Schul­wechsel

Datum
25. August 2017
Autor*in
Sabine Baumgärtel
Thema
#poTANDEM17
Kommentar Schule quadratisch

Kommentar Schule quadratisch

Foto: Jugendpresse Deutschland / Leonard Palm

Kommentar Schule

Schule kann schwer sein. Noch schwerer wird es aber, wenn viele auf den Lehrplan Einfluss nehmen wollen. Foto: Jugendpresse Deutschland / Leonard Palm

In unserem Nach­bar­land Polen wird das Schul­system gerade dras­tisch verän­dert. Das kann gefähr­liche Folgen haben, findet Sabine Baum­gärtel.

Auf den ersten Blick erscheint das polni­sche Schul­system etwas verwir­rend. Eine 5 ist eine sehr gute Note, es gibt zwar auch ein Gimnazjum“, aber das ist etwas ganz anderes als ein deut­sches Gymna­sium. Genau deshalb soll zum besseren Verständnis dieses Arti­kels zuerst das polni­sche Bildungs­system kurz erklärt werden. Kinder werden mit sechs oder sieben Jahren einge­schult und besu­chen dann sechs Jahre die Grund­schule. Danach kommen sie auf das Gimnazjum. Dort lernen sie drei Jahre und schreiben am Ende eine Prüfung, die dann entscheidet, auf welche Schule sie gehen. Danach haben sie die Wahl, ob sie zum Beispiel ihr Abitur oder eine Ausbil­dung machen wollen. Das Beson­dere an diesem System – im Vergleich zum deut­schen – ist wohl, dass es keine Tren­nung nach Bega­bung gibt. Alle Kinder und Jugend­liche lernen zusammen. Das polni­sche Schul­system ist im Moment ziem­lich erfolg­reich. In PISA-Rankings liegen sie aktuell meist auf dem OECD-Durch­schnitt, in einigen Berei­chen, wie Mathe­matik und Natur­wis­sen­schaften, sind sie sogar ein biss­chen darüber. Es gibt so viel, was in Polen gerade passiert, warum sollte ich mich dann ausge­rechnet für die Schulen inter­es­sieren? Weil eine Reform der Regie­rung gerade das Schul­system ändern soll, und das könnte drama­ti­sche Folgen haben. Ab dem neuen Schul­jahr 2017/2018 wird es keine Gimnazjen mehr geben. Die Grund­schule wird einfach drei Jahre länger gehen und erst danach wech­seln die Schü­le­rinnen und Schüler auf eine weiter­füh­rende Schule. Auf den ersten Blick erscheint das viel­leicht nicht so schlimm – die Zahl der Schul­jahre bleibt gleich, nicht so wie bei den Diskus­sionen um G8 oder G9 in Deutsch­land.

Ein neues System

Auf den zweiten Blick aber ändert sich eine ganze Menge. Zum einen werden Tausende Lehre­rinnen und Lehrer ihren Job verlieren oder nur noch halb­tags arbeiten. Eine Ände­rung des Systems bedeutet aber auch, dass es neue Lehr­pläne und Lehr­bü­cher geben muss – und das wird von der rechts-konser­va­tiven PiS-Regie­rung genutzt. Die katho­li­sche Kirche erhält einen größeren Einfluss auf die Bildung, so wird es zum Beispiel mehr Reli­gi­ons­un­ter­richt und weniger Stunden in den Natur­wis­sen­schaften geben.

Lech Wałęsa, der die erste freie Gewerk­schaft im kommu­nis­ti­schen Polen gegründet hat, ist heute zwar eine umstrit­tene Person, dennoch hat er in der polni­schen Geschichte einen wich­tigen Platz. Nun darf er aber im Geschichts­un­ter­richt nicht mehr erwähnt werden – weil er sich kritisch gegen­über der Regie­rung geäu­ßert hat. Der Fokus des Unter­richts wird auf den Helden­taten der Polen liegen, es gibt keinen Platz mehr für diffe­ren­zierte Betrach­tungen und ausge­wo­gene Meinungen.

Wenn der Lehr­plan so stark geän­dert wird, bleibt weniger Raum für demo­kra­ti­sche Erzie­hung. Wie können Schü­le­rinnen und Schüler zu mündigen Bürgern werden, wenn sie nicht lernen, kritisch zu denken? Im Moment erscheint es viel­leicht weniger ernst, aber dieser Wandel kann sich in nur wenigen Jahren rächen. Denn die Schule ist ein wich­tiger Ort für die Entwick­lung: hier lernt man, sich zu infor­mieren, viel­fäl­tige Lebens­ent­würfe zu respek­tieren und nicht alles zu glauben, was zum Beispiel im Internet steht. Wenn nicht mehr gelernt wird, Dinge zu hinter­fragen und sich kritisch mitein­ander auszu­tau­schen – dann verlieren am Ende alle – am meisten wohl die Demo­kratie.

Förderung von Axel Springer Stiftung, deutsch polnisches Jugendwerk, Stiftung für deutsch polnische Zusammenarbeit, Think Big und Erasmus +

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