Gehört, aber nicht ernst genommen

Datum
26. September 2022
Autor*in
Sophia Mauersberger
Themen
#BuJuKo22 #Politik
BUJUKO22-65

BUJUKO22-65

Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella Seeger

In der Theorie kaum bekannt, im Alltag jedoch die Lebens­rea­lität vieler junger Menschen: Adul­tismus. politikorange-Redak­teurin Sophia Mauers­berger kommen­tiert die unglei­chen Macht­ver­hält­nisse der Gene­ra­tionen.

Du bist zu jung!“ oder Dir fehlt die Reife dafür!“ haben sich wohl schon viele Jugend­liche in ihrem Alltag anhören müssen – so auch ich. Das Argu­ment des Alters fällt beson­ders häufig im Poli­tik­be­trieb. Je jünger die Enga­gierten sind, desto größer ist die Skepsis einiger älterer Politiker*innen.

Rachid Khenissi

Khenissi spricht im Plenum und bringt seine sozialdemokratischen Ansichten ein, die er normalerweise meist lokalpolitisch vertritt. Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella-Sophia Seeger

Das musste auch Rachid Khenissi (*1996) erfahren, der sich bereits im jungen Alter der Politik gewidmet hat. Der junge Frank­furter ist Teil des Bundes­vor­standes der Jusos und das jüngste Vorstands­mit­glied der SPD Frank­furt. Bei seinem Enga­ge­ment in seiner Partei trat die Alters­frage oft auf, meint der Student. Beson­ders die Reife und Erfah­rung, die man angeb­lich nicht gemacht hätte“ waren Thema. Dieses Argu­ment Erwach­sener fällt häufig, auch in Gesprä­chen, die sich nicht mit Politik befassen. Ob Promi-Klatsch, Wissen­schaft oder Essen – schnell treffen zu Hause Meinungen aufein­ander, wobei die jüngere Gene­ra­tion (zu der ich gehöre) als unwis­send abge­stem­pelt wird.

Khenissi hat jedoch weiter­ge­macht, sich weiter einge­bracht. Adul­tismus sollte man nicht auf sich sitzen lassen, führt er an: Wir sind dazu da, Sachen zu verän­dern, nicht das Label verän­dert uns“. Sofort schießen mir jedoch Nega­tiv­bei­spiele durch den Kopf. Schon öfter hatte ich das Gefühl, dass Menschen diesen unge­rechten Umgang mit jungen Menschen immer weniger verän­dern wollen, je mehr Macht sie selbst bekommen. Proble­ma­tisch wird es dann, wenn sich Jugend­liche den bereits bestehenden Struk­turen und Systemen fügen oder veral­tete Normen dulden, mit der Aussicht, selbst einmal oben im Macht­ge­schehen zu stehen. Denn auch ein Groß­teil der heutigen Erwach­senen hat selbst einmal Adul­tismus erlebt. Das Motto Ich musste da durch, also müsst ihr das jetzt auch“, ist dabei mehr als veraltet. Es entsteht ein Kreis­lauf, der ange­trieben wird von der Starr­heit des gesell­schaft­li­chen Umgangs mit Adul­tismus. Ohne alte Verhält­nisse aufzu­bre­chen, lässt sich dieser nicht stoppen.

Älter gleich intel­li­genter?

Adul­tismus stammt von dem Wort adult“ (latein: adultus, also erwachsen) ab. Beschrieben wird dabei das ungleiche Macht­ver­hältnis zwischen Erwach­senen und Kindern bezie­hungs­weise Jugend­li­chen. Auch wenn Adul­tismus nament­lich nur wenigen Personen in Deutsch­land bekannt ist, nimmt die Praxis einen großen Teil der Lebens­rea­lität junger Menschen ein und beein­flusst sie in ihrer poli­ti­schen Parti­zi­pa­tion.

Da Adul­tismus heut­zu­tage norma­li­siert ist, hinter­fragt gegen­wärtig kaum jemand die Ungleich­be­hand­lung – ebenso im Bundestag. So spricht sich beispiels­weise Beatrix von Storch mit den Worten Jugend­liche sind mit 16 nicht in der Lage, die Zusam­men­hänge der poli­ti­schen Arbeit zu verstehen […]” im Mitglie­der­ma­gazin AfD kompakt“ gegen eine Wahl­al­ter­sen­kung aus. Parallel spricht die Abge­ord­nete der AfD-Frak­tion den jungen Menschen ihre Kompe­tenz und den Wert ihrer poli­ti­schen Meinung ab.

ManuEla Ritz, Sozi­al­päd­agogin und Autorin, gibt im Hand­buch Kinder­welten. Viel­falt als Chance – Grund­lagen einer vorur­teils­be­wussten Bildung und Erzie­hung“ wieder, dass ältere Menschen häufig der Auffas­sung seien, kompe­tenter und intel­li­genter zu sein. Die Abwer­tung der Meinung von Jüngeren stehe so auf der Tages­ord­nung. Schließ­lich können Größere allein durch die Über­hö­hung der eigenen Person Heran­wach­sende verun­si­chern und deren Inter­essen mittels der unsicht­baren Macht­struk­turen hinten­an­stellen.

Teil­habe auf Papier

Adul­tis­tismus findet man überall, wo Gene­ra­tionen aufein­an­der­treffen. Ein Ort, an dem sich Erwach­sene und Jugend­liche fast täglich begegnen, sind unter anderem Schulen. Hier fängt Jugend­be­tei­li­gung und Demo­kra­tie­för­de­rung bereits in jungen Jahren an. Ausschlag­ge­bend sind hierbei die Schüler*innenvertretungen. Neben posi­tiven Erfah­rungen prägen sich vor allem nega­tive Momente in die Köpfe der Schüler*innen ein, denn obwohl die Teil­habe am Schul­leben faktisch gegeben ist, mangelt es oft an der Umset­zung. Kosten­freie Peri­oden­pro­dukte sind beispiels­weise für viele Schulen doch ein Tick zu viel Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand“. Frust entsteht leicht, wenn Verant­wort­liche sich den Forde­rungen der Schüler*innenschaft entziehen und somit die Hoff­nung auf demo­kra­ti­sche Prozesse nehmen. Wenn Demo­kratie schon im kleinen“ Rahmen nicht funk­tio­niert, wie soll sie das dann auf Bundes­ebene?

Wenn Lehrende selbst nicht für Demo­kratie brennen und Werte nur unin­ter­es­siert vermit­teln, kann der Funke auch nicht auf die Jugend über­springen. Der Anreiz, sich in der jewei­ligen Schüler*innenvertretung zu enga­gieren, sinkt dann und die Menta­lität jemand anderes wird es schon machen“ steigt. Ohne meine Gemein­schafts­kunde-Lehrerin in der Unter­stufe hätte ich mich wahr­schein­lich nicht so früh für Politik inter­es­siert und enga­giert. Während ich Hoff­nung auf Verän­de­rung alter Muster in mir trage, weiß ich, dass Schüler*innen anderer Schulen froh sind, nach dem Abschluss nicht mehr mit Politik konfron­tiert zu sein.

Heidi Reichinnek bei einer Rede.

Heidi Reichinnek ist unter anderem Sprecherin für Kinder-, Jugend-, Frauen- und Senior*innenpolitik. Foto: DIE LINKE. / Felix S. Schulz

Neue Gene­ra­tionen, alte Struk­turen

Um 11:30 Uhr klin­gelt mein Handy. Der Redak­ti­ons­raum strahlt eine tiefe Ruhe aus. Im Kontrast dazu zeigt sich Heidi Reichinnek am anderen Ende der Leitung trotz Krank­heit mit purer Energie.

Ich höre Dank­bar­keit heraus, als die Abge­ord­nete der LINKEN verba­li­siert, dass sie sehr viel Glück hatte. Ihr Alter war für Genoss*innen nicht das Problem. Kritik, erzählt die 34-Jährige, kam dies­be­züg­lich meist nur unter­schwellig: „[…] Dass man das manchmal an nem Blick sieht oder an irgend­einem Spruch merkt, oder dass man vor allem merkt, dass Männer die Tendenz haben, in die Rede­bei­träge, die man gerade hält, rein­zu­quat­schen“. Dennoch schließt sie reflek­tie­rend an, dass andere Genoss*innen auch andere Erfah­rungen gemacht haben.

Die Abge­ord­nete ist mit ihrer Erfah­rung wahr­schein­lich ein Einzel­fall und ist sich dessen auch bewusst. Immer wieder betont sie, dass sie erst relativ spät“, nämlich mit 27, in die Politik kam. Menschen, die sich schon wesent­lich früher poli­tisch enga­gieren, sammeln hingegen häufiger Erfah­rungen mit Adul­tismus.

Adul­tismus und andere Diskri­mi­nie­rungs­formen gilt es dabei meiner Meinung nach im großen Ganzen zu sehen. Auch die Bekämp­fung kann und sollte sich nicht auf einzelne Parteien beschränken. Den Wunsch, partei­über­grei­fend zu agieren, besitzt auch Reichinnek. Geprägt ist sie dabei wohl nicht zuletzt durch ihren beruf­li­chen Werde­gang zur pädago­gi­schen Mitar­bei­terin der Kinder- und Jugend­hilfe. Die Abge­ord­nete betont, dass es wichtig für sie sei, ihre Perspek­tive auf Adul­tismus aktiv einzu­bringen, weil sie das vor dem Mandat in ihrem Beruf als pädago­gi­sche Mitar­bei­terin erlebt habe.

Fatale Folgen und Frust

Perspek­tiven junger Menschen fehlen meist im Poli­tik­be­trieb in Berlin. Wie kann man sich als Jugendliche*r auch ernst genommen fühlen, wenn man alters­tech­nisch kaum im Parla­ment vertreten ist? Aus meiner Sicht sind 5,16 Prozent Abge­ord­neten unter 30 nichts, womit man prahlen kann. Selbst in der Links­frak­tion finden sich nur wenige junge Abge­ord­nete – die Jüngste: Heidi Reichinnek. Weitere jüngere Genoss*innen standen zur Bundes­tags­wahl 2021 auf den Listen­plätzen weiter unten.

Adul­tismus beein­flusst Jugend­par­ti­zi­pa­tion welt­weit, auch in der Bundes­re­pu­blik. Überall ist dabei die Macht­lo­sig­keit und die Abwer­tung der eigenen Meinung von Jugend­li­chen gleich – zu jung, zu naiv, zu uner­fahren. Das frus­triert nicht nur mich, sondern auch meine Freund*innen. Zu wissen, dass man poli­ti­sche Veran­stal­tungen besucht und sich an ange­spro­chenen Themen nur selten etwas ändert, stei­gert unsere Moti­va­tion nicht gerade. Noch frus­trie­render wird es jedoch, wenn man zusätz­lich Sexismus, Rassismus und/​oder weitere Diskri­mi­nie­rung erfahren muss. Wenn sich Jugend­liche in den Parla­menten Deutsch­lands schon nicht reprä­sen­tiert fühlen, sollten sie wenigs­tens den Eindruck haben, gehört zu werden. Nicht zuletzt kann das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, zu einer poli­ti­schen Radi­ka­li­sie­rung führen. Adul­tis­ti­sches Verhalten und der Ruf nach mehr Jugend­be­tei­li­gung sind ein Wider­spruch in sich.

Mutiger Aufbruch trotz Gegen­wind

Jugendliche sitzen in einer Reihe

Die BundesJugendKonferenz bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, ernst genommen zu werden und sich miteinander zu vernetzen. Foto: Jugendpresse Deutschland / Ella-Sophia Seeger

Verän­de­rung, Struk­turen, Verbün­dete – diese Schlag­worte fallen in Inter­views und auf der BuJuKo immer wieder. Jugend­liche auf der BuJuKo senden ein deut­li­ches Signal: Wir sind da. Wir wollen gehört werden – und viel wich­tiger: Wir haben eine Meinung, die wir uns nicht ausreden lassen. Es ist essen­tiell, dass die junge Gene­ra­tion aktiv Vertreter*innen in die Politik bringt, denn die Menschen, die aktuell Macht haben, behalten die kommenden Gene­ra­tionen nicht genug im Blick. Und um Vertreter*innen in einer Gene­ra­tion zu haben, gilt es nun, sich nicht entmu­tigen zu lassen. Auch persön­lich wird mich der viele Frust nicht davon abhalten, mich weiter zu enga­gieren.

Gerade deshalb sind Veran­stal­tungen wie die BuJuKo entschei­dend, um Jugend­liche unter­ein­ander zu vernetzen. Denn eine Sache gemeinsam anzu­gehen, ist leichter als allein – das kann ich aus Erfah­rung nur bestä­tigen. Khenissi möchte Jugend­liche zum Schluss unseres Gesprä­ches eben­falls ermu­tigen und appel­liert mit dem Ratschlag Weiter­kämpfen, durch­halten, Sitz­fleisch“. Auch Reichinnek appel­liert an die Jugend: Traut euch und sucht euch Verbün­dete! Es ist immer einfa­cher, wenn man Sachen gemeinsam angehen kann.“ Das sind Worte, die nicht nur ich, sondern auch viele enga­gierte Jugend­liche da draußen gebrau­chen können.

Es braucht aber mehr als nur die Moti­va­tion. Beide Politiker*innen sind sich der Notwen­dig­keit bewusst, junge Menschen und ihre Perspek­tiven ernst zu nehmen. Schluss­end­lich bringt es nämlich nichts, über kinder- und jugend­re­le­vante Themen zu entscheiden, wenn Jugend­liche selbst nicht mitreden können und nicht ernst genommen werden. Am schlimmsten ist es aber, wenn die junge Meinung gehört, aber igno­riert wird.


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