Als empa­thi­scher Mensch kann man gar nicht anders“

Datum
25. Mai 2020
Autor*in
Marlene App
Themen
#EINEWELT Zukunftsforum 2020 #Leben
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Johannes Bayer ist schon lange bei SeaWatch aktiv und seit zwei Jahren Vorstands­vor­sit­zender. Unsere Autorin Marlene App sprach mit ihm darüber, warum er sich für die Wahrung der Menschen­rechte auf See einsetzt, was ihn mit seinen Kollegen verbindet und vor welchen Heraus­for­de­rungen er momentan steht.

Wie kamst du zu SeaWatch?

Ich bin Inge­nieur für Schiffsbau und Meeres­technik und habe nach meinem Bachelor eine große Segel­tour mit Freunden und Familie gemacht – mit dem Ziel, nach der Rück­kehr meinen Master in Stock­holm zu machen. Dafür brauchte ich einen Englisch­test, den ich aufgrund meiner Reise nicht recht­zeitig machen konnte. Als ich dann zurückkam, hatte ich keinen Studi­en­platz, keine Wohnung und entschied mich, trotzdem nach Schweden zu gehen. Dort hatte ich aller­dings keine Beschäf­ti­gung. Ein Freund von einem Freund erzählte mir dann von SeaWatch, davon hatte er irgendwo gelesen. Die Orga­ni­sa­tion hatte damals nicht mal eine Inter­net­seite und noch kein funk­ti­ons­tüch­tiges Schiff, also habe ich meine Hilfe als Schiffs­bauer ange­boten und wollte zwei bis drei Wochen in Hamburg beim Ausbau helfen. Die zwei Wochen haben sich dann bis heute ausge­weitet. Meinen Master habe ich schließ­lich noch gemacht, parallel zur Arbeit für SeaWatch.

Warst du vorher schon poli­tisch aktiv?

Ich war schon immer viel­seitig poli­tisch inter­es­siert, aber nie Voll­zeit-Akti­vist. Als Kind haben wir mit der Familie immer Urlaub bei meinem Onkel gemacht, der von den Kanaren stammt. Er erzählte mir von den Menschen aus Senegal, die in den Acht­zi­gern auf die Kana­ri­schen Inseln flohen. Mein Groß­vater kommt aus Serbien und hat auch eine Flucht­ge­schichte. Das Thema Flucht hat mich also schon immer begleitet und mich inter­es­sierten auch die Gründe, warum Menschen sich auf so eine Reise begeben.

Fahrt ihr gerade noch Missionen auf dem Wasser?

Die SeaWatch4 steht jetzt aufgrund von Corona im Hafen und soll bald wieder auf Mission gehen, aller­dings gibt es da einige logis­ti­schen Probleme. Wegen der geschlos­senen Grenzen ist es unklar, wie wir unsere Crew­mit­glieder über­haupt nach Italien bekommen. Natür­lich können auf einem Schiff mit zwei­hun­dert bis drei­hun­dert Personen keine Abstands­re­ge­lungen einge­halten werden, aller­dings arbeiten wir an anderen Schutz­maß­nahmen. Unsere Crew­mit­glieder dürfen keiner Risi­ko­gruppe ange­hören, für das Leben auf See muss man sowieso kern­ge­sund sein. Die Crew darf nur unter Einhal­tung von Quaran­tä­ne­zeiten in See stechen und soll nach Möglich­keit auf das Virus getestet werden. Die Gefahr, dass Geflüch­tete sich schon ange­steckt haben, bevor sie bei uns an Bord kommen, bleibt natür­lich bestehen. Aller­dings ist die Gefahr, sich auf dem Schiff anzu­ste­cken, aufgrund besserer Hygie­ne­aus­stat­tung nicht größer als in einem lybi­schen Flücht­lings­lager. Im Mittel­meer zu ertrinken ist ebenso ein Risiko, das man schlecht gegen das Risiko der Erkran­kung aufwiegen kann. Unsere Arbeit jetzt zu unter­bre­chen, wäre ja so, als würden Berliner Kran­ken­wagen jetzt nicht mehr zu älteren Menschen fahren, um sie nicht anzu­ste­cken. Das Retten von Menschen in Seenot hat für uns auf jeden Fall Prio­rität.

Welche größten Heraus­for­de­rungen siehst du bei deiner Arbeit?

Als Akti­vist läuft man schnell Gefahr, sich zu über­ar­beiten, weil man nicht für Geld oder die Karriere arbeitet. Im Zweifel kostet es Menschen­leben, wenn ein Fehler passiert und deswegen Schiffe in Seenot nicht gefunden werden. Und das gilt nicht nur für den Einsatz auf See, sondern auch für die Koor­di­na­tion von Rettungs­kräften vom Land aus. Zur Arbeits­be­las­tung kommt die emotio­nale Belas­tung dazu, wie man sie auch im Rettungs­dienst hat, wenn Menschen sterben.

Was vereint dich und deine Mitar­beiter auf dem Schiff?

Profes­sio­na­lität und der Wunsch nach einer sinn­vollen Arbeit. Alle zeichnet ihre Empa­thie aus und ich denke, daher können wir alle gar nicht anders, als das Anliegen von SeaWatch zu unter­stützen. Das vereint viele unserer Mitglieder.

Welche Bedeu­tung haben ehren­amt­liche Mitar­beiter für eure Arbeit?

Die SeaWatch3 fährt zum Beispiel mit 22 Besat­zungs­mit­glie­dern aus, davon sind sechs bis acht ange­stellt und der Rest ist frei­willig. Ohne die Ehren­amt­li­chen könnten wir die Arbeit gar nicht stemmen, wir haben ein sehr begrenztes Budget.

Welche Möglich­keiten haben Menschen, die nicht für die Arbeit auf dem Schiff ausge­bildet sind, sich bei euch zu enga­gieren?

Neben Finanzen, Medien und Perso­nal­wesen suchen wir immer wieder Frei­wil­lige im Event­be­reich, die zum Beispiel an unseren Ständen mithelfen. Wir brau­chen Leute, die als Multi­pli­ka­toren unserer Arbeit wirken können, egal ob am Garten­tisch oder bei einem lokalen Konzert. Auf unserer Inter­net­seite suchen wir auch manchmal Prak­ti­kanten in diesen Berei­chen.

Wie finan­ziert ihr eure Arbeit?

Es gibt glück­li­cher­weise eine große Commu­nity, die unsere Arbeit mit kleinen Beiträgen unter­stützt. Unsere durch­schnitt­li­chen Spenden pro Person liegen unter fünfzig Euro, das heißt dass wir uns haupt­säch­lich durch private Klein­spender finan­zieren. Das kann über eine Förder­mit­glied­schaft laufen, die unge­fähr so viel kostet wie ein Netflixabo, aber auch durch Einmal­spenden oder Face­book-Spen­den­auf­rufe. Ein biss­chen bekommen wir auch durch unserem Online­shop  (Dort gibt es z.B. Shirts, Taschen und Mützen). Ein weiterer Unter­stützer ist die Evan­ge­li­sche Kirche Deutsch­land, die das erste Aufklä­rungs­flug­zeug Moon­bird und die SeaWatch4 mitfi­nan­ziert hat.

Bekommt ihr denn auch nega­tive Reak­tionen auf eure Arbeit?

Es gibt natür­lich auch viele Menschen in Deutsch­land und Europa, die das, was wir tun, nicht gut heißen, wahr­schein­lich die gesamte AfD, mindes­tens die Hälfte der CDU und mindes­tens ein Drittel der SPD. Unsere Arbeit ist defi­nitiv pola­ri­sie­rend. Zwar retten wir Menschen im Meer, es ist aber auch alter­na­tivlos, dass sie nach Europa gebracht werden. Frontex bringt sie eigent­lich auch in euro­päi­sche Häfen, wir jedoch machen öffent­lich darauf aufmerksam. Wir fordern, dass sichere Flucht­wege geschaffen werden müssen und sind auch mit anderen Kampa­gnen ein Ärgernis für die Politik, weil wir dadurch, dass wir in einem legalen Rahmen arbeiten, kaum angreifbar sind. In den letzten drei Jahren wird uns aber mit neuen Gesetzen das Leben schwer gemacht, fast die Hälfte unserer Kraft verwenden wir darauf, gegen diese Hinder­nisse zu kämpfen .

Welche Maßnahmen müssten denn deiner Meinung nach getroffen werden, damit eure Arbeit über­flüssig werden könnte?

Als erstes müsste es sichere und legale Einrei­se­wege in die Euro­päi­sche Union geben, die de facto nicht exis­tieren. In einer globalen Welt müssen Gesetze her, die es Menschen ermög­li­chen, vor Leid und Verfol­gung zu fliehen. Solange Europa ein Platz ist, wo man noch etwas abzu­geben hat, ist es meiner Über­zeu­gung nach auch eine Verpflich­tung, Menschen diesen Schutz zu gewähren. Dafür kämpfen wir. Die Flucht­ur­sa­chen­be­kämp­fung ist natür­lich auch schon lange ein Problem, dessen Lösung man schon seit Jahr­zehnten nach hinten verschiebt, weil man nicht weiß, wie man das angehen soll. Wir wünschen uns, dass da ein Umdenken statt­findet, weil die Folge­schäden immens sind. Mit dem Geld, das da in krimi­nelle Netz­werke fließt, werden Kriege in Libyen geführt. Die Menschen kommen in Europa an und sind trau­ma­ti­siert. Wenn man Teile seiner Familie verloren hat oder in Lagern bzw. auf der Flucht schwer trau­ma­ti­siert wurde, ist es umso schwerer, in Europa anzu­kommen.

Wie genau setzt ihr euch für sichere Flucht­wege ein?

Haupt­säch­lich versu­chen wir, die Proble­matik aufzu­zeigen, indem wir mit Medien zusam­men­ar­beiten. Teams aller namhaften Sender in Deutsch­land haben bereits von Bord aus berichtet. Das Mittel­meer ist ein weißer Fleck. Wenn wir nicht dort sind, gibt es keine Infor­ma­tionen von dort. Wir wollen zeigen, dass es unter Einhal­tung unserer euro­päi­schen Werte keine Möglich­keit gibt, um dieses Problem herum­zu­kommen, denn Flucht­be­we­gungen sind nicht direkt von uns oder vom Indi­vi­duum steu­erbar. Es gibt eigent­lich nur zwei Wege, damit umzu­gehen. Entweder, große Zäune zu bauen und auf die Menschen zu schießen, oder die Menschen ins Land zu lassen. An einem gewissen Punkt muss man sich dann für das eine oder andere entscheiden und eine Lösung finden oder warten, bis es zu großen Kata­stro­phen kommt. Flucht folgt ja einer bestimmten Logik, die von syri­schen Fami­lien war schließ­lich auch absehbar. Ich frage mich dann, wieso man nicht vor solchen Kata­stro­phen eine Debatte führen und Vorbe­rei­tungen treffen kann? Es ist wichtig, das in den poli­ti­schen Diskurs zu bringen und so die Möglich­keit zu schaffen, Lösungen zu finden. Im Moment versu­chen alle, die Augen vor der nahenden Realität zu verschließen. Am Ende muss man sich damit aber trotzdem ausein­an­der­setzen. Alle wissen, was passiert, alle kennen die Fakten, aber trotzdem wird versucht, die Lösung des Problems auf die Zeit nach der eigenen Amts­zeit zu verschieben, ein biss­chen wie bei der Klima­krise.

Was sagt es über Europa aus, dass nicht die Regie­rung, sondern eine NGO wie ihr die Arbeit erle­digen muss, die notwendig ist, um die Menschen­rechte zu schützen?

Es handelt sich um ein komplettes Versagen der euro­päi­schen Politik und der euro­päi­schen Werte­ge­mein­schaft, das zeigen wir ja schon seit Jahren auf. Man muss sollte da mal einge­stehen, dass Europa eben keine Werte­ge­mein­schaft ist, so wie wir uns das vor sechzig Jahren über­legt haben, sondern eine Wirt­schafts­ge­mein­schaft.

Hat sich da in den letzten Jahren etwas verän­dert?

Ich denke schon, dass sich in den letzten Jahren unter anderem durch den Syri­en­krieg viel geän­dert hat. Die AfD kann heute im Bundestag Aussagen treffen, die früher so nicht durch­ge­gangen wären. In Italien hat sich auch viel geän­dert. 2014 wurde zum Beispiel die mili­tä­risch gestützte italie­ni­sche Rettungs­ope­ra­tion Mare Nostrum einge­stellt, weil sie für Italien zu teuer wurde. Italien hat dann bei Europa ange­fragt, ob sie dafür finan­zi­elle Unter­stüt­zung erhalten können – die klare Antwort war Nein. Es gibt schon euro­päi­sche Länder, die eher progressiv handeln als andere, am Ende ist es aber ein Schwarzer Peter-Spiel. Deutsch­land hat damals im Allein­gang gehan­delt. Das war zwar richtig und wichtig, aber eben kein euro­päi­scher Schritt.

Denkst du da manchmal, dass deine Arbeit viel­leicht gar keinen Sinn macht?

Unsere Arbeit ist, ähnlich wie die der Umwelt­be­we­gung, ziem­lich opti­onslos. Die Klima­be­we­gung will die Erde irgendwie noch retten und das funk­tio­niert genau wie unsere Ideen nur mit dem Zusam­men­halt Europas. Dementspre­chend habe ich nicht das Gefühl, dass es sinnlos ist, aber an eine schnelle Lösung glaube ich nicht. Selbst wenn sich das Problem niemals lösen wird, ist es trotzdem legitim, durch­gängig dafür zu arbeiten.


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