Der jüdi­sche Glaube ist ein Teil von mir

Datum
09. September 2021
Autor*in
Aurelia Bonn
Themen
#tsuzamen 2021 #Leben
Collage

Collage

Jüdinnen und Juden leben ihren Glauben unter­schied­lich aus und für jede*n Einzelne*n hat das Judentum eine andere Bedeu­tung. Deshalb hat Aurelia Bonn bei vier Projektteilnehmer*innen von Meet a Jew* nach­ge­fragt: Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?

Es ist für mich ein Wegweiser, ein Stück Heimat.“

Portraitfoto-von-Meira.png

Meira Motsa ist 18 Jahre alt, lebt in Osnabrück und geht in die 13. Klasse. Nach dem Abitur möchte sie ein Fernstudium für Kindheitspädagogik beginnen, mit dem Ziel einmal eine Kindertagesstätte zu leiten. In ihrer Freizeit fotografiert sie gerne und engagiert sich in ihrer jüdischen Gemeinde. Foto: silberfotofox

Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?

Für mich bedeutet jüdisch sein etwas sehr Persön­li­ches. Es ist etwas, was nur mein Leben betrifft, nicht die Leute um mich herum. Es ist für mich ein Wegweiser, ein Stück Heimat. Jüdisch sein ist für mich das, was mich zu einem guten Menschen macht.

Ich lebe in einem ortho­doxen Haus­halt. Wir halten uns an möglichst alle Regeln. Ich achte darauf, koscher zu essen und kleide mich den jüdi­schen Vorschriften gemäß. Als verhei­ra­tete Frau bedecke ich meine Haare. Außerdem halte ich die Feier­tage ein und benutze am Schabbat kein Handy. Aber das sind alles Sachen, die nur uns betreffen. Das bedeutet nicht, dass wir in einer reli­giösen Blase leben, sondern, dass wir unseren Alltag anpassen und mit der rest­li­chen Gesell­schaft inter­agieren. Ich habe auch christ­liche, jüdi­sche und musli­mi­sche Freunde.

Was mich an dem jüdi­schen Glauben faszi­niert? Dass du nicht jüdisch sein musst, um ein guter Mensch zu sein. Das Judentum ist keine Reli­gion, die dich missio­niert. Im Gegen­teil: die Reli­gion, nimmt dich so hin, wie du bist. Es geht um dich selbst: wie du dich benimmst, wie du über andere denkst und was das mit dir macht.

Der jüdi­sche Glaube ist ein Teil meiner Iden­tität“

Portraitfoto-von-Jil.jpg

Jil Meiteles ist 36 Jahre alt und kommt aus München. Sie ist 2009 für neun Jahre nach Israel eingewandert und hat in der Marketingbranche gearbeitet. Seit 2018 wohnt sie wieder in München, arbeitet in der Immobilienbranche und verbringt ihre Freizeit mit Kochen, Sport, Kino- und Museumsbesuchen. Außerdem engagiert sie sich bei Meet a Jew und in weiteren sozialen Projekten. Foto: privat

Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?

Der jüdi­sche Glaube ist für mich ein Teil meiner Iden­tität. Es ist nicht nur, was ich glaube, es ist das Gefühl, dass da eine jüdi­sche Gemein­schaft ist. Es fühlt sich an, als ob die Jüdinnen und Juden welt­weit eine Verbin­dung zuein­ander haben. Durch die Verfol­gung der Jüdinnen und Juden über diesen langen Zeit­raum hinweg hat sich eine Zuge­hö­rig­keit gebildet. Ich würde meine Reli­gion nie ändern. Das Judentum gehört zu meinem tagtäg­li­chen Leben.

Das beson­dere an meiner Reli­gion? Es ist ein Glaube, der nicht missio­niert. Die jüdi­schen Gesetze machen es Leuten, die über­treten wollen, schwer. Wir versu­chen, niemanden auf unsere Seite zu bringen. Es ist eine Reli­gion, die wahn­sinnig auf die Familie bezogen ist, was ich schon immer mochte. Ich bin ein Fami­li­en­mensch. Bis auf zwei oder drei Feier­tage wird alles wirk­lich mit Freude gefeiert. Das heißt mit viel Essen, immer mit der Familie, ja auch mit Alkohol – das gehört auch mal zum Feiern dazu.

Ich komme aus einem Haus­halt, der auf Tradi­tionen bedacht ist. Ich esse jedoch nicht koscher und halte den Schabbat nicht ein, aber ich halte mich schon an gewisse Regeln. Jede*r sollte für sich entscheiden, in wie weit er*sie die Tradi­tionen auslebt.

Das Judentum ist für mich eine Anlei­tung, wie man als guter Menschen leben kann.“

Portraitfoto-Noah.jpg

Noah Sheffer ist 17 Jahre alt, wohnt in Hamburg und besucht die Oberstufe eines Gymnasiums. Er interessiert sich für Wirtschaft und Politik. Sich selbst sieht er als ganz normalen Teenager, der Apfelsaft trinkt, Computerspiele spielt, schwimmt und viel liest. Foto: privat

Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?

Ich bin jüdisch geboren. Meine Eltern und Groß­el­tern sind jüdisch und ich weiß auch, dass all meine Vorfahren für tausende von Jahren jüdisch gewesen sind. Ich fühle mich mit dem Judentum verbunden, weil das meine Tradi­tion ist. Ich bin damit aufge­wachsen, Schabbat zu feiern und mich mit der Familie hinzu­setzen und dann etwas Leckeres zu essen. Ich bin damit aufge­wachsen, dass wir in eine Synagoge gegangen sind und dort eine Kippa getragen haben. Inso­fern war das immer ein Teil von mir. Ich bin jedoch auch in meiner Jugend ange­feindet worden, weil ich jüdisch bin. Das hat mich in meinem jüdi­schen Glauben bestärkt.

Ob ich reli­giös bin? – Eher nicht. Ich halte mich an Tradi­tionen, weil ich sie richtig und schön finde. Aber ich halte mich nicht an jedes Gebot, nur weil es so in der Tora geschrieben steht.

Ich verstehe das Judentum als eine Anlei­tung dafür, wie man als guter Mensch leben kann. Diese Kern­es­senz finde ich toll und danach möchte ich leben. Mit dieser Grund­phi­lo­so­phie kann ich mich iden­ti­fi­zieren.

Ich finde es wichtig, das jüdi­sche Leben in ganz Deutsch­land zu erhalten.“

Franziska.png

Franziska Lucke ist 29 Jahre alt und kommt aus der Stadt Gera in Thüringen. Neben ihrem Studium der Geschichts- und Religionswissenschaften arbeitet sie als Wahlkreismitarbeiterin eines Landtagsabgeordneten und Wahlkampfkoordinatorin. Außerdem ist sie Mutter einer vierjährigen Tochter und engagiert sich seit ungefähr einem Jahr bei Meet a Jew. Foto: privat

Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?

Für mich bedeutet jüdi­sches Leben alles, was ich mache, als ein Geschenk von Hashem, von Gott, zu sehen. Ich mache mir bewusst, dass ich nichts tun könnte, wenn Gott mir nicht das Können oder die Möglich­keit geben würde.

Und sonst ist es in Deutsch­land immer eine Art Kampf. Nicht nur was Anti­se­mi­tismus angeht, sondern weil Deutsch­land ein christ­lich geprägtes Land ist. Obwohl viele Leute gar nicht reli­giös sind, basieren unsere Gesetze und Feier­tage auf dem christ­li­chen Glauben. Das steht dem Ausleben meiner Reli­gion manchmal in Konkur­renz. Meine Urlaubs­tage gehen zum Beispiel am meisten dafür drauf, dass ich mir an jüdi­schen Feier­tagen frei nehmen muss.

Jüdi­sches Leben bedeutet für mich, an Schabbat und an den Feier­tagen, in die Synagoge zu gehen. Dort verbringe ich Zeit mit meinen Freund*innen und der Familie. Israel ist für mich der Ort, an dem jüdi­sches Leben floriert und an dem man es wesent­lich einfa­cher hat. Ich finde es wichtig – gerade weil ich in einer Gemeinde bin, die klein ist und tatsäch­lich davon bedroht ist, auszu­sterben – dass man etwas dafür tut, das jüdi­sche Leben in Deutsch­land zu erhalten. Deswegen mache ich zum Beispiel mit einem anderen Gemein­de­mit­glied einen Abend für junge Gemein­de­mit­glieder, an dem wir gemeinsam Kochen.

* Meet a Jew, ist ein Projekt des Zentral­rats der Juden, das in persön­li­chen Begeg­nungen Einblicke in das jüdi­sche Leben gibt.


Empfohlene Beiträge

Artikel

Viele Bekennt­nisse, Umset­zung frag­lich

Moritz Müllender

Artikel

Auf der Suche nach der eigenen Iden­tität

Raphael Fröhlich

Artikel

Jung und jüdisch – So leben, wie es passt

Viviane Bandyk