politikorange-Redakteurin Marie-Theres Böhmann besuchte am Freitagabend zum ersten Mal eine Critical Mass-Veranstaltung. Sie erzählt von ihren schockierenden Erfahrungen und fragt sich, wo überhaupt der Sinn der Aktion ist.
Abfahrt zur Critical Mass. Foto: Jonas Walzberg
Es heißt ja, dass man unvoreingenommen an neue Dinge gehen soll – das klappt bei mir nicht immer. Doch heute, am Freitagabend, will ich mich einmal ganz auf die neue Sache einlassen und radle ohne jegliche Vorahnung zur Critical Mass Berlin. Zuvor habe ich noch nie etwas von Critical Mass gehört, auf der Internetseite der Aktion steht „Fahrradfahrer fahren unter Einhaltung aller Verkehrsregeln gemeinsam durch die Stadt.“ So stehe ich am Freitag um 20 Uhr am Mariannenplatz in Berlin und warte mit knapp 3.000 anderen Fahrradfahrenden darauf, endlich in die Pedalen treten zu können.
Verzweifelte Blicke aus dem Bus
Als es losgeht, erwarte ich ein entspanntes, gemeinsames Fahrradfahren durch die Stadt. Doch schon an der ersten Kreuzung wird mir der Sinn – oder auch Unsinn – der Aktion immer bewusster. Zwei Busse, voll besetzt, stehen an der Kreuzung und kommen nicht weiter. Irgendwie habe ich schon Mitleid mit dem armen Busfahrer und seinen Fahrgästen, die eigentlich nur schnell ihr Ziel erreichen wollen und jetzt durch uns dort feststecken. Schon jetzt fange ich an, die Aktion in Frage zu stellen. Klar, verstehe ich, dass Berlin für Radfahrende kein Paradies ist. Doch macht es wirklich Sinn den ÖPNV der Stadt lahm zu legen, um darauf aufmerksam zu machen?
Ausweichmanöver des Krankenwagens
Das Engelchen auf meiner Schulter erinnert mich an mein Mantra für den Abend: Unvoreingenommen an die Sache herangehen und sich auf das Geschehen einlassen! Also radle ich weiter. Quer durch Berlin. Über die Köpenicker Straße, vorbei an der Oberbaumbrücke und über die Kreuzung an der Friedrichstraße. Irgendwie ist es ja auch ganz schön, mit so vielen Menschen Rad zu fahren und es ist auch ein gutes Gefühl, mal die stärkste Gruppe im Verkehr zu sein.
Doch spätestens als ich hinter mir das Martinshorn höre und das Blaulicht sehe, zweifle ich vollständig an der ganzen Veranstaltung. Der Krankenwagen muss mitten auf der Kreuzung wenden und fährt in den Gegenverkehr. Eine Gefährdung des Verkehrs – das kann doch nicht Ziel der Veranstaltung sein! Wie schrecklich muss es für die Krankenwagenfahrerin sein, die eine schwerverletzte Person im Wagen hat und eine blockierte Straße vor sich sieht? Was, wenn der Krankenwagen auf der Gegenfahrbahn einen Unfall baut? Ziel von Critical Mass sei es angeblich, nicht die Straßen zu verstopfen, sondern sich lediglich für eine Weile in den Verkehr einzumischen, heißt es auf der Webseite der Veranstaltung. Aber legt Critical Mass den Verkehr in diesem Moment nicht lahm?
Und dann: Ein Unfall…
Aber ich gebe der Aktion eine letzte Chance – also weiter geht’s. Das Tempo der Gruppe wird schneller und immer öfter überholen mich Rennradfahrende. Auch ich liebe schnelles Fahrradfahren – in so einer großen Gruppe finde ich es aber verantwortungslos. So kommt es, wie es kommen muss: Ein Fahrradunfall. Der verletzte Radfahrer bleibt zwischen den verhakten Rädern bewegungslos auf dem Boden liegen. Ich sehe noch, wie sich seine Freunde um ihn versammeln, aber Stehenbleiben ist für mich in der Masse undenkbar.
Kann mir bitte jetzt noch einmal jemand erklären, warum Critical Mass wirklich wichtig ist? Worin besteht der Sinn, wenn Einsatzfahrzeuge nicht den schnellsten Weg wählen können, unnötige Unfälle passieren und der öffentliche Nahverkehr blockiert wird? Fahrradfahrer haben natürlich ein Recht darauf, ebenfalls die Straßen zu benutzen, aber diese Art der mutwilligen Blockade des Verkehrs ist für mich unsinnig. Meine positive und unvoreingenommene Meinung von Critical Mass ist auf jeden Fall dahin. In Zukunft nehme ich lieber mein Rad und fahre wieder alleine durch die Stadt – mit Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmenden.
