Zwischen Polizei und Demons­trie­renden: Bericht­erstat­tung aus Lützerath

Datum
03. Mai 2023
Autor*in
Jacqueline Scholtes
Themen
#Pressefreiheit23 #Medien
Demo Lützeratz

Demo Lützeratz

Ein*e Polizist*in entwendet einem*r Journalist*in ihr Telefon beim Versuch Jörg Reichel vom Journalist*innenverband zu erreichen. Foto: Moritz Heck
Ein kleinen Ort in Nord­rhein-West­falen: Der Weiler Lützerath wurde geräumt. Aktivist*innen stellten sich dieser Räumung in den Weg, die Presse verfolgte das Geschehen – aller­dings mit erheb­li­chen Einschrän­kungen.

Anfang des Jahres rich­teten sich national und inter­na­tional alle Augen auf einen kleinen Ort in Nord­rhein-West­falen: Der Weiler Lützerath wurde geräumt. Er musste weichen für den Tagebau Garz­weiler II. Aktivist*innen stellten sich dieser Räumung in den Weg, die Presse verfolgte das Geschehen – aller­dings mit erheb­li­chen Einschrän­kungen.

Jour­na­lis­ti­sches Arbeiten in Lützerath soll zeit­lich und räum­lich begrenzt“ werden. So zitiert die taz einen Leit­faden, den der Ener­gie­ver­sor­gungs­kon­zern RWE zum Umgang mit der Presse erar­beitet hat. Ein Einschnitt in die Pres­se­frei­heit: In einem so demo­kra­ti­schen Land wie Deutsch­land eigent­lich unvor­stellbar und trotzdem Realität. Immer wieder werden Medi­en­schaf­fende auch hier­zu­lande an ihrer Tätig­keit gehin­dert. Gerade heute, am Tag der Pres­se­frei­heit, wird das wieder beson­ders deut­lich. Erneut rutscht Deutsch­land im Ranking von Reporter ohne Grenzen (RSF) ab, diesmal auf Platz 21 – dem nied­rigsten seit Erstellen des Rankings.

Dabei ist es fatal zu glauben, dass das nur an Quer­denker-Demos liegt. Lotte Laloire, Pres­se­re­fe­rentin bei RSF, sieht auch bei Klima-Demons­tra­tionen eine besorg­nis­er­re­gend hohe Anzahl an Angriffen“ auf die Presse. Deshalb hat auch die Deut­sche Jour­na­lis­tinnen- und Jour­na­listen-Union (dju) in der Gewerk­schaft ver.di genau diese Demos im Blick. In der Vergan­gen­heit haben wir in Sachen Pres­se­frei­heit bei Klima-Demons­tra­tionen schlechte Erfah­rungen gemacht“, berichtet Jörg Reichel. Er ist der Geschäfts­führer der dju Berlin-Bran­den­burg und war bei der Räumung von Lützerath vor Ort. Dort fungierte er als Mittels­mann und über­nahm die Kommu­ni­ka­tion zwischen der Polizei, der Secu­rity von RWE und der Presse. Er doku­men­tierte darüber hinaus Verstöße gegen die Pres­se­frei­heit. Anschlie­ßend veröf­fent­lichte er eine Bilanz – und die fällt nicht gut aus.

Reichel bewertet zwar die Arbeits­be­din­gungen für Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen inner­halb des Dorfes als positiv und über­wie­gend pres­se­freund­lich“. Er kriti­siert jedoch, dass eine Struktur an Verboten und Geboten rund um Lützerath“ kreiert wurde, die Journalist*innen in unter­schied­li­cher Art und Weise einschränkte. Zusätz­liche Akkre­di­tie­rungs­ver­fahren oder zeit­liche und räum­liche Einschrän­kungen erschwerten die Arbeit struk­tu­rell. Durch tätliche und sexu­elle Über­griffe sowie Belei­di­gungen wurden Pressevertreter*innen in Einzel­fällen Opfer von Repres­sionen.

Frag­wür­dige Akkre­di­tie­rungen

Einer der Foto­grafen vor Ort war Ingmar Nolting. Er berichtet, dass neben dem Pres­se­aus­weis, der für gewöhn­lich als Nach­weis jour­na­lis­ti­scher Tätig­keit ausreicht, in Lützerath eine weitere Akkre­di­tie­rung durch die Polizei notwendig gewesen sei. Zusätz­lich mussten Journalist*innen eine Haftungs­ver­ein­ba­rung gegen­über RWE unter­schreiben. Damit erklärten sie, dass sie Lützerath auf eigene Gefahr und auf eigenes Risiko“ betreten. Unmit­telbar nach dem Unter­zeichnen soll es dann aller­dings zu Hinter­grund­checks und Abfragen von Daten­banken durch die Polizei gekommen sein, kriti­siert die dju.

Medi­en­rechtler Tobias Gostomzyk von der TU Dort­mund erklärt, dass eine zusätz­liche Akkre­di­tie­rung durchaus plau­sibel sein kann. Bei besagtem Gelände habe es sich zum Zeit­punkt der Räumung bereits um Privat­ei­gentum der RWE gehan­delt. Damit gelte das Haus­recht, so Gostomzyk. Die dju ist aller­dings der Auffas­sung, dass an dem Fall Lützerath ein hohes öffent­li­ches Inter­esse bestand. Aus diesem Grund müsse der Zutritt für Journalist*innen ohne große Hürden gegeben sein. Größ­ten­teils wurde er zwar gestattet, aller­dings nur unter erschwerten und undurch­sich­tigen Bedin­gungen.

Zeit­liche und räum­liche Begren­zung

Ich möchte nicht den Service der Polizei annehmen, um meine Arbeit auszu­führen“, ärgert sich der Foto­graf Ingmar Nolting, denn der Zutritt zu Lützerath war für Journalist*innen nur mit einem Shuttle-Service der Polizei möglich. Laut dju gab es außerdem nicht genü­gend Zugänge und diese wurden wieder­holt über längere Zeit­räume geschlossen.

Im Weiler waren bestimmte Bereiche nicht betretbar. Andere nur zu bestimmten Uhrzeiten – und das, obwohl auch außer­halb dieser Zeit­fenster Demons­tra­tionen und Einsätze statt­ge­funden haben. Jörg Reichel von der dju berichtet, dass zeit­weilig Gebäude gesperrt wurden, während im Inneren Einsätze statt­fanden. Eine unab­hän­gige Bericht­erstat­tung über diese Poli­zei­ein­sätze war so nicht möglich. Dem steht auch Medi­en­rechtler Gostomzyk kritisch gegen­über: Immer, wenn derar­tige, viel beach­tete Poli­zei­ein­sätze wie in Lützerath statt­finden, muss auch die Presse nach meiner Auffas­sung im Dienste der Öffent­lich­keit beglei­tend berichten können“, mahnt er.

Direkte Angriffe auf Journalist*innen

Schi­ka­nöses Verhalten seitens der Polizei und Secu­rity soll eben­falls kein Einzel­fall gewesen sein, bilan­ziert die dju. Manchmal hieß es einfach Hier nicht’ oder Lauf da lang’“, erin­nert sich Foto­graf Nolting. Dann haben die Journalist*innen scheinbar unbe­gründet durch Matsch statt auf festem Boden laufen müssen. In einem Fall sollen auch Demons­trie­rende die Presse ange­griffen haben. Bei einer Demons­tra­tion gingen Teilnehmer*innen ein Kame­ra­team des nieder­län­di­schen Senders PowNed körper­lich an, schil­dert dju-Geschäfts­führer Reichel.

Auch verzeich­nete die dju konkrete tätliche Über­griffe auf Medi­en­schaf­fende. In mehreren Fällen sollen Journalist*innen körper­lich ange­gangen worden sein. Sexu­elle Belei­di­gungen sowie ein sexu­eller Über­griff werden eben­falls aufge­führt. Davon berichtet die betrof­fene Jour­na­listin Armilla Brandt auf Twitter. Ein Poli­zist sei sehr nah an ihr vorbei­ge­laufen und habe ihr an den Po gefasst, schreibt sie.

Im Jour­na­lismus gab es immer so eine gewisse Zurück­hal­tung, sich selbst zu thema­ti­sieren“, erin­nert sich Reichel. Über Angriffe auf die eigenen Journalist*innen wollte man lange nicht berichten. Doch immer mehr Journalist*innen, Verleger*innen und Chefredakteur*innen seien nun dazu bereit, genau diese zu thema­ti­sieren. Die Zurück­hal­tung sei mehr oder minder gewi­chen. Es wird nicht mehr still gelitten, es wird darüber berichtet. Das ist etwas, was ein Dunkel­feld erhellt“, sagt Reichel. Und das ist auch richtig so!“


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