahr 2022 aufgrund ihrer Arbeit im Gefängnis.

Im August 2018 wurde der benga­li­sche Foto­jour­na­list Shahidul Alam fest­ge­nommen, nachdem er die Regie­rung für ihren gewalt­vollen Einsatz gegen Studie­ren­den­pro­teste kriti­sierte. Nach über 100 Tagen wurde er frei­ge­lassen, jedoch droht ihm bis heute eine lang­jäh­rige Gefäng­nis­strafe. Es geraten aber nicht nur einzelne Personen ins Visier der benga­li­schen Sicher­heits­be­hörden. Kurz nachdem ich Bangla­desch verlassen habe, wurde die Zeitung der wich­tigsten Oppo­si­ti­ons­partei aufge­löst“, erzählt Sohel. Gemeint ist die Dainik Dinkal‘, die ein Jahr vor den nächsten Parla­ments­wahlen ihre Arbeit einstellen musste.

In den letzten Jahren hätte sich das Regime in Bangla­desch immer auto­kra­ti­scher gewan­delt, berichtet Sohel. Beson­ders ein Gesetz, das für die Verbrei­tung nega­tiver Propa­ganda“, wie es in den Worten der Regie­rung beschrieben wird, eine Gefäng­nis­strafe von bis zu 14 Jahren vorsieht, schränkt die Arbeit kriti­scher Journalist*innen massiv ein. Als Sohel vor 25 Jahren nach Dhaka zog und als Campus-Reporter seinen Weg in den Jour­na­lismus fand, hätte er sich über die Pres­se­frei­heit noch nicht so sehr gesorgt: Damals konnten wir alles schreiben – natür­lich gab es einige Vorfälle, aber die waren isoliert. Wir konnten die Regie­rung kriti­sieren, ohne, dass jemand kam und dich einge­schüch­tert oder verhaftet hat.“ Nachdem Sohel sein Jour­na­lismus-Studium abge­schlossen hatte, schrieb er für verschie­dene Medien, darunter The Daily Star, eine der führenden englisch­spra­chigen Zeitungen in Bangla­desch.

In den letzten Monaten habe ich mich nur noch versteckt“

Heute trägt er einen dunkel­blauen Pull­over, darunter ein Hemd. Der markante Rahmen seiner Brille lässt ihn ernst wirken. Wenn Sohel spricht, wirkt er gefasst, obwohl seine Geschichte aufwühlt. Lange hätte er die Gefahr, in der er schwebte, nicht ernst genommen. Ich sagte meiner Familie, dass nichts passieren würde. Dann wurde ich von jemandem gewarnt, dass die Sicher­heits­be­hörden auf mich aufmerksam geworden waren“. Obwohl er wusste, dass er über­wacht wurde, wollte Sohel nicht mit seinen Recher­chen aufhören. Es war wie eine Mission für mich. Ich wusste, wie wichtig es ist, dass das Buch veröf­fent­licht wird“. Der Moment, in dem er reali­sierte, dass das Risiko zu hoch wurde, war, als er bemerkte, dass eine Schad­soft­ware auf seinem Handy instal­liert war. Zu diesem Zeit­punkt wusste ich, dass ich wirk­lich in Gefahr war. Also habe ich es ernst genommen“, sagt er. Das Land zu verlassen, schien nun die einzige Möglich­keit zu sein, einer Verhaf­tung zu entgehen – und um seine Arbeit fort­zu­setzen. Bis er Bangla­desch verlassen konnte, musste Sohel sehr vorsichtig sein. In den letzten Monaten habe ich mich nur noch versteckt. Ich habe kaum das Haus verlassen, niemanden mehr getroffen“. Sobald sein Visum geneh­migt wurde, reiste er aus – und kam nach Deutsch­land.

Spricht Sohel über die erste Zeit nach seiner Ankunft, weicht die entschlos­sene, klare Art, in der er spricht, und er wirkt nach­denk­li­cher. Es war sehr schwer am Anfang. Ich kenne nur wenige Leute hier und meine Familie ist weit weg“, sagt er. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich von der Welt abge­kop­pelt.“ In abso­luter Sicher­heit ist Sohel auch in Deutsch­land nicht. Von sozialen Medien hat er sich weit­ge­hend zurück­ge­zogen. Selbst, wenn ich hier sitze, kann ich nicht offen die Regie­rung kriti­sieren“. Weil er selbst nicht mehr in Bangla­desch ist, würde dann seine Familie bedroht und unter Druck gesetzt werden – mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen.

Obwohl die ersten Wochen in Deutsch­land schwer waren, hätte es dennoch eine gute Seite, dass er gerade nicht in Bangla­desch sein kann, erzählt Sohel: Hier habe ich Zeit, um an meinem Buch weiter­zu­schreiben“. Er arbeitet gerade an einer wissen­schaft­li­chen Publi­ka­tion über die Rolle von Frauen in terro­ris­ti­schen Gruppen in Bangla­desch, die in den nächsten Monaten in Deutsch­land veröf­fent­licht werden soll. Es wird ein Buch sein, das sensible Infor­ma­tionen über Verwick­lungen der benga­li­schen Sicher­heits­be­hörden in gravie­rende Menschen­rechts­ver­let­zungen enthält.

Der Preis, den Sohel für die Veröf­fent­li­chung zahlt, ist hoch. Denn er riskiert damit, dass er viel­leicht nicht mehr nach Bangla­desch zurück­kehren kann. Alles hängt von der Reak­tion der Regie­rung und der Sicher­heits­be­hörden ab. Wenn ich das Buch veröf­fent­liche, werden sie mich verfolgen“, davon geht Sohel aus. Dann droht ihm eine Verhaf­tung, sollte er nach Dhaka zurück­kehren. Trotz der großen Unge­wiss­heit, in der seine Zukunft schwebt, wirkt er zuver­sicht­lich. Eigent­lich sollte ich jetzt bei meiner Familie sein und wir würden gemeinsam feiern, statt­dessen sitze ich hier und gebe ein Inter­view“, sagt er scher­zend. Und fügt ernster hinzu: Ich möchte nicht vom Schlimmsten ausgehen, aber wenn das Risiko für mich zu hoch ist, kann ich nicht zurück­gehen“. Was dann passiere, wisse er nicht. Eine Möglich­keit wäre, in Deutsch­land Asyl zu bean­tragen. Das ist aber die letzte Option“, sagt er. Denn ein Asyl­an­trag würde einen langen Aner­ken­nungs­pro­zess bedeuten, in dem er bis zu acht Jahre lang nicht nach Bangla­desch zurück­kehren kann. Auch nicht an Eid.

*Name von der Redak­tion geän­dert. Der volle Name des in Bangla­desch verfolgten Jour­na­listen ist der Redak­tion bekannt.


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