Das Schei­tern Afrikas ist auch das Schei­tern Europas!“

Datum
24. März 2019
Autor*in
Henri Maiworm
Thema
#EWLako19
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Dr. Claude Kabemba im Interview mit Henri Maiworm. / Foto: Konstantin Baur

Dr. Claude Kabemba hat an der südafri­ka­ni­schen Wits-Univer­sity promo­viert und leitet eine Entwick­lungs­or­ga­ni­sa­tion. Unserem Reporter Henri Maiworm erklärt er, dass die Kolo­ni­al­mächte Afrika nie verlassen haben, was China anders macht und warum Afrika sich ausbeuten lässt.

Dr. Kabemba, Sie sind Direktor der Orga­ni­sa­tion Southern Africa Resource Watch und damit Experte für die natür­li­chen Ressourcen Afrikas. Welche Rolle können die Boden­schätze bei der Entwick­lung und Wohl­stands­ge­win­nung des Konti­nents spielen?

Wenn man sich euro­päi­sche Länder anschaut, erkennt man, dass sie durch den Abbau ihrer Mine­ra­lien eine Stär­kung ihrer Wirt­schaft und Wohl­stand herbei­führen konnten. Das ist etwas, womit Afrika sich schwer tut. Afrika ist in einer schwie­rigen Situa­tion gefangen: Wir haben einen Mangel an Regie­rungen, die nur dem Volk und nicht sich selbst dienen wollen. Es ist aber auch wichtig, dass wir die Entwick­lung Afrikas abseits von Boden­schätzen betrachten. Wir haben sehr viele andere Wirt­schafts­sek­toren, die mehr zur Entwick­lung beitragen können – über die wir aber nicht spre­chen.

Welche Sektoren sind das?

Ich meine Sektoren wie die Land­wirt­schaft. Afrika hat viel kulti­vier­bares Acker­land und ausrei­chend Wasser in viele Regionen des Konti­nents. Ein anderer wich­tiger Sektor ist Tourismus. Er ist wichtig, wenn es darum geht an auslän­di­sches Geld zu kommen. Wir müssen aber auch über Fische­reien reden. Im Moment werden die meisten afri­ka­ni­schen Gewäs­sern nicht von Afri­kaner und Afri­ka­ne­rinnen genutzt. Die Euro­päer und Euro­päe­rinnen, die Japaner und Japa­ne­rinnen, die Chinesen und Chine­sinnen – all die auslän­di­schen Fischer­be­triebe kommen nach Afrika. Das hat viel mit der internen Schwäche Afrikas zutun, wenn es um Regie­rungs­füh­rung geht. Wenn Afrika das wirk­lich alles in die Hand nehmen will, braucht es eine starke Posi­tion, darum ist der Zusam­men­halt in Afrika so wichtig.

Sie kriti­sieren die EU für ihre Zurück­hal­tung im Umgang mit afri­ka­ni­schen Staaten, insbe­son­dere wenn es um Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zesse geht. Die EU wird aber auch oft kriti­siert, weil sie sich als zu sehr in inner­afri­ka­ni­sche Ange­le­gen­heiten einmischt. Welches Verhalten sollte die EU denn Ihrer Meinung nach an den Tag legen?

Aus histo­ri­schen Gründen hat die EU die Verant­wor­tung, mit uns zu spre­chen. Die Ironie ist doch, dass Einmi­schungen der EU nicht deshalb zurück­ge­wiesen wird, weil sie sich zu sehr in afri­ka­ni­sche Ange­le­gen­heiten einmischt, sondern weil sie sich mit zu vielen Wider­sprü­chen einklinkt. Warum erwartet die EU gewisse Werte von dem einen Staat, aber von dem anderen nicht? Ich fordere die EU auf nach ihren Werten zu handeln – egal in welchen Außen­be­zie­hungen, ob mit Afrika oder oder den USA. Das jetzige Enga­ge­ment der EU trägt zur Schwä­chung und Spal­tung Afrikas bei. Von der Unab­hän­gig­keit bis jetzt gab es viele euro­päi­sche Inves­ti­tionen in Afrika, aber es hat alles nicht funk­tio­niert. Das Schei­tern Afrikas ist auch das Schei­tern Europas. Oft lag das am afri­ka­ni­schen Führungs­pro­blem. Die EU muss den Aufbau einer starken Zivil­ge­sell­schaft in Afrika fördern. Man kann Regie­rungen nicht nur mit Druck von außen zur Verant­wor­tung ziehen. Es braucht Menschen, die sich ihren Regie­rungen auch mal in den Weg stellen.

In der euro­päi­schen Wahr­neh­mung leidet Afrika noch sehr unter Armut und Hunger. Das sind starke Stereo­type. Können Sie mir afri­ka­ni­sche Länder nennen, die als Vorbilder für andere afri­ka­ni­sche Staaten fungieren?

Klar, zum Beispiel Äthio­pien, ein Staat der einen außer­or­dent­li­chen Fort­schritt über die letzten paar Jahre erreicht hat. Die äthio­pi­sche Regie­rung ist sehr stark im Kampf gegen Korrup­tion. Man könnte aber auch Ghana nennen. Bis vor kurzem haben wir zwar kleine Rück­schritte in der Entwick­lung Ghanas gesehen, aber das Land war immer ein gutes Beispiel für seinen demo­kra­ti­schen Prozess. Wir haben aber auch den Senegal – ein Land mit sehr wenigen natür­li­chen Ressourcen, aber mit aktiven Bürgern und Bürge­rinnen und einem starken Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zess. Ruanda ist auch ein schil­lerndes Beispiel. Mit Paul Kagame hat Ruanda einen sehr starken Führer – einige würden sogar Diktator sagen. Darüber muss man spre­chen. Was ist besser: Ein starken Führer, poli­ti­sche Stabi­lität und wirt­schaft­liche Entwick­lung oder Demo­kratie, trans­pa­rente freie Wahlen, aber eine Wirt­schaft im Kollaps?

Was meinen Sie?

Ich glaube, dass für afri­ka­ni­sche Länder Demo­kratie ein starkes Funda­ment für nach­hal­tige Entwick­lung und Wachstum bildet. Ruanda ist ein histo­risch beson­derer Fall. Es gibt aber die Hoff­nung, dass wenn die Insti­tu­tionen so stark wie in Ruanda sind, sie sich irgend­wann öffnen werden und es mehr Frei­heit und mehr Betei­li­gungs­mög­lich­keiten für das Volk geben wird. Wie nach­haltig das ist, wird sich zeigen.

Gibt es Länder, wo natür­liche Ressourcen zur Entwick­lung des Landes beigetragen haben?

Die gesamte südafri­ka­ni­sche Wirt­schaft nährt sich aus Mine­ra­lien – größ­ten­teils aus der südafri­ka­ni­schen Gold­in­dus­trie. Die Wirt­schaft von Botsuana und Namibia baut auf den Einnahmen ihrer Diamanten auf. Ich denke, dass Libyen das perfekte Beispiel dafür war, wie man Öl nutzen kann, um das Volk zu ermäch­tigen. Aber das wurde jetzt unter­bro­chen. Der Fall Libyen hat uns auch gezeigt, was für ein Problem der Westen mit der Unter­stüt­zung Afrikas hat.

Natür­liche Ressourcen können auch Menschen­rechts­ver­let­zungen und sogar Konflikte und Krieg hervor­rufen – wenn wir an Südsu­dans Ölre­serven oder an Sierra Leones Diamanten denken. Wie kann so etwas verhin­dert werden?

Um das ganz klar zu machen: Natür­liche Ressourcen verur­sa­chen keine Konflikte. Menschen verur­sa­chen Konflikte.

Viele der natür­li­chen Ressourcen Afrikas werden expor­tiert und die Wert­schöp­fungs­kette findet außer­halb Afrikas statt – gerade wenn wir an Kakao oder Kaffee denken. Wie kann man diesem Problem entge­gen­wirken?

Starke und enga­gierte Führung ist der einzige Weg dazu. Afri­ka­ni­sche Regie­rungen müssen Entschei­dungen treffen und auch dazu stehen. Die Frage ist jedoch, ob wir diese starken Regie­rungen haben. Die Wert­schöp­fungs­pro­ble­matik ist doch keine neues Problem. In den 1960ern, wenn viele afri­ka­ni­schen Ländern unab­hängig wurden, war eines der Ziele der Unab­hän­gig­keit Kontrolle über die eigenen Ressourcen zurück­zu­ge­winnen. Das war eine der Begrün­dungen für die Unab­hän­gig­keit, dafür haben wir gekämpft. Aber seitdem hat sich nichts verän­dert! Das ist nicht die Schuld Europas oder Chinas. Es ist die Schuld Afrikas.

Eine der größten Inves­toren in Afrika ist China. Kann China ein guter Partner für afri­ka­ni­sche Ländern sein, wenn es um den Zugang und die Gewin­nung von Rohstoffen geht?

China hat frucht­baren Grund gefunden. West­liche Länder haben Afrika in einem mise­ra­blen Zustand verlassen. So konnte China leicht ihren Platz einnehmen, um sich zu bedienen. Was China anders macht als Europa ist, dass sie in große Infra­struk­tur­ent­wick­lungs-Projekte inves­tieren. Europa hat Geld lieber in weichere Bereiche wie Bildung, Gesund­heit oder Frieden gesteckt. Die Infra­struktur, die China baut, ist nur dazu da, um Rohstoffe zu gewinnen und nicht um der Gesell­schaft zu helfen. Am Ende kommt es darauf an, ob die afri­ka­ni­schen Regie­rungen korrekt mit ihren Part­nern verhan­deln. Eines der Probleme, die wir iden­ti­fi­ziert haben, ist schwache Verhand­lungs­füh­rung. Aber da kommt die Korrup­tion ins Spiel.

Also was Sie eigent­lich sagen, ist, dass die Kolo­ni­al­mächte Afrika verlassen haben und China die Lücke gefüllt hat?

Nein, die Kolo­ni­al­mächte haben Afrika nie verlassen. Sie sind immer sehr präsent, wenn es um Einfluss und Kontrolle geht. Jeder hat gesehen, dass Afrika ein leerer Raum ist, in dem man sich einfach bedienen kann. China, Russ­land, Türkei – alle kommen, um sich zu bedienen und afri­ka­ni­sche Führer helfen ihnen im Austausch gegen Gefäl­lig­keiten. China tut nur das, was die anderen schon immer gemacht haben auf dem Konti­nent. So erschaffen sich China und Europa ihr eigenes Monster. Wenn die Umstände schlimmer werden, es keine Entwick­lung gibt, werden die Menschen nach einem besseren Leben suchen. China schickt so viele Menschen nach Afrika, aber ab einem gewissen Punkt werden die Afri­kaner und Afri­ka­ne­rinnen nach China gehen, so wie sie jetzt nach Europa flüchten.

Sie haben mal gesagt, dass wir den histo­ri­schen Kontext nicht vergessen sollten, wenn wir über eine EU-Afrika Part­ner­schaft reden.“ Sie haben aber auch gesagt, dass sich die Bezie­hung zwischen der EU und Afrika in Verhältnis zur Kolo­ni­al­zeit nicht sehr verän­dert hat. Wie würde eine Part­ner­schaft auf Augen­höhe zwischen Europa und Afrika aussehen?

Eine Part­ner­schaft auf Augen­höhe wird nur funk­tio­nieren, wenn Afrika bereit ist, die eigenen Inter­essen zu schützen und auf eigenen Posi­tionen und Entschei­dungen zu beharren. Und das nicht nur mit der EU, sondern auch mit China und allen anderen Part­nern. Es scheint, dass Afrika zu schwach ist, um sich zu den eigenen Posi­tionen zu bekennen. Darum gibt es einen großes Verlangen danach, den afri­ka­ni­schen Zusam­men­halt zu stärken. Afrika muss einen starken Block bilden, damit es besser mit den mäch­tigen Staaten und Orga­ni­sa­tionen wie der EU verhan­deln kann.


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