#Gott­kanzler ?

Datum
19. September 2017
Autor*in
Linda Göttner
Thema
#poBTW17
Foto: www.polen-heute.de

Foto: www.polen-heute.de

Martin Schulz über­raschte die Poli­tik­land­schaft, indem er alleine mit seiner Person der SPD zu deut­li­chem Aufschwung verhalf. Kurz vor der Wahl pola­ri­siert er immer noch Deutsch­land. Den Hype um Martin Schulz ist Linda Göttner auf den Grund gegangen und hat seine Wahl­kampf­rede in Münster beob­achtet.

Foto: www.polen-heute.de

Auch in Polen ist der Schulz-Hype angekommen. Foto: www.polen-heute.de

Im März ist die Begeis­te­rung für Schulz auf dem Höhe­punkt. SPD-Bundes­tags­ab­ge­ord­nete schwärmen im Gespräch mit mir beim Jugend­me­di­en­work­shop vom lang ersehnten Image­wandel der SPD, beschert durch Martin Schulz. Schnell etablieren sich die Bezeich­nungen Schulz-Hype, Schulz-Effekt oder Schulz-Zug für das neue Phänomen der SPD. Den Hype will ich selbst erleben und sehen, ob Schulz wirk­lich so authen­tisch ist, wie seine Anhänger behaupten.

Ich fahre in meine Studi­en­stadt Münster, wo Martin Schulz am 6. September seine Wahl­kampf­rede im Rahmen des Müns­ter­länder SPD-Wahl­kampfes hält. Wie viele andere bin ich eigent­lich nur wegen ihm gekommen und auch wie viele andere, habe ich mich an die Uhrzeit auf den Plakaten gehalten. 17:00 Uhr, Stuben­gassen Platz. Doch die SPD wollte wohl sicher­gehen, dass es alle recht­zeitig schaffen, ich muss nämlich noch zwei Stunden auf den Star der SPD warten und versuche während­dessen auszu­ma­chen, wer wirk­lich SPD-Anhänger ist und wer nur wegen Schulz da ist.

Schulz wählen, nicht nur die SPD

So treffe ich auf dem Platz auf andere Studiernde, die bei den Jusos sind. Sie sind es, die vorschlagen, die Zeit bis zum Schulz-Auftritt in einem Café zu über­brü­cken. Beim Kaffee kommt es dann raus: Die Truppe ist weniger poli­tisch aktiv und eher Mitglied auf dem Papier. Aber Schulz-Fan sind sie. Einer gibt sogar zu: Ich wähle die SPD nur wegen Schulz“.

Vor der Wahl­kampf­bühne hat sich inzwi­schen der Platz gefüllt und es ist winter­lich kalt geworden. Dann ertönt der Impe­rial March“ aus Star Wars, die SPD will das Publikum wohl in den Bann ziehen. Wir halten Ausschau nach Schulz. Ob er denn jetzt kommt, der galak­ti­sche Ritter. Doch wir müssen warten. Denn Schulz bahnt sich erst zu Cold­plays Viva la Vida“ seinen Weg durch die Masse. Und er wird von den SPDlern beju­belt wie der Sänger Chris Martin selbst. Ich frage mich, ob schon einmal wer den Song­text des Liedes ange­sehen hat? Never an honest word. And that was when I ruled the world.“ Das Lied handelt nämlich von der nicht erstre­bens­werten Macht eines Königs. Aber die epische Melodie des Liedes reichte wohl aus. Für die Masse scheint viel­mehr zu zählen, dass der von ihnen ernannte Gott­kanzler keine unnah­bare Figur auf der Bühne, sondern wort­wört­lich zum Anfassen ist. Einer, dem jeder die Hand schüt­teln kann und der sich im Bad der Masse Zeit für Selfies nimmt.

Angela versus Schulz

Zur Bundes­tag­wahl 2017 gestaltet sich der Wahl­kampf zwischen den Spit­zen­kan­di­daten der SPD und CDU anders als bei vorhe­rigen Wahlen. Während die CDU auf ihre altbe­währte Angela Merkel setzt, versucht die SPD ein neues Modell: einen Hype um einen Kandi­daten, der auch der Popkultur entstammen könnte. Nachdem Martin Schulz Ende Januar einstimmig zum Kanz­ler­kan­di­daten der SPD gewählt wurde und auch noch den Partei­vor­sitz über­nahm, entfes­selte sich eine Welle der Begeis­te­rung für Schulz und so auch die Partei. Es scheint, als solle er die SPD wie ein Messias aus der Krise retten. Die SPD verzeichnet daraufhin in kurzer Zeit zahl­reiche Partei­ein­tritte und die Umfra­ge­werte nehmen um zehn Prozent zu.

Plötz­lich ruft einer aus dem Publikum: Schulz wir lieben dich!“ Schulz erntet Zustim­mung, indem er sich selbst während der gesamten Rede nicht zu ernst nimmt. Er lacht über Kritiker und Kriti­ke­rinnen, die sich über seinen Anzug von der Stange, seine Glatze, seine Kassen­ge­stell-Brille oder seine Ausbil­dung zum Buch­händler belus­tigen. Schulz als Durch­schnitts­bürger. Damit grenzt er sich von der Elite ab. Obwohl, dazu­ge­hören tut er ja jetzt eigent­lich auch, aber dennoch baut er so Distanz zu den Bürgern ab. Stra­te­gisch kombi­niert mit den Ausbil­dungs­be­rufen, die er attrak­tiver machen möchte, hat er das Publikum damit auf seiner Seite. Es scheint, als lachten sie über die Witze eines Freundes und einer Freundin, den oder die sie schon lange kennen. Ich ertappe mich dabei, wie ich auch schmun­zeln muss. Selbst­ironie hat der Schulz schon drauf. Dabei schafft er es, sich als einer von den Poli­ti­kern zu präsen­tieren, obwohl er sich als Bundes­po­li­tiker noch gar nicht richtig beweisen konnte. Das bot ihm aber auch weniger Angriffs­fläche für Kritik, was ihm den Vorteil einspielt, dass sich die meisten erst einmal vorur­teils­frei auf ihn einlassen.

Im Gegen­satz zu Angela Merkel schafft Schulz sofort Nähe zu seinen poten­zi­ellen Wählern und Wähle­rinnen, indem er sie duzt. Als er nun auf der Bühne das Kanz­ler­duell anspricht, verschluckt er sich plötz­lich und einige halten kurz den Atem an. Hat er jetzt Unsi­cher­heit gegen­über Merkel preis­ge­geben? Der Kern seiner Stra­tegie hätte jedoch perfor­mativ nicht besser hervor­ge­hoben werden können. Schulz redet über alle Themen in Abgren­zung zu Merkel und setzt auf den Angriff als beste Vertei­di­gung, wie er es bereits beim Kanz­ler­duell getan hat. Zwar posi­tio­niert er sich inhalt­lich auch deut­lich für beispiels­weise die gesi­cherte Rente ab 67 Jahren, die Gebüh­ren­frei­heit in der Bildung oder gegen den Einfluss Erdo­gans in Deutsch­land. Wie er das umsetzen möchte, sagt er aller­dings nicht. Inhalt­lich konkrete Pläne für die Zukunft legt Merkel aller­dings auch nicht vor und versucht eher durch ihre Regie­rungs­ar­beit zu über­zeugen.

Ob Schulz-Effekt zum SPD-Sieg führt, bleibt frag­lich

Dies spie­gelt wohl wieder, warum die Umfra­ge­werte der SPD erst in die Höhe schnellten und dann beinahe wieder auf den Wert vor Schulz Kanz­ler­kan­di­datur sanken. Die SPD rich­tete ihre Stra­tegie zunächst erfolg­reich auf den Perso­nen­hype um Schulz. Sie brüstet sich mit ihrer neuen Gali­ons­figur, die das Ruder rumreißen sollte. Und so nahm nicht nur inner­halb der SPD der Schulz-Zug Fahrt auf. Martin Schulz wurde schnell zum #Gott­kanzler gekürt und der soge­nannte Schulz-Effekt wurde eher unab­sicht­lich aber auch medial kata­ly­siert. Es folgte lange Zeit nichts. Bis Schulz als neuer Kanz­ler­kan­didat seine Forde­rungen nach mehr Gerech­tig­keit inhalt­lich konkre­ti­sierte und das Regie­rungs­pro­gramm von der SPD beschlossen wurde, vergingen knapp fünf Monate. Viele, die Hoff­nungen in Schulz gesetzt hatten, landeten auf dem Boden der Tatsa­chen. Ein Messias ohne Regie­rungs­pro­gramm war dann doch enttäu­schend, wobei ein Viva la Vida“, ohne auf den Inhalt zu achten, dann noch akzep­tiert wurde. Noch dazu verlor die SPD Land­tags­wahlen in Nord­rhein-West­falen, Schleswig-Holstein und im Saar­land. Dass Schulz sich während des Wahl­kampfes in Nord­rhein-West­falen völlig zurück­hielt, wurde ihm später vorge­worfen.

Mit seinem nahbaren Auftritt erntet Schulz viele Sympa­thie­punkte. Die Umfra­ge­werte der SPD sehen kurz vor der Wahl jedoch mager aus. Mit 22 Prozent laut Emnid-Umfrage vom 16. September liegen sie nicht nur wieder beim glei­chen Wert wie vor dem Hype im Januar, sondern auch weit ab von der CDU, die hat 36 Prozent. Die Stra­tegie des vorwie­gend insze­nierten Hypes um Schulz scheint nur zeit­weise zu funk­tio­nieren. Als neues Aushän­ge­schild verhalf Schulz der SPD kurz­fristig zu einem besseren Image. Die Welle der Begeis­te­rung für ihn ist jedoch abge­flaut, denn einem ober­fläch­li­chen Hype müssen Taten und Lösungen folgen. So kurz vor der Wahl scheint Martin Schulz Deutsch­land nicht mit einer Wech­sel­stim­mung zu über­rollen. Und es wird sich zeigen, ob sich die SPD und Schulz selbst mit einem perso­nen­fo­kus­sierten Wahl­kampf am Ende einen Gefallen getan haben.

In seiner Wahl­kampf­rede an jenem Abend gibt Schulz aber noch nicht auf und bezeichnet sich selbst immer wieder als Kämpfer. Auch als Kanzler beti­telt er sich mehr­mals, und zwar nicht im Konjunktiv. Nach einer Stunde erreicht die Rede ihren Höhe­punkt, als Schulz sich für ein euro­päi­sches Deutsch­land und kein deut­sches Europa“ ausspricht. Damit erhält er den bislang größten Applaus, Pfiffe, einige rufen, dass sie ihn unter­stützen. Es dämmert bereits, als Schulz seine Rede mit deut­li­cher Verlän­ge­rung beendet. Es ertönt wieder Viva la Vida“, Schulz strahlt im Schein­wer­fer­licht der Bühne und die sitzenden SPD-Mitglieder erheben sich zu lang­an­hal­tenden Stan­ding Ovations.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Die Bundes­tags­wahlen 2017

Marcel Kupfer

Artikel

CDU-Wahl­abend: Alles wie erwartet

Linda Göttner

Artikel

Was macht der Wahl­vor­stand?

Daniel Heinz

Artikel

Ersties an der Urne

Daniel Heinz