Im Schein der Ampel

Datum
10. Juni 2022
Autor*in
Tobias Alsleben
Themen
#Politik #BDEW Kongress22
Wirtschaftsminister Robert Habeck steht Antwort zu den klima- und energiepolitischen Herausforderungen am BDEW-Kongress 2022. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Wirtschaftsminister Robert Habeck steht Antwort zu den klima- und energiepolitischen Herausforderungen am BDEW-Kongress 2022. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Wirtschaftsminister Robert Habeck steht Antwort zu den klima- und energiepolitischen Herausforderungen am BDEW-Kongress 2022. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Als Klima­re­gie­rung’ traten SPD, Grüne und FDP das Erbe der Großen Koali­tion an. Auch die Ener­gie­wirt­schaft gibt sich krisen­be­wusst. Warum Habecks Politik gut ankommt und wie weit der propa­gierte Klima-Konsens reicht, analy­siert Tobias Alsleben.

Wirtschaftsminister Robert Habeck steht Antwort zu den klima- und energiepolitischen Herausforderungen am BDEW-Kongress 2022. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Auf dem BDEW-Kongress hat Wirtschaftsminister Robert Habeck seine Zuhörer*innen im Griff. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Es ist ein Segen, dass wir dieses Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­rium haben“, ruft Marie-Luise Wolff, Präsi­dentin des Bundes­ver­bands der Energie- und Wasser­wirt­schaft (BDEW), am Mitt­woch, den 1. Juni, in das voll­be­setzte Plenum des dies­jäh­rigen BDEW-Kongresses in Berlin. Robert Habeck, der die Geschicke des erwähnten Minis­te­riums seit nunmehr sechs Monaten lenkt, steht direkt daneben. Erstaun­lich positiv, so könnte man resü­mieren, ist die Reso­nanz rang­hoher Vertreter*innen des Lobby­ver­bands auf eine Bundes­re­gie­rung, die als erste in Deutsch­land das Ziel der Klima­neu­tra­lität bis 2045 ins Zentrum ihrer Politik gerückt hat. Erstaun­lich daher, weil sie damit das Geschäfts­mo­dell der Konzerne, die über Jahr­zehnte ihre Gewinne über fossile Ener­gie­träger gene­rierten, in noch kürzerer Zeit als ohnehin geplant auf den Kopf stellt.

Grünes Licht für grüne Pläne: Ein Wegweiser, der endlich steht 

Kerstin Andreae, Haupt­ge­schäfts­füh­rerin des BDEW, verwun­dert das nicht. Sie führt die Begeis­te­rung auf die zuvor herr­schende Planungs­un­si­cher­heit durch fehlende – oder zu lang­same – Entschei­dungen der letzten Bundes­re­gie­rungen zurück. Endlich entsteht mehr Klar­heit“, bestä­tigt auch Thomas Bünger, Manager der Vatten­fall Wärme Berlin AG, und bezeichnet die Ambi­tionen des Wirt­schafts- und Klima­mi­nis­te­riums als einen rich­tigen, wenn auch reich­lich späten Impuls. Dankbar sei man in der Indus­trie konkret für das Bestreben, zwei Prozent der Landes­fläche für Wind­energie zu nutzen, sagt Hans Front­schek als Vertreter der HUSUM Wind, einer führenden Fach­messe für Wind­energie in Deutsch­land. In der Legis­latur der letzten Großen Koali­tion unter Kanz­lerin a.D. Merkel habe man sich mit Abwan­de­rung von Firmen ins Ausland und erzwun­genen Perso­nal­ent­las­sungen konfron­tiert gesehen; zwischen­zeit­lich war die Zahl von bundes­weit nur 325 gebauten Wind­rä­dern im Jahr 2019 – vergli­chen mit rund 2300 in 2002 – als Tief­punkt des Wind­kraft-Ausbaus seit Inkraft­treten des Erneu­er­baren-Ener­gien-Gesetzes zum Symbol für das Schei­tern einer konse­quenten Ener­gie­tran­si­tion geworden. Nun aber freut sich Front­schek erneut über eine immer größere Zahl an Ausstel­lern.

Noch gelb um den Schnabel: Es gilt, sich zu beweisen

Dass mit dem Regie­rungs­wechsel an sich noch längst nicht alle Hürden in Rich­tung Klima­neu­tra­lität aus dem Weg geräumt sind, wird im Gespräch mit Kongressteilnehmer*innen ebenso klar. Dafür ist die Regie­rung zu jung im Amt, erst 175 Tage zur Zeit des Kongresses, und der Bedarf an gesetz­li­chen Weichen­stel­lungen zu groß. Es gibt auch Menschen, die gegen Laternen rennen, und wir stellen deswegen nicht alle Laternen in Frage“, sagt Bünger schmun­zelnd und verweist damit auf den Ziel­kon­flikt von Klima- und Arten­schutz beim Ausbau der Wind­kraft, der auf dem Kongress immer wieder beispiel­haft ange­führt wird für eine Rechts­lage, die die Ener­gie­wende hemmt. Noch größere Sorgen als ein Bundes­na­tur­schutz­ge­setz, das bisher jedes einzelne Vogel­leben schützt, scheint die deut­sche Büro­kratie zu bereiten:

– RWE-Geschäfts­führer Markus Krebber

Es sei Kläger*innen bis heute möglich, mit durch mehrere Instanzen geführten Gerichts­ver­fahren Projekt­um­set­zungen über Jahre zu verzö­gern, sagt Krebber. Letzt­lich wird trotz aller Euphorie des Neuan­fangs Vertrauen nur auf Bewäh­rung gewährt. Die Branche erwartet, dass die gefor­derte (Um-)Regulierung, etwa im Bereich der Elek­tro­mo­bi­lität oder der Ener­gie­ge­win­nung durch Wasser­stoff, nicht in Über­re­gu­lie­rung endet. Um den Weg der Klima­neu­tra­lität mitzu­gehen, bräuchten die Unter­nehmen Frei­raum, so formu­liert es BDEW-Geschäfts­füh­rerin Andreae in einem Angebot an die Politik“, und wählt damit dieselben Worte wie Fried­rich Merz, Oppo­si­ti­ons­führer der CDU im Deut­schen Bundestag, in seiner Rede am Folgetag.

Alarm­stufe Rot: Wenn Politik und Wirt­schaft gemeinsam auf Abwegen bleiben 

Für Carla Reemtsma, Spre­cherin von Fridays for Future Deutsch­land, ist die Reak­tion der deut­schen Ener­gie­wirt­schaft auf den Wechsel der poli­ti­schen Führung in Berlin zweit­rangig. Fest steht für sie, in Klima­fragen würden sich bisher weder die neue Bundes­re­gie­rung noch die Ener­gie­kon­zerne mit Ruhm bekle­ckern. Im Gegen­teil: Während selbst Bundes­kanzler Olaf Scholz und Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck welt­weit – im Senegal oder in Katar – neue Part­ner­schaften für fossile Ener­gien eingehen, blockierten insbe­son­dere die großen Konzerne wie RWE und LEAG die ernst­hafte Ener­gie­wende, indem sie beispiels­weise Druck auf die Politik ausübten, die Lauf­zeiten ihrer fossilen Kraft­werke zu verlän­gern. Was Reemtsma anspricht, ist die Sorge, dass Klima­schutz auch im Jahr 2022 vor allem eine Marke­ting­stra­tegie bleibt. Die eigent­liche Tiefe der Krise anzu­er­kennen würde hingegen bedeuten, sie in allen Dimen­sionen der Lebens­füh­rung mitzu­denken und vor dem Hinter­grund endli­cher Ressourcen auch Fragen redu­zierten Konsums zu adres­sieren. Fragen, die auf dem BDEW-Kongress, der sich aufgrund von CO2-Ausgleichs­zah­lungen als klima­neu­tral bezeichnet, tenden­ziell zurück­fallen – etwa hinter Diskus­sionen um Ziele wie die Zulas­sung 14,5 Millionen neuer (Elektro-)Autos bis 2030.

Ein Klima-Konsens auf wack­ligem Funda­ment 

Was wirk­lich dran ist an der prokla­mierten Synergie zwischen Regie­rungs­po­litik und Ener­gie­wirt­schaft, kann nicht abschlie­ßend geklärt werden. Forde­rungen nach Verfah­rens­be­schleu­ni­gung und gesetz­ge­be­ri­scher Ausge­stal­tung von Stra­te­gien, die zum Beispiel in Bezug auf Wasser­stoff noch fehlt, irri­tieren wenig. Auffäl­liger ist, dass wohl auch die Ansicht über grund­le­gendste Ambi­tionen im Einzelnen diver­gieren. So schwingt in Antworten auf die Frage, für wie realis­tisch man den Zeit­plan der Bundes­re­gie­rung halte, mit, dass kleine wie große Ener­gie­ver­sorger die Klima­neu­tra­lität bis 2045 mehr als Orien­tie­rung wahr­nehmen, weniger als Dead­line. Ein anwe­sender Konzern­ver­treter betont oben­drein, dass zur Reali­sie­rung der Ener­gie­wende noch finan­zi­elle Anreize fehlten und wünscht sich auf Nach­frage etwa staat­liche Zuschüsse, die nicht zurück­ge­zahlt werden müssen. Dass das Wirt­schafts­mi­nis­te­rium all dies gutheißt, ist zwei­fel­haft: Der Koali­ti­ons­ver­trag sieht in Anleh­nung an das Pariser Klima­schutz­ab­kommen die Klima­neu­tra­lität bis spätes­tens 2045 vor, Konzerne wie Vatten­fall und RWE erhielten bereits von der letzten Bundes­re­gie­rung umstritten hohe Entschä­di­gungs­zah­lungen für den Atom- und Kohle­aus­stieg. Darüber hinaus antwortet Habecks Pres­se­spre­cher Stephan Gabriel Haufe auf die Frage nach Inter­es­sens­kon­flikten mit den Ener­gie­kon­zernen, dass man als Minis­te­rium bei den betei­ligten Lobby­ver­bänden umso mehr aneckt, je mehr man etwas verän­dern möchte“.

Letzt­lich, vermutet Reemtsma, könne man davon ausgehen, dass die Begeis­te­rung der Ener­gie­lobby unge­achtet jegli­cher inhalt­li­chen Diskus­sion nicht zuletzt auf Habecks Talent beruht, seine Politik unglaub­lich gut nach außen zu verkaufen“. Und tatsäch­lich: Wenn man den lang­an­hal­tenden Applaus der Kongressbesucher*innen hört, als Habeck seine Rede an jenem Mitt­woch beendet, und in ihre belus­tigt-beein­druckten Gesichter blickt, liegt dieser Gedanke gar nicht so fern.


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