Show me what demo­cracy looks like!

Datum
02. Juli 2020
Autor*in
Hannah Lee
Themen
#EINEWELT Zukunftsforum 2020 #Leben
michelle-ding-LXUR8IWa0i0-unsplash

michelle-ding-LXUR8IWa0i0-unsplash

Ever­yday Rebel­lion“, ein Film gezeigt von Vamos e.V. bei der Eine-Welt-Landes­kon­fe­renz, zeigt auf mitrei­ßende Art und Weise, wie Demo­kratie aussehen und wie man mit krea­tiven Mitteln dafür kämpfen kann. poli­ti­ko­range-Repor­terin Hannah Lee war dabei.

Bilder von nächt­li­chen Straßen und Demons­tra­tionen prägen die Szene. Eine Frau flüs­tert auf Spanisch:

Wir sind Menschen wie du. Normale, arbei­tende Leute. Aber: Wir sind besorgt und wütend.“

Es dreht sich um Indi­gnados, eine spani­sche Bewe­gung von 2011, die sich fried­lich für soziale, wirt­schaft­liche und poli­ti­sche Gleich­heit einsetzte. Im Film wird gezeigt, wie ein Chor in spär­lich erhellten Publi­kums­rängen singt. Die Menschen singen andächtig und klar: Le llaman demo­cracia, pero no lo es.“ Sie nennen es Demo­kratie, aber es ist keine. Das Protest­video und der Text des Lieds soll den Schwä­cheren und Ärmeren des Landes helfen. Sie sind die am stärksten betrof­fenen Opfern der dama­ligen spani­schen Wirt­schafts­po­litik. Aktionen wie dieses Video sind neue, effek­tive Wege, Proteste anzu­kur­beln und sein Anliegen ins Licht zu rücken. 

Gewalt­freier Protest ist effek­tiver als gewalt­samer

Den Film Ever­yday Rebel­lion“ könnte man auch eine Collage nennen. Denn der Film zeigt nicht nur irgend­welche Szenen, sondern unter­schied­liche Bewe­gungen und Protest­reihen und verknüpft diese mit Geschichten von persön­li­chen Schick­salen. Der Film ruft dazu auf, selbst akti­vis­tisch zu handeln, kurz: mitzu­ma­chen. Das Schöne daran ist, dass er trotz aller portrai­tierter Bruta­lität und Unrecht, immer noch Mut macht.

So sagt Erica Chenoweth, die im Zusam­men­hang mit Occupy Wall Street im Film als Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin und Profes­sorin auftritt, dass entgegen allge­meinen Glau­bens tatsäch­lich gewalt­freier Protest effek­tiver sei als gewalt­samer. Den ausschlag­ge­benden Punkt stelle nämlich die Soli­da­rität und das ethi­sche Gewissen dar, das nahezu jeder Mensch in sich trage.

Zu sehen, wie unbe­waff­nete Menschen, die für ihre Rechte auf die Straße gehen, nieder­ge­prü­gelt werden, löse etwas in uns aus. Selbst wenn ein Anliegen gerecht­fer­tigt ist, sympa­thi­sieren wir weniger mit Revolutionär*innen, die unmo­ra­li­sche Taten voll­bringen. Somit sind wir auch weniger gewillt uns ihnen anzu­schließen. Ein weiterer wich­tiger Punkt sei die Tatsache, dass bei gewalt­freiem Protest das Wort eine größere Rolle spiele. Meinung, Vision und Lösungs­vor­schläge seien essen­tiell. Nicht zuletzt, um beim Wieder­aufbau Einfluss nehmen zu können.

Eine für alle und alle für Eine

In Ever­yday Rebel­lion“ dreht sich alles um den Zusam­men­halt zwischen Menschen. Als Einzel­person kann man nichts bewirken. Es ist wichtig einen möglichst großen Konsens mit möglichst vielen Menschen zu finden und dann als Gemein­schaft daran zu arbeiten, die fest­ge­legten Ziele zu verwirk­li­chen. Der Film zeigt Szenen von Work­shops, auf der Straße und in Konfe­renz­räumen. Die Teil­neh­menden lernen, wie sie sich durch hori­zon­tale Prozesse, also möglichst hier­ar­chie­freie Entschei­dungs­fin­dung und Aufga­ben­ver­tei­lung, orga­ni­sieren können. Außerdem erlernen sie, gewalt­freien Protest zu prak­ti­zieren.

So lernen zum Beispiel New Yorker*innen fried­lich die Wall Street zu blockieren, oder ukrai­ni­sche Frauen, wie sie mit ihren nackten Körpern State­ments setzen können, wie man dann beim Protest damit umgeht, wenn die Polizei eintrifft, welche Rechte man hat und wie man ordnungs­gemäß reagieren kann. Klingt viel­leicht extrem, aber es geht darum, ein Zeichen zu setzen und nicht um den Akt an sich. Symbo­lisch, meta­pho­risch – nenne man es, wie man will. Eine Botschaft wird gesendet, ohne brutale Maßnahmen zu ergreifen. Inna Schewtschenko, Akti­vistin bei FEMEN und deren Haupt­re­prä­sen­tantin bei Ever­yday Rebel­lion, betont den Unter­schied zwischen Aggres­sion und Bruta­lität. Ja, sie wollen Aggres­sion zeigen, sie seien schließ­lich wütend. Jedoch über­queren sie die Grenze zur Gewalt niemals, sondern belassen es bei Provo­ka­tion. In der Ukraine, wo FEMEN seinen Ursprung findet, wurde sie vom Geheim­dienst verhaftet, miss­han­delt und mit dem Tode bedroht, bis sie Exil in Frank­reich fand. Für sie war es trotz alldem jedoch nie eine Frage, ob sie weiter­ma­chen sollte oder nicht.

I was fired from my job after my first protest – they were not topless yet – they said I couldn’t work and protest at the same time. So I said, okay, I will protest. For all the women that want to work.“

Dass man verhaftet werden könnte, ist eine Tatsache der man ins Auge blicken muss. Irgend­je­mand muss hinhalten, aber sie können nicht alle einsperren. Was zählt, ist die Gruppe, die Bewe­gung; nur gemeinsam kann man es schaffen wirk­lich etwas zu verän­dern.

Ever­yday Rebel­lion gibt Hoff­nung und Hilfe­stel­lungen mit vielen Ideen alter­na­tiver Proteste, bei denen man nicht unbe­dingt Kopf und Kragen riskiert, da man nicht unbe­dingt durch physi­sche Anwe­sen­heit seine Über­zeu­gungen bekennen muss. Im Iran, wo nicht nur das eigene Wohl, sondern auch das der Familie bedroht wird, wenn man sich auflehnt, wurde die Botschaft damals auf Geld­scheine geschrieben, um sie anonym in Umlauf zu bringen. Alter­na­tive Protest­formen können also Leben retten.

We will never stop“ ist ein Satz, der auf die eine oder die andere Art immer wieder im Film geäu­ßert wurde. Ein Mann beteuert im Inter­view, er verstehe nicht, wieso die Regie­rung über­haupt noch versuche sie aufzu­halten. Solange Macht miss­braucht wird, wird es auch Menschen geben, die sich dagegen wehren. Sie denken sie können die Proteste mit Terror und Gewalt ersti­cken, aber er wisse, dass die Proteste niemals ein Ende haben werden, bis Gerech­tig­keit bestehe. Sie lassen sich also nicht einschüch­tern, sondern finden einfach andere Wege Wider­stand zu leisten.

Ein Bild spricht mehr als 1000 Worte

haley-rivera-HGdGqzjbvZA-unsplash

Brunnen gefärbt in blutrot, ein abge­sägtes Kreuz vor einer Kirche – solche Bilder lösen Gefühle aus, brennen sich in das Gehirn. Eine klas­si­sche Demons­tra­tion, orga­ni­siert, ange­kün­digt und zivi­li­siert, hat nicht denselben Effekt. Menschen sterben, Blut fließt!“, scheinen die roten Gewässer förm­lich zu schreien. Die in den pracht­vollen Brunnen spru­delnden Gewässer, um die sich die Stadt eher zu kümmern scheint, als um ihre Einwohner*innen. Es ist der Über­ra­schungs­ef­fekt und die Neugier der Passant*innen, der dafür sorgt, dass die Botschaft nicht nur gehört, sondern auch gespei­chert und disku­tiert wird. Die Präsenz des Wider­stands offen­kundig zur Schau gestellt, starke Meinungen plaka­tiert mit einer einzigen, aussa­ge­kräf­tigen Geste. So ein gera­dezu thea­tra­lisch anmu­tender Effekt erfüllt seinen Zweck mindes­tens genauso gut, wie eine paro­len­ru­fende Menschen­menge mit Schil­dern. Die Kontro­verse setzt noch einen drauf. Ziviler Unge­horsam, Regeln brechen, sich den öffent­li­chen Raum zu eigen machen, um ein öffent­li­ches State­ment zu setzen.

Wenn man also nicht nur dasitzen und zuschauen will, wie das eigene Land regiert wird, hat man so viele Möglich­keiten, zu protes­tieren und seine Meinung zu äußern, wie die eigene Fantasie es zulässt. Jedoch gehört auch ein biss­chen Risi­ko­be­reit­schaft dazu, wenn man etwas verän­dern will. So… Show me what demo­cracy looks like.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Ende der Eine-Welt-Konfe­renz 2020

Philipp Neudert

Artikel

Diskus­sion, bitte!

Hannan El Mikdam-Lasslop

Artikel

The voice of the people who can’t speak

Hannan El Mikdam-Lasslop