Wahl­kampf geht auch auf Tinder“

Datum
31. Juli 2017
Autor*in
Jule Zentek
Thema
#poBTW17
Bildschirmfoto 2017-07-25 um 11.55.36

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Martin Fuchs. Foto: Privat

Martin Fuchs_facebook

Politikberater Martin Fuchs spricht auf Veranstaltungen über Parteien und deren Kommunikation. Foto: Privat

Martin Fuchs gibt gerne seinen Senf dazu – und zwar zur Politik. Als Wahl­be­ob­achter und Poli­tik­be­rater kennt er sich aus mit der Partei­en­welt in Deutsch­land. Im Inter­view mit Jule Zentek erzählt er, wie es derzeit im Wahl­kampf zur Bundes­tagswahl abläuft. 

Kaum ist der Tweet eines Poli­ti­kers oder einer Poli­ti­kerin raus, hat Martin Fuchs ihn schon gelesen. Der Wahl­ham­burger kennt sich aus mit dem poli­ti­schen Geschehen und beob­achtet vor allem den Onlineauftritt von deut­schen Poli­ti­ke­rinnen und Poli­ti­kern und deren Parteien. Als Poli­tik­be­rater berät er Regie­rungen, Parla­mente, Parteien und Poli­ti­ke­rinnen bzw. Poli­tiker zum Thema digi­tale Kommu­ni­ka­tion. 

Martin, wie infor­mierst du dich jeden Tag über Politik?

Ich bin ein Infor­ma­ti­ons­junkie. 24 Stunden mache ich nichts anderes: Auf Twitter schaue ich, was nachts passiert ist und lese jeden Morgen News­letter. Dann habe ich noch Moni­to­rings ange­legt, also neusten Blog- und Social-Media-Beiträge, die ich über den Tag hinweg lese. Aller­dings habe ich auch mitt­ler­weile den Luxus, dass mir meine Commu­nity Sachen aus Regie­rungs­zen­tralen und anderen Berei­chen zusendet.

Poli­tik­be­rater – dein Berufs­wunsch seit der Kind­heit oder eher Zufall?

Bis vor vielen Jahren wusste ich gar nicht, dass es einen Poli­tik­be­rater gibt. Das hat sich einfach ergeben. Ich war immer ein poli­tisch denkender Mensch, hatte aber nie den Bedarf in die ersten Reihen der Politik zu gehen. Ich wollte immer noch ein Privat­leben haben. Also schaute ich, was in der zweiten und dritten Reihe der Politik so passiert. Nach meinem medi­en­wis­sen­schaft­li­chen Studium arbeite ich als Lobbyist. Daraus entstand dann die Lust, was Neues zu tun. Ich sah Nach­hol­be­darf im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung in der Politik und Verwal­tung. So kam ich zur Grün­dung meines Blogs und so zu meinem Geschäfts­mo­dell als Poli­tik­be­rater.

Du darfst also immer deinen Senf dazu­geben – wie fühlt sich das an?

Wenn man das jeden Tag macht, vergisst man, dass man mit vermeint­lich mäch­tigen Leute zusam­men­sitzt. Die sind aber auch nur normale Menschen. Natür­lich freut man sich, wenn die eigenen Sachen umge­setzt werden und dann auch noch funk­tio­nieren. Das ist ein sehr erha­benes Gefühl. Aber ich glaube in keinem Bera­tungs­pro­jekt wurde jemals eins zu eins umge­setzt, das wäre wohl der Traum jedes Bera­ters. In der Verwal­tung gibt es so viele Leute, die rein­reden und so viele Gesetze und Verord­nungen, als dass man Dinge einfach umsetzen kann.

Wie ist es zu deinem Blog Hamburger Wahl­be­ob­achter“ gekommen?

Als ich 2011 nach einem Sabba­tical-Jahr zurück nach Hamburg kam, wurde über­ra­schend und kurz­fristig eine Bürger­schafts­wahl ange­setzt. Sechs Wochen lang habe ich dann jeden Tag alle Zeitungen gelesen und fest­ge­stellt, dass die klas­si­schen Medien mich als Wähler über­haupt nicht infor­miert haben. Daher habe ich ange­fangen selbst zu recher­chieren und auf dem Blog zu veröf­fent­li­chen. Inner­halb von drei Wochen hatte ich zwei Skan­dale aufge­deckt. In Hamburg war ich auf einmal allen Jour­na­listen und vielen Poli­ti­kern bekannt. Und ich bekam auch von meinen Lesern gutes Feed­back. Das war Moti­va­tion genug.

Was waren das für Skan­dale?

Die Stadt Hamburg hatte damals ein Wahl­portal, in dem nur die vier größten Parteien und die FDP vertreten wurde. Das fand ich unde­mo­kra­tisch und habe dann Blog­ein­träge dazu verfasst. Der Senat musste drei Tage später eine Pres­se­kon­fe­renz abgeben und das Wahl­portal abschalten. Die dama­lige FDP-Spit­zen­kan­di­datin Katja Suding gab an als Kommu­ni­ka­ti­ons­be­ra­terin zu arbeiten. Doch ich habe dann heraus­ge­funden, dass sie kurz vor dem Wahl­kampf Alko­hol­lob­byist wurde und den größten inter­na­tio­nalen Alko­hol­kon­zern in poli­ti­schen Fragen beriet. Eine wich­tige Info für die Bürger. Also bloggte ich darüber, als erster.

Bloggst du aktuell über die Bundes­tags­wahl?

Das ist eine Achil­les­sehne. Da ich aktuell so viel zu tun habe, komme ich gar nicht mehr richtig dazu aber es wird defi­nitiv zur Bundes­tags­wahl wieder Blog­ein­träge geben. Ich blogge auch jeden Tag auf Twitter und Face­book.

Wie ist der Wahl­kampf 2017 anders als der vor vier Jahren?

Wir erleben einen wesent­lich span­nen­deren Wahl­kampf als vor vier oder acht Jahren. Rot-Rot-Grün wäre möglich und das moti­viert die Parteien und viele Wahl­kämpfer. Das wiederum fordert das konser­va­tive Lager, die CSU und die FDP heraus. Zwei­tens hat sich die Welt in den letzten vier Jahren extrem weiter­ent­wi­ckelt, was das Kommu­ni­ka­tions- und Infor­ma­ti­ons­ver­halten der Bevöl­ke­rung, aber auch was die Entwick­lung der Tech­no­logie angeht. Der Wahl­kampf wird stärker auf Online-Medien basieren. Zum Beispiel werden Parteien nicht mehr nur selbst kommu­ni­zieren, sondern Leute mobi­li­sieren, die digital in ihrem Freun­des­kreis für eine Partei werben.

Welche Rolle spielt der Online-Wahl­kampf für die Entschei­dung der Wähler?

Wahl­ent­schei­dungen sind so komplex, dasss es schwierig ist zu sagen, welches Tool welchen Anteil zur Wahl­ent­schei­dung beigetragen hat. Aber über Social-Media kann ein wesent­li­ches Vertrauen zu Parteien und Poli­tiker wieder­her­ge­stellt werden. Und es gibt immer mehr Menschen, die sich nur noch über Online­quellen und Social Media infor­mieren. Da ist es schon ein Must für die Parteien, dort präsent zu sein. Außerdem hat man über Online-Werbung die Chance, nicht nur ziel­ge­richtet Leute zu errei­chen, sondern auch sehr schnell eine enorm große Reich­weite zu haben und das für ein kleines Budget.

Face­book, Twitter, Insta­gram oder Snap­chat – welche Online-Platt­form ist für Parteien eigent­lich am sinn­vollsten?

Das ist abhängig davon, wen die Partei errei­chen möchte. Das sind bestimmte Leute, mit einem bestimmten sozio­de­mo­gra­fi­schen Hinter­grund, aus bestimmten Gebieten, mit bestimmten Alters­struk­turen und so weiter. Das kann für eine Partei wie die NEOS in Öster­reich Tinder sein. Das kann für die FDP Xing oder LinkedIn sein. Das kann am Ende des Tages auch Face­book sein. Was natür­lich jede Partei hat, sind Face­book und Twitter. Das heißt aber nicht, dass es die effek­tivsten Kanäle sind.

Welche Parteien nutzen die Möglich­keiten von Social Media wirk­lich gut aus und wer kann sich da noch verbes­sern?

Vom Gefühl her würde ich sagen, dass kleine Parteien große Vorteile haben, weil sie weniger Hier­ar­chien haben und viel­leicht auch mutiger sind. Außerdem haben sie weniger Budget und wollen dann direkt mehr online machen. Speziell gefällt mir das, was gerade die FDP und auch in Teilen, was die Grünen machen. Die haben die Netz­kultur mit ihrem Witz, der Selbst­ironie und Selbst­kritik komplett verin­ner­licht. Das größte Nach­hol­po­ten­zial haben hingegen die Parteien auf Landes- und Kommu­nal­ebene. Wenn ich mir einige von den 4.000 Kandi­daten angucke, hat rund die Hälfte Online nicht verstanden. Und natür­lich haben die großen Volks­par­teien den größten Nach­hol­be­darf. Da sitzen mittel­alte Männer und Frauen, die kein Gefühl für das Internet und keinen Mut haben, Kontroll- und Infor­ma­ti­ons­ver­lust zuzu­lassen. Gerade das benö­tigt aber Social Media.

Die Chance für einen Fauxpas von Poli­ti­kern auf Social Media ist groß, das hat Peter Tauber erst neulich gezeigt. Welche Dos und Don’ts gibt es im Online-Wahl­kampf?

Poli­tiker wollen Diskurse anstoßen. Und was hat Peter Tauber gemacht? Er hat in einem emotio­nalen Moment eine Antwort hinge­schlu­dert, die einen Riesen­dis­kurs in Deutsch­land initi­ierte. Das war eine Riesen­chance für die CDU ihre sozi­al­po­li­ti­schen Forde­rungen deut­lich zu machen. Also im Grunde genommen ist das, was Peter Tauber gemacht hat, für mich kein Fauxpas, sondern Best Prac­tice. Der größte Fauxpas den man machen kann, ist keinen Mut zu haben und seine Accounts nicht zu pflegen. Das sehe ich leider sehr oft, insbe­son­dere bei SPD-Kandi­daten. Die haben dann so eine schöne Face­book-Seite für drei, vier Monate und nach der Wahl wird die sofort gelöscht.

Bundes­tags­wahl 2021: Wie sehen die Bundes­tags­wahlen zukünftig aus?

Das kann ich so natür­lich nicht sagen. Aber wir sehen einen Trend zur Messen­ge­ri­sie­rung der Gesell­schaft. Kommu­ni­ka­tion wird immer stärker in geschlos­sene Bereiche abwan­dern, also in Face­book-Messenger, Signal, Whatsapp. Zum Beispiel mithilfe von Bots. Ein weiterer Trend ist, dass man in Zukunft von einem Wahl­kampf spre­chen wird, der dann für verschie­dene Ziel­gruppen, auf verschie­denen Platt­formen und Kanälen geführt wird und inte­griert erfolgt. Das heißt, wenn ich etwas online mache, versuche ich trotzdem auch die Leute für eine Offline-Veran­stal­tung zu mobi­li­sieren. Wenn ich offline einen Haus­tür­wahl­kampf mache, muss ich den in Echt­zeit begleiten, damit das wesent­lich mehr Leute mitkriegen. Und als dritten Trend werden wir wesent­lich mehr mit analy­sierten Daten arbeiten. Dadurch ist ziel­ge­rich­teter Werbung möglich und Parteien bekommen ein besseres Stim­mungs­bild, wodurch sie dann auch besser wissen, wie sie Themen aufbe­reiten müssen.

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