Jugend­be­tei­li­gung: Ist der Politik ein Sechstel der Bevöl­ke­rung egal?

Datum
06. November 2023
Autor*in
Anne Wolff
Themen
#Politik #JMWS23
JMWS 2023

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Jugendpresse Deutschland/Moritz Heck
Die Mehr­heit der Jugend­li­chen fühlt sich von der Politik nicht ausrei­chend berück­sich­tigt. Damit sich das ändert, muss es mehr Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten geben, kommen­tiert Anne Wolff.

Die Mehr­heit der Jugend­li­chen fühlt sich von der Politik nicht ausrei­chend berück­sich­tigt. Damit sich das ändert, muss es mehr Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten geben, kommen­tiert Anne Wolff.

66 Prozent der Kinder und Jugend­li­chen zwischen zehn und 17 Jahren sagen, dass Politiker*innen ihre Wünsche und Anliegen bisher nicht ausrei­chend berück­sich­tigt haben. Das geht aus dem Kinder­re­port 2022 des Deut­schen Kinder­hilfs­werks hervor. Und das, obwohl wir durchaus Lust haben, uns zu betei­ligen: Der Wunsch nach poli­ti­scher Parti­zi­pa­tion wächst, wie die Shell-Jugend­studie aus dem Jahr 2019 zeigt. Während im Jahr 2002 nur 30 Prozent der Jugend­li­chen poli­tisch inter­es­siert waren, sagten im Jahr 2019 bereits 41 Prozent, dass sie betei­ligt werden wollen.

Jugend­liche unter 18 Jahren machen aktuell etwa ein Sechstel der deut­schen Bevöl­ke­rung aus. Dass so viele von uns sich nicht beachtet fühlen, hängt damit zusammen, dass die meisten Erwach­senen nicht mit, sondern über uns und unsere angeb­li­chen Probleme reden. Dabei sind wir die Politiker*innen von morgen und haben noch am längsten Zeit, die Zukunft zu gestalten. Wenn Erwach­sene wollen, dass Jugend­liche Vertrauen in die Politik haben, müssen sie uns mehr Möglich­keiten bieten, uns zu betei­ligen.

Das sollte bereits im Kindes­alter beginnen: Die Wahl eines Klas­sen­spre­chers oder einer Klas­sen­spre­cherin ist essen­tiell wichtig, um ein Verständnis von Demo­kratie und Verant­wor­tung zu bekommen. Die Wahl des Mandats ist aber nur in vier Bundes­län­dern ab der ersten Klasse verpflich­tend; in allen anderen Bundes­län­dern muss erst ab der dritten, vierten oder manchmal sogar erst ab der fünften Klasse gewählt werden.

Zudem wird Jugend­li­chen unter 18 Jahren in allen deut­schen Bundes­län­dern verwehrt, ein poli­ti­sches Mandat im Kreis‑, Stadt- oder Gemein­derat auszu­üben. Das vermit­telt den Eindruck, dass ein Sechstel der Meinungen unserer Gesell­schaft egal ist. Warum sollen wir über­haupt unsere Meinung äußern, wenn sowieso andere Menschen über unser Leben bestimmen?

Ein beson­ders gutes Beispiel für fehlende Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten und Bevor­mun­dung unserer Gene­ra­tion ist die Corona-Pandemie. Während wir allein in unseren vier Wänden saßen und uns gefragt haben, wann der Wahn­sinn endlich ein Ende findet, haben alte weiße Männer“ irgendwo im Land über unser Leben und unsere Einsam­keit entschieden. Niemand hat uns gefragt, was wir uns wünschen oder ob wir einen Vorschlag haben, wie unser Leben gerade gestaltet werden könnte. Auch unsere Lehrer*innen schwa­felten nur über den schreck­li­chen Verlust unserer Jugend. Sie bemit­lei­deten uns, aber fragten uns nicht nach Lösungen. Niemand wird jemals erfahren, ob ich viel­leicht die ausschlag­ge­bende Idee für eine Corona-geschützte Unter­richts­form gehabt hätte.

Die Betei­li­gung von jungen Menschen ist keine Frage finan­zi­eller Mittel, sondern eine des poli­ti­schen Willens. Es ist eine Ausrede, zu behaupten, dass wir erst die neuesten Laptops besitzen oder einen monat­li­chen Beitrag bezahlen müssen, um uns poli­tisch zu betei­ligen. Politiker*innen müssen ermög­li­chen, dass es auch ohne geht.

In jeder Schule sollte es eine Schüler*innenvertretung geben, die effektiv arbeitet und sich für die Anliegen, Wünsche und Sorgen der Schüler*innen einsetzt. Zudem sollte es regel­mä­ßigen Austausch zwischen uns Schüler*innen und den Abge­ord­neten geben. Politiker*innen sollten uns fragen, was uns beschäf­tigt, was wir verän­dern wollen und wie sie uns dabei am besten unter­stützen können. Diese Koope­ra­tion wäre eine einfache Form der Jugend­par­ti­zi­pa­tion und sollte verpflich­tend werden. Denn in meiner Heimat gibt es kein Jugend­par­la­ment oder Jugend­beirat. Die Abge­ord­neten meines Wahl­kreises sind meine einzige Chance, etwas zu verän­dern.

Falls Jugend­liche künftig nicht besser an der Politik betei­ligt werden, bleiben ihre Probleme weiter liegen und werden nur von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion weiter­ge­geben, während alte weiße Männer” regieren. Denn es liegt nicht an uns Jugend­li­chen, dass sich die deut­sche Politik nicht weiter­ent­wi­ckelt und es nicht mehr Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten gibt, sondern an denen, die an der Macht sind. Die Einbin­dung von Jugend­li­chen muss ausge­baut werden, damit meine Gene­ra­tion zukünftig wieder mehr Vertrauen in die Politik hat.

Trans­pa­renz­hin­weis: Anne ist Schü­ler­spre­cherin an ihrer Schule.

Disclaimer: Der Beitrag spie­gelt ausschließ­lich die Meinung der Autorin wider und nicht die der Projektpartner*innen des Jugend­me­di­en­work­shops im Deut­schen Bundestag 2023 (Jugend­presse e.V., Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung, Deut­scher Bundestag).


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