To Be or Not to Be – Jugend­liche stellen Teil­habe in Frage

Datum
09. Dezember 2019
Autor*in
Leander Löwe
Thema
#Jugendstrategie19
Merkel und Giffey

Merkel und Giffey

Foto: Sascha Kemper

Schein­par­ti­zi­pa­tion. Dieses Wort schwebte für viele Jugend­liche über dem Termin zur Vorstel­lung der Jugend­stra­tegie der Bundes­re­gie­rung im Bundes­kanz­leramt. Sie fühlen sich durch das Papier kaum wahr­ge­nommen, fürchten Schwie­rig­keiten bei der Umset­zung und eine Instru­men­ta­li­sie­rung durch die Politik. Leander Löwe kommen­tiert.

Junge Menschen stärker an der Bundes­po­litik zu betei­ligen ist eines der Ziele des Koali­ti­ons­ver­trages. Dort heißt es:

Die Teil­habe von jungen Menschen wollen wir auf allen Ebenen stärken und weitere Betei­li­gungs­for­mate unter­stützen. Wir wollen Jugend­liche für Politik begeis­tern und die Akzep­tanz unserer Demo­kratie stärken.“

Doch es gibt verschie­dene Punkte, die daran zwei­feln lassen, dass die Bundes­re­gie­rung es wirk­lich ernst meint mit der verspro­chenen Betei­li­gung von Jugend­li­chen an der Bundes­po­litik.

Ein erster Streit­punkt ist die direkte Einbin­dung in Entschei­dungs­fragen. Denn auch wenn jugend­liche Forde­rungen abge­fragt und in der Erar­bei­tung der Jugend­stra­tegie mit einbe­zogen worden sind, werden die jungen Menschen in keinem Fall direkt an Entschei­dungen betei­ligt. Und das, obwohl dies eine klare Forde­rung der Jugend­Po­li­tik­Tage war.

Allein die Zusam­men­set­zung der unter­schied­li­chen Arbeits­gruppen im Rahmen der #JPT19 sehen die Jugend­li­chen kritisch. Beim genauerer Betrach­tung war die Viel­falt trotz aller Bemü­hungen noch begrenzt und bleibt ausbau­fähig. Sowohl bei der Erar­bei­tung als auch bei der Vorstel­lung der Jugend­stra­tegie waren kaum junge Menschen anwe­send, die kein Hoch­schul­stu­dium absol­vierten oder einer Minder­heit ange­hörten. So berichtet eine Teil­neh­merin.

Verwun­der­lich ist auch die Intrans­pa­renz der Entste­hungs­pro­zesse der Jugend­stra­tegie. Das Bundes­mi­nis­te­rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend demen­tiert sie: von einem offenen Dialog­pro­zess“ ist dort die Rede. Doch stellt sich direkt bei Aushän­di­gung des druck­fri­schen Stra­te­gie­pa­piers eine Reihe von Fragen, deren Antworten nicht wirk­lich zufrie­den­stel­lend sind: Wie genau sind eigent­lich die neun kunter­bunt designten Hand­lungs­felder entstanden?

Laut Stra­tegie wurde für die Hand­lungs­felder

jeweils aus der Perspek­tive der Lebens­welt junger Menschen eine Analyse der Ausgangs­lage durch­ge­führt und entspre­chende Hand­lungs­be­darfe iden­ti­fi­ziert, die im weiteren Verlauf der Jugend­stra­tegie mit konkreten Maßnahmen ange­gangen werden“.

Aber wie sollen sich die Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter im Bundes­ju­gend­mi­nis­te­rium in die Perspek­tive der Lebens­welt junger Menschen versetzt haben, wenn sie sich selbst in einer anderen Lebens­si­tua­tion befinden? Woher soll am Ende die Gewiss­heit stammen, dass die externe Analyse tatsäch­lich eine Reprä­sen­ta­tion der jugend­li­chen Wünsche impli­ziert? Und – eine Grund­satz­frage – warum wird bei der Wieder­gabe von jugend­li­chen Forde­rungen über­haupt durch das Minis­te­rium gefil­tert?

Es bleibt das Gefühl, dass die Bundes­re­gie­rung eine Stra­tegie vorstellt, die Probleme zwar grob analy­siert, aber nicht anpackt. Dieses Gefühl ist in Anbe­tracht der Präsen­ta­tion der Stra­tegie durchaus berech­tigt. Bei der hat die Bundes­re­gie­rung offen­sicht­lich versucht, eine Stra­tegie nur durch das Einladen von 150 Jugend­li­chen zu legi­ti­mieren und veri­fi­zieren, ohne sie die Stra­tegie zuvor lesen zu lassen. Dabei sollten mehrere Gefahren ausge­blendet werden: Zunächst die, dass Anliegen der Jugend­li­chen tatsäch­lich nicht ausrei­chend reprä­sen­tiert sein könnten. Weiter aber auch Probleme bei der Reali­sier­bar­keit, der zum Teil sehr schwach formu­lierten Forde­rungen.

Zu jedem Hand­lungs­feld zählt das Papier nach den Forde­rungen auch Maßnahmen“ auf. Selten sind diese aber ausrei­chend spezi­fi­ziert. Ein Beispiel dafür: der Frei­wil­li­gen­dienst natur­weit“. Dieser wird vom Träger kultur­weit“ als ergän­zende Bildungs­maß­nahme verstanden, die Lern­pro­zesse anstoßen und Perspek­tiven verän­dern soll. In der Stra­tegie wird er aller­dings als Umwelt­maß­nahme präsen­tiert. Die Frei­wil­ligen nehmen dafür Lang­stre­cken­flüge auf sich, leisten vor Ort aber keine nach­hal­tige Entwick­lungs­ar­beit für den Umwelt­schutz. Das wird in der Stra­tegie den Hinter­grund gerückt. Die Maßnahme geht also deut­lich an der scharfen Forde­rung der Jugend­li­chen vorbei, die vorrangig einen Ausbau der Bildung inner­halb von Insti­tu­tionen wie Schule oder Hoch­schule sowie umwelt­po­li­ti­sches Handeln von wirt­schaft­li­chen Akteu­rinnen und Akteuren fordert.

Eine Stimme des Bundes­mi­nis­te­riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sagte dazu bei einer Abend­ver­an­stal­tung am Vorabend der Stra­te­gie­vor­stel­lung: Es war auch schon bei den Jugend­Po­li­tik­Tagen allen klar: Nicht alles, was dort gesagt wird, wird eins zu eins umge­setzt.“ Streng genommen ist diese Aussage zwar zutref­fend, damit abspeisen lassen sich die Teil­neh­menden aber nicht. Sie haben sich deut­lich mehr Ernst­haf­tig­keit bei der Behand­lung ihrer Anliegen und deren Umset­zung erhofft. Wann geht’s denn jetzt mal konkret los? Wann werden unsere Forde­rungen ange­gangen?“, ärgerte sich eine Teil­neh­merin im Vorfeld. Auch in einem im Nach­gang veröf­fent­lichten State­ment einiger der einge­la­denen jungen Menschen wird die Kritik deut­lich:

Entgegen der Pres­se­mit­tei­lung der Bundes­re­gie­rung können wir die Jugend­stra­tegie derzeit noch nicht inhalt­lich unter­stützen oder gar bewerten, da wir, trotz einer Einfüh­rungs­ver­an­stal­tung, noch keine Möglich­keit hatten, dieses, letzt­lich 150 Seiten lange Papier, zu lesen. Wir möchten unseren deut­li­chen Unmut über den Prozess der Präsen­ta­tion Ausdruck verleihen“,

heißt es dort. Am Ende steht eines fest: In der Zukunft müssen die Poli­tiker oft an die Maßnahmen und Forde­rungen erin­nert und zur Verant­wor­tung für die vielen Verspre­chen gezogen werden, die mit der Präsen­ta­tion der Stra­tegie und ihrer Verab­schie­dung im Kabi­nett Anfang Dezember gemacht wurden. Denn eine gerechte Teil­habe junger Menschen ist noch lange nicht in Sicht.


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