Sandra Detzer über ihre Partei Bündnis 90 / Die Grünen

Datum
12. August 2017
Autor*in
Marcel Kupfer
Thema
#poBTW17
Sandra Setzer Foto: Marcel Kupfer

Sandra Setzer Foto: Marcel Kupfer

In den kommenden Wochen stellt Marcel Kupfer die Wahl­pro­gramme vor. Zu jedem führt er ein Inter­view mit einem Partei­mit­glied. Diese Woche geht es um Bündnis 90/​Die Grünen: Er befragt die Landes­vor­sit­zende in Baden-Würt­tem­berg, Sandra Detzer, zu Wahl­kampf, Fein­staub, Trump und Frau­en­quote.

Sandra Detzer Foto: Marcel Kupfer

Im November wurde Sandra Detzer zur Landesvorsitzenden gewählt. Foto: Marcel Kupfer

Sandra Detzer beschreibt sich in drei Sätzen: Mir macht mein Job sehr viel Spaß. Weil man da richtig viel gestalten kann und viele span­nende Leute trifft. Zusammen kann man dann was Gutes aus der Zukunft macht.

Frau Detzer, warum haben Sie sich für Bündnis 90/​Die Grünen entschieden?

Die Grünen sind die einzige Partei, die Politik macht für ein gutes Morgen und Über­morgen, und ich finde, das ist genau der rich­tige Poli­tik­an­satz. Denn es geht darum, dass auch unsere Kinder und Enkel­kinder mit den Entschei­dungen leben können, die wir heute treffen.

Hatten Sie schon mal Zweifel und haben über einen Partei­en­wechsel nach­ge­dacht?

Nein, ein Partei­wechsel kommt für mich nicht in Frage, auch wenn der Alltag beim Politik machen schon ab und zu mal hart ist. Die Grünen sind für mich die einzige Partei, die es mit Umwelt- und Klima­schutz ernst meint und die Wirt­schaft und Umwelt zusammen denken.

Heute bekommt man das Gefühl, dass viele Poli­tiker und Poli­ti­ke­rinnen im Wahl­kampf genauso viel auf Social-Media-Kanälen zu finden sind, wie im Stra­ßen­wahl­kampf. Da sind Sie persön­lich eher bescheiden. Das Gegen­teil ist der Fall. Wir machen viel Social-Media-Wahl­kampf und sind gleich­zeitig viel auf der Straße unter­wegs. Wir glauben, dass der direkte Kontakt zu den Bürgern uner­setz­lich ist. Aber immer mehr Menschen infor­mieren sich im Internet über Politik, und deswegen muss man beide Kanäle bedienen, Markt­platz und Face­book und Co.

Bei Twitter haben Sie einen Zeitungs­aus­schnitt gepostet, in dem steht, dass das Jahr 2030 als Weckruf für den Wechsel auf Elek­tro­autos sein wird. Wie soll das aussehen?

Ab dem Jahr 2030, das ist unsere Vorstel­lung, sollen keine neuen Verbren­nungs­mo­toren mehr zuge­lassen werden. In der Zukunft wollen wir saubere und leise Autos und eine saubere Luft. Als Auto­land müssen wir an der Spitze mitmar­schieren. Und die Konkur­renz schläft nicht – Stich­wort Tesla und China.

Glauben Sie, dass es jeder finan­ziell schafft zu 2030 ein neues Auto zu kaufen?

Deutsch­land hat im Pariser Klima­ab­kommen zuge­sagt, seinen Verkehrs­sektor bis zum Jahr 2050 treib­haus­gas­neu­tral zu gestalten. Dazu ist es erfor­der­lich, nach 2030 keine neuen Pkw mit fossilen Verbren­nungs­mo­toren mehr neu zuzu­lassen. Die vor 2030 zuge­las­senen Autos bleiben ja noch auf der Straße – im Durschnitt übri­gens so um die 18 Jahre. Das heißt, nicht jede und jeder muss ein neues Auto kaufen – um hier kein Miss­ver­ständnis aufkommen zu lassen. Wichtig ist es, ein Ziel zu formu­lieren, damit sich die Indus­trie darauf einstellen kann und wir gemeinsam den drin­gend notwen­digen Wechsel hinbe­kommen.

Wo könnte der Strom für die Elek­tro­autos herkommen?

Entschei­dend ist, dass Energie- und Verkehrs­wende Hand in Hand gehen und wir beides ener­gisch voran­treiben. Ein E‑Auto, das mit Kohlestrom fährt, ist selbst­ver­ständ­lich ökolo­gisch keine gute Idee. Eines, das mit Sonne und Wind betankt wurde, schon. Da hat die Bundes­re­gie­rung unter Kanz­lerin Merkel viel verpasst. Der Ausstieg aus dem Atom­aus­stieg unter Merkel hat uns viel Zeit gekostet; nach dem tatsäch­li­chen Ausstieg gab es zu keinem Zeit­punkt eine konse­quente Ener­gie­wende.

In Stutt­gart herrscht jähr­lich Fein­staub­alarm. Fahr­ver­bote werden ausge­spro­chen, was aber keine Lösung ist. Welche lang­fris­tigen Lösungen sehen Sie für diese Proble­matik?

Wir müssen in unseren Städten für saubere Luft sorgen. Zum Beispiel durch den Ausbau der öffent­li­chen Verkehrs­mittel, die schnel­lere Elek­tri­fi­zie­rung von Bussen und Taxis oder die Förde­rung des Radver­kehrs. Und im Liefer­ver­kehr können auch zuneh­mend Elek­tro­autos einge­setzt werden. So können Menschen auch in der Stadt eine gute Luft haben und ihre Gesund­heit ist nicht gefährdet.

Sie sagen, die Menschen sollen auf die öffent­li­chen Verkehrs­mittel umsteigen. Aber deren Zustand ist in vielen Teilen Deutsch­lands, zumin­dest in Baden- Würt­tem­berg, teil­weise kata­stro­phal. Was sagen Sie dazu? Unter dem grünen Verkehrs­meister ist schon sehr viel passiert. Zum Beispiel fahren mit dem neuen Verkehrs­ver­trag die Züge seit 2016 im dich­teren Takt und bieten mehr Komfort – etwa WLAN und behin­der­ten­ge­rechte Ausstat­tung. Aber auf dem Land muss noch mehr passieren. Hier wollen wir in den kommenden Jahren das Bahn- und Busan­gebot weiter ausbauen mit dem Ziel, dass alle Kommunen mindes­tens stünd­lich eine Anbin­dung erhalten, von früh­mor­gens bis spät­abends.

Aber Sie setzen nicht auf Fahr­ver­bote?

Fahr­ver­bote waren für uns immer nur das aller­letzte Mittel in der Kette, wenn sie sich nicht mehr vermeiden lassen. Aber richtig ist: Wir haben gesetz­liche Grenz­werte für die Luft­rein­hal­tung seit Jahren über­schritten, deswegen haben die Bürger zu Recht geklagt. Für uns Grüne ist klar, dass sich der Gesund­heits­schutz nicht auf die lange Bank schieben lässt. Das wäre ein biss­chen so, als würde man sagen, meine Steu­er­erklä­rung gebe ich dieses Jahr nicht ab, weil es passt irgendwie gerade nicht rein. Wir Grüne wollen schnell und wirksam für bessere Luft sorgen. Es ist und bleibt skan­dalös, dass Bundes­ver­kehrs­mi­nister Alex­ander Dobrindt durch sein amts­müdes Nichtstun unsere Städte und ihre Bewohner im Kampf für bessere Luft hängen, indem er die Blaue Plakette – und damit das wirk­samste Instru­ment zur Luft­rein­hal­tung – blockiert.

Euro 6 Diesel sind erlaubt, darunter ist nicht erlaubt. Somit können sich nur die Menschen mit etwas mehr Geld die Euro 6 Diesel leisten, die anderen nicht. Somit leidet bei Fahr­ver­boten die ärmere Bevölkerungs­schicht darunter?

Anders­herum: Gerade Menschen mit schmalem Geld­beutel sind doch die Leid­tra­genden von dreckiger Luft und Verkehrs­lärm. Gerade sie können sich doch bessere, ruhi­gere Wohn­ge­genden gar nicht leisten und wohnen an viel befah­renen Straßen. Aber natür­lich müssen Busse und Bahnen in den Städten bezahlbar und bequemer werden. Und ich sehe vor allem die Auto­in­dus­trie in der Pflicht – ob es um eine wirk­same Nach­rüs­tung geht, die von ihr zu bezahlen ist, oder um Umstiegs­prä­mien, die diesen Namen auch verdienen.

In dem Regie­rungs­pro­gramm fordert ihre Partei, dass Deutsch­land eine huma­ni­täre Flücht­lings­rolle einnimmt. Hat Deutsch­land das nicht schon gemacht?

Deutsch­land hat mit der Will­kom­mens­kultur im Jahr 2015 ein wich­tiges Zeichen gesetzt, dass wir Menschen in Not helfen wollen. Jetzt müssen wir den Fokus auf eine gute Inte­gra­tion der Menschen legen.

Also meinen Sie, dass Flücht­linge erst ins Land kommen können, wenn wir darauf vorbe­reitet sind?

Es gibt unter­schied­liche Aufgaben, die wir zu klären haben. Wie sieht eigent­lich eine euro­päi­sche Flücht­lings­po­litik aus? Wie stellen wir sicher, dass die Menschen, deren Asyl­an­trag bewil­ligt wird, schnell und gut von Flücht­lingen zu Mitbür­gern werden? Ganz wichtig: Wie bekämpfen wir Flucht­ur­sa­chen? Und nicht zuletzt: Nicht alle, die zu uns kommen, können hier­bleiben. Hier wollen wir umfas­sende Bera­tung mit Rück­kehr- und Inte­gra­ti­ons­hilfen.

In ihrem Regie­rungs­pro­gramm heißt es, dass durch Kinder­zeit Plus die Fami­li­en­pla­nung verein­facht werden soll. Viele Unter­nehmen vernach­läs­sigen meist Bewerber trotz recht­li­chem Verbotes, indem sie nach der Fami­li­en­pla­nung fragen und die einstellen, die in den kommenden Jahren, keine Kinder möchten. Wie soll es hier zur Gleich­stel­lung zwischen Mann und Frau im Beruf kommen, in der Hinsicht auf die Karrie­re­pla­nung?

Wir glauben, dass die ganze Gesell­schaft davon profi­tiert, wenn wir Kinder haben, wenn wir starke Fami­lien haben und es schaffen, Familie und Beruf zu vereinen. Die Fami­li­en­zeit Plus ist eine Maßnahme, die Fami­lien stärken soll. Aber wir wissen natür­lich auch, dass es da um einen Menta­li­täts­wechsel in Deutsch­land geht. Wir Grüne gehen da seit jeher voran.

Ist es dann noch möglich, die 50 Prozent Frau­en­quote aus dem Programm umzu­setzen?

Die 50-Prozent-Frau­en­quote ist noch ein langer Weg. Aber wir müssen dafür sorgen, dass Familie und Beruf zusam­men­gehen. Es geht um Chan­cen­gleich­heit. Und man arbeitet ja schließ­lich auch, um seinen Lebens­un­ter­halt zu verdienen! Aller­dings darf die Arbeit nicht zum allein bestimmen Merkmal für einen Lebens­lauf werden – und schon gar nicht darüber entscheiden, ob man eine Familie hat oder nicht.

In ihrem Regie­rungs­pro­gramm wird der US-ameri­ka­ni­sche Präsi­dent Donald Trump als Narzisst bezeichnet; sie fordern mehr Kommu­ni­ka­tion mit den US-Staaten als dem Regie­rungs­ober­haupt. Kann man bei dieser aggres­siven Formu­lie­rung noch von einer profes­sio­nellen poli­ti­schen Forde­rung spre­chen?

Die Politik muss klare Worte finden für das, was sie will und wie sie die Realität sieht. Nach allem, was wir wissen, ist der US-Präsi­dent ein Popu­list und sehr auf sich fokus­siert. Man muss mit allen Demo­kraten Gespräche führen, nur den Kurs, den Trump einge­schlagen hat, halten wir für sehr gefähr­lich. Stich­worte aktuell: Nord­korea. Oder das Leugnen des Klima­wan­dels. Deswegen werden wir uns natür­lich gezielt auch an die wenden, die seine Politik kritisch sehen.

Was sollte als erstes nach den Wahlen verän­dert werden?

Wir Grüne wollen, dass der Klima­schutz und der Schutz unserer Lebens­grund­lagen wieder in den Fokus der Bundes­re­gie­rung rücken. Wir haben zum Beispiel jetzt den Eier­skandal. Wir haben Insek­ten­sterben. Trump ist aus dem Klima­schutz­ab­kommen ausge­stiegen. Wir haben immer mehr Schwie­rig­keiten, unser Trink­wasser zu reinigen. Wasser wird dadurch immer teurer. Also kurzum: Es geht um eine exis­ten­zi­elle Mensch­heits­frage.

Was ist Ihnen in diesem Wahl­kampf wichtig?

Alle sollten ihr Recht nutzen, wählen zu gehen. Gehen Sie hin, betei­ligen sie sich. Demo­kratie lebt vom Mitma­chen.


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