Politik zwischen den Welten

Datum
06. November 2023
Autor*in
Leonie Forth
Themen
#Politik #JMWS23
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der Jugendlichen Luc Quali bei einer Demonstration von „Fridays-for-Future" mit einem Megafon; Foto: Leo Schöwerling / Alto Press
Zwei Jugend­liche erzählen, warum poli­ti­sche Parti­zi­pa­tion eine Frage des Geldes sein kann.

Jugend­liche wollen von der Politik gehört werden – aber nicht jede*r hat eine laute Stimme. Zwei junge Menschen erzählen von ihrem poli­ti­schen Enga­ge­ment – beide sind ganz unter­schied­lich aufge­wachsen. Eine Ausein­an­der­set­zung damit, warum poli­ti­sche Parti­zi­pa­tion oft auch eine Frage des Geldes ist.

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Das Bild zeigt den Jugendlichen Luc Quali bei einer Demonstration von „Fridays-for-Future“ mit einem Megafon. Foto: Leo Schöwerling / Alto Press.

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In einem Polo­shirt von Lacoste schaltet sich Phillip Venmann in das Video-Inter­view. Phillip hat sich schon früh poli­tisch enga­giert, bis vor Kurzem war er Mitglied des Pulla­cher Jugend­par­la­ments in München. Bei uns wurde, als ich Kind war, reli­giös Logo‘ und die Tages­schau‘ geguckt“, erzählt er. Die Politik sei einfach auf ihn zuge­kommen. Bei Luc Ouali war das anders. Seine Mutter ist allein­er­zie­hend und 2001 nach Deutsch­land gekommen. Luc ist unter der Armuts­grenze aufge­wachsen und heute Spre­cher von Fridays for Future“ (FFF) in München. Er sagt, Privi­le­gien fingen viel früher an, als man denke. Haben deine Eltern am Früh­stücks­tisch die SZ gelesen? Haben sie mit dir poli­ti­sche Gespräche geführt? Dieses Privileg genießen oft weiße, akade­mi­sierte Kinder.“ Phil­lips Eltern lesen die Süddeut­sche Zeitung“. Sie haben ihm auch von klein auf beigebracht, Dinge zu hinter­fragen und am Esstisch keine Scheu vor poli­ti­schen Diskus­sionen zu zeigen.

Luc ist in einer kleinen, aber süßen“ Drei­zim­mer­woh­nung im Münchner Westend aufge­wachsen, Phillip in einer großen Doppel­haus­hälfte im bürger­li­chen Pullach. Knapp neun Kilo­meter liegen dazwi­schen und unge­fähr in der Mitte entscheiden Politiker*innen über die Zukunft der Menschen – auch über die Zukunft der jungen Menschen. Doch Minder­jäh­rige können poli­ti­sche Entschei­dungen kaum beein­flussen. Und wenn, dann sind es meis­tens bestimmte Jugend­liche, die sich poli­tisch enga­gieren – das zeigt eine Statistik des Deut­schen Jugend­in­sti­tuts. Menschen aus einkom­mens­schwa­chen Haus­halten enga­gieren sich weniger poli­tisch als Personen mit höherem Einkommen.

Experte: Jugend­liche aus prekären Verhält­nissen finden sich nicht in der Politik wieder 

Das sei ein ganz klas­si­sches Problem, sagt Prof. Dr. Wolf-Diet­rich Bukow, Erzie­hungs- und Kultur­so­zio­loge an der Univer­sität zu Köln. Die Menschen, die in finan­ziell schwie­rigen Situa­tionen leben, können sich mit der Gesell­schaft viel weniger iden­ti­fi­zieren. Weil das, was in der Öffent­lich­keit und in der Politik geschieht, in der Regel ihre Inter­essen kaum berück­sich­tigt.“ Beson­ders die Partei­pro­gramme der Volks­par­teien seien auf eine bürger­liche Wähler­schaft ausge­richtet. Denn Jugend­liche aus prekären Verhält­nissen fänden sich von Anfang an nicht in den Themen der Politik wieder. Deshalb sei auch die Moti­va­tion geringer, sich zu betei­ligen.

Und wenn sie sich doch enga­gierten, würden sie schnell demo­ti­viert, sagt Bukow. All die Menschen, die bei der Fridays for Future“-Bewegung aktiv sind, sind mitt­ler­weile auch desil­lu­sio­niert, weil nicht viel passiert“.

Von dem Gefühl, als Jugend­li­cher nur wenig Verän­de­rung bewirken zu können, erzählt auch Phillip. Der 18-Jährige trat vor zwei Jahren dem Jugend­par­la­ment in seiner Gemeinde bei, nachdem seine Eltern ihn dazu ermun­tert hatten. Dass Phil­lips Gemeinde über genug Geld für so eine Insti­tu­tion verfügt, ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Das Jugend­par­la­ment sei ein guter Anfang, sagt er – und trotzdem kriti­siert er es: Wir als Jugend­par­la­ment waren halt eine Gruppe von Jugend­li­chen, die ein Budget hat, das sie unter bestimmten Voraus­set­zungen einsetzen kann. Aber keine Stimme zum Wählen im Gemein­derat, nur Rede­recht. Wir waren so ein biss­chen zum Nerven da“, sagt Phillip.

Ich weiß echt nicht, wie das dann mit dem Abi laufen wird“

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Luc will mit seinem poli­ti­schen Enga­ge­ment aber mehr als nur nerven. Vor allem, wenn der 17-Jährige neben dem Schul­un­ter­richt den nächsten FFF-Groß­streik plant – das seien auch mal 40 unbe­zahlte Stunden die Woche, sagt er. Ich vernach­läs­sige Schule oft sehr, arbeite auch viel nachts. Ich weiß echt nicht, wie das dann mit dem Abi laufen wird“, sagt er und lacht dabei, verpackt seine Unge­wiss­heit in Humor – das Geschenk­pa­pier hat Knitter. Ein inneres Hadern schwingt in seinen Worten mit. 

Phillip und Luc erzählen beide, dass sie schon früh einen Gerech­tig­keits­sinn gehabt hätten: Phillip spricht von einem diffusen Gefühl im Bauch, dass etwas falsch laufe in der Welt. Er habe es gespürt, als er soziale Miss­stände in der Tages­schau sah. Luc hingegen, als er diese selbst erlebte. Zum Beispiel, wenn seine Freund*innen jeden Monat ins Kino gingen und er zuhause blieb, weil er sich das Ticket nicht leisten konnte. Damit dieses Bewusst­sein zu einem poli­tisch aktiven Dasein heran­reifen konnte, musste die Fridays- for- Future“-Bewegung ihre ersten Schritte auf der Straßen gehen. Anfangs lief Luc nur mit, seit einem Jahr ist Luc richtig dabei und enga­giert sich inzwi­schen als Spre­cher. 

Ich hatte das Gefühl, dass Akti­vismus vor allem was für weiße, akade­mi­sierte Menschen ist“ 

Lucs Weg war voll mit Steinen, die für Außen­ste­hende unsichtbar waren: Lange, lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass Akti­vismus vor allem was für weiße, akade­mi­sierte Menschen ist, nichts für ein Arbeiter*innenkind, was dazu noch migran­tisch ist“. Das sei aber nicht die einzige Hürde, die man als sozio­öko­no­misch schwa­cher Jugend­li­cher zu über­winden habe. Ein poli­ti­scher Café-Besuch, eine S‑Bahnfahrt zum Plenum oder auch eine Zugfahrt zu einem Kongress in Thüringen – poli­ti­sche Parti­zi­pa­tion kostet oft Geld. Geld, das Luc nicht immer hat.

Diese finan­zi­ellen Sorgen könnten Luc mit der Einfüh­rung einer Kinder­grund­si­che­rung abge­nommen werden, sagt Experte Bukow. Er hält sie für einen Schritt in die rich­tige Rich­tung“, ist aber der Meinung, dass sie nur mit gezielter Kommu­ni­ka­tion funk­tio­nieren könne: Wenn es abstrakt formu­liert wird, wissen die Leute nicht, was passiert“. Gene­rell müsse die Politik nahbarer für sozio­öko­no­misch schlechter gestellte Jugend­liche sein. Zum Beispiel, indem Politiker*innen in die Bezirke gehen und dort den Alltag der Jugend­li­chen miter­leben und sich auf Augen­höhe mit ihnen unter­halten. Ihre Sicht­weise müsse wahr- und ernst­ge­nommen werden: Die Themen müssen in öffent­li­chen Debatten vorkommen, also im Bildungs­system, in den Medien“, sagt Bukow.

Gleich­zeitig müssten Parti­zi­pa­ti­ons­formen wie das Jugend­par­la­ment verbes­sert werden, indem mehr Geld in poli­ti­sche Bildung inves­tiert werde, damit Jugend­liche nicht nur zu Wort kommen, sondern auch Erfolg haben“. Bukow sagt, es reiche nicht, sie in einer Art Schein­par­ti­zi­pa­tion“ fest­zu­halten: Die Jugend­li­chen brau­chen die Verge­wis­se­rung, dass ihre Ideen nicht nur gehört, sondern auch umge­setzt werden“.


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