Das Plakat ist völlig nichts sagend!“ 

Datum
24. September 2017
Autor*in
Lilith Grull
Thema
#poBTW17
Hüpfer Foto: Laura Bartels

Hüpfer Foto: Laura Bartels

Poli­tiker und Poli­ti­ke­rinnen reden viel, gerade zur Wahl­kampf­zeit. Doch was sagen sie genau, welche Worte wählen sie und was bedeuten sie? Poli­to­lin­gu­is­tinen beschäf­tigen sich auf wissen­schaft­li­cher Ebene genau damit. Mit der Lingu­istin Prof. Dr. Dagmar Hüpper von der West­fä­li­schen Wilhelms Univer­sität-Münster hat sich Laura Bartels über die aktu­elle Wahl­kampf­sprache unter­halten. 

Hüpper Foto: Laura Bartes
Martin Schulz, Angela Merkel, Cem Özdemir und Sarah Wagen­knecht lächeln mich an, als ich mich auf dem Weg zum Germa­nis­ti­schen Institut der Uni Münster mache. Sie alle hängen momentan nicht nur in Münster an fast jedem Pfahl oder Laterne – oft sogar über­ein­ander, sodass man im Vorbei­fahren kaum lesen kann, was sie eigent­lich zu sagen haben. Was die Poster und die Kandi­da­tinnen aussagen (möchten), ist manchmal gar nicht so einfach zu klären. Hilf­reich ist hierbei die Erfah­rung von Frau Prof. Dr. Dagmar Hüpper, emeri­tierte Sprach­wis­sen­schaft­lerin der Uni Münster. Mit ihr bin ich zum Inter­view verab­redet. Eine Stunde spre­chen wir über Plakate, Wort­wahl, Aussagen und neue Medien. Vor allem zum Thema Wahl­kampf­sprache kann sie einiges erzählen. Sie hat im Jahr der letzten Bundes­tags­wahl, 2013, als auch im letzten Herbst ein Seminar zur Wahl­kampf­sprache an der Uni ange­boten. Sprach­liche Stra­te­gien und nicht Sprach­li­ches“, so Frau Hüpper, machen das Thema inter­es­sant, ebenso wie die verschie­denen Kommu­ni­ka­ti­ons­for­mate wie Social Media zum Beispiel.“ Beson­ders span­nend sind hier die Wahl­kampf­phasen, für die Lingu­istin Phasen verdich­teter Politik“, aus denen sich einiges ablesen lässt: Wie äußert sich ein Poli­tiker oder eine Poli­ti­kerin zu einem Thema, welche Worte benutzt sie, welche nicht. Das ist ein Bereich der Poli­to­lin­gu­istik, den Hüpper unter­sucht.     Vorwahl­kampf und Social Media   Im Herbst 2016 analy­sierte Hüpper mit einigen Studie­renden die Vorwahl­kampf­zeit der Parteien. Beson­ders im Social Media Bereich war der Vorwahl­kampf schon zu spüren. Twitter und Face­book sowie Insta­gram wurden von allen Parteien mehr oder weniger bespielt. Auffällig ist, dass kein Slogan aus der Zeit über­nommen wurde. Die FDP warb beispiels­weise im Herbst mit den Aussagen German Angst und German Mut“; im Bundes­tags­wahl­kampf ist von diesen Begriffen nichts mehr zu lesen oder zu hören. – im aktu­ellen Wahl­kampf ist von diesen Begriffen nichts mehr zu lesen oder zu hören. Da arbeitet die Parteien mit dem Portrait von Linder und Aussagen zur Wirt­schafts­po­litik und zum Bereich Digi­tales. Die Parteien benutzen also für die verschie­denen Phasen unter­schied­liche Begriffe und Slogans. Auch wenn dieser Eindruck noch nicht wissen­schaft­lich bewiesen ist, lassen sich Unter­schiede in der Sprache in den verschie­denen Wahl­kampf­phasen ausma­chen, sagt die Lingu­istin.     Schlag‑, Fahnen- und Hoch­wertwörter  Slogans oder Begriffe haben in der Germa­nistik bestimmte Bezeich­nungen. Parteien benutzen Schlag­wörter, die in Fahnen­wörter oder Unwert- oder Hoch­wörter unter­teilt sind. Teil­weise sind einzelne Wörter eng mit den Parteien verbunden, sie lassen sich als Fahnen­wörter bezeichnen. Es sind Wörter, die die Parteien für sich sozu­sagen rekla­mieren. Man kann sich das so vorstellen, als würde sich die Partei versam­melt hinter ein Wort stellen und sagen, dieses Wort ist jetzt unsere Fahne“, erklärt die Lingu­istin. Die FDP nutzt freie Markt­wirt­schaft als Fahnen­wort, für die CDU ist christ­lich als eines zu betrachten. DIE LINKE hat als ein Fahnen­wort anti­ka­pi­ta­lis­tisch, für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist es ökolo­gisch und die SPD nutzt Soli­da­rität. Fahnen­wörter sind also Worte, die eine Ausrich­tung der Partei mit einem Wort ausdru­cken und die laut, Hüpper, bei einer Partei überall wieder im Programm auftau­chen.“   Im Gegen­satz zu den Fahnen­wörten, sind Hoch- oder Unwert­wörter zwar auch an eine Partei gebunden, aller­dings ist ihre Verbin­dung mit einer Partei nicht ganz so eng und kann wech­seln; sie sind eher Ausdruck einer gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Entwick­lung. Hoch­wert­wörter werden von den Parteien für sich selbst benutzt, beispiels­weise Beding­ung­loses Grund­ein­kommen für DIE LINKE. Unwert­wörter sollten dagegen gemieden werden“, rät die Lingu­istin. Sie sind negativ konno­tiert und können abwer­tend gedeutet werden. Oft werden sie einer Partei für eine andere genutzt. Bspw. wurden die Grünen im letzten Bundes­tags­wahl­kampf als Verbots­partei diskre­di­tiert, weil sie einen vege­ta­ri­schen Tag in der Woche in öffent­li­chen Kantinen forderten.     Poli­ti­scherer Wahl­kampf als 2013 oder nicht   2013“, erzählt Hüpper, warb die CDU auf ihren Plakaten nur mit dem Portrait der Kanz­lerin. 2017 vari­ieren die Plakat­ge­stal­tungen. Mit kurzen Slogans wie für Sicher­heit und Ordnung möchte die CDU nun Wähle­rinnen über­zeugen.“ Ihr Eindruck ist gene­rell, dass die Parteien dieses Jahr einen poli­ti­scheren und inhalts­vol­leren Wahl­kampf betreiben als vor vier Jahren. Sichtbar wird dies auch an einem Plakat der SPD, was wir gemeinsam ansehen. Auf ihm stehen fünf große Hoch­wert- und Fahnen­wörter, die die Partei ausma­chen. Zu lesen sind auf dem Plakat fünf Schlag­worte: Soli­da­rität, Zusam­men­halt, Bürger­ver­si­che­rung, Soziales Europa und Will­kom­mens­kultur. Viel Inhalt für ein Plakat. Die Begriffe werden aller­dings nicht nur von einer Partei genutzt, viele dieser Begriffe finden sich auch im Wahl­pro­gramm oder auf Plakaten anderer Parteien.     Über­schnei­dungen bei der Wort­wahl   Fast jede Partei verwendet Begriffe wie Europa, Wirt­schaft, Sicher­heit oder Deutsch­land. Für die Lingu­isten sind solche partei­über­grei­fenden Begriffe soge­nannte Schlüs­sel­be­griffe. Auch sie sind aller­dings Kontext- und vor allem Zeit­ge­bunden. Dies wird zum Beispiel an dem Begriff Will­kom­mens­kultur deut­lich. 2013 war das Thema Migra­tion oder Einwan­de­rung kein Thema im Wahl­kampf, dieses Mal posi­tio­niert sich jede Partei dazu. Zwar lässt sich daraus auch etwas gesell­schaft­li­ches deuten, für die Poli­to­lin­gu­istin ist aber die Wort­wahl, die Syntax und die Frage wie und wann das Wort verwendet wird, entschei­dend. Natür­lich sind Worte dennoch eng mit Emotionen und Einstel­lungen verbunden. Insbe­son­dere in der heutigen Zeit ist das ein viel disku­tiertes Thema, an dem wir in unserem Gespräch nicht vorbei kommen.     Emotionen im Wahl­kampf   Vor allem im Wahl­wer­be­spots sind Emotionen viel zu finden, verstärkt durch Musik und Bilder. Auch im Hörfunk oder eben auf Plakaten wird versucht ein Bild zu erzeugen, oft verknüpft mit einer Emotion. In Münster hat die Spit­zen­kan­di­datin einer Partei mit einem Hund auf groß­flä­chigen Plakaten allen Bürgern schöne Ferien gewünscht. Frag­lich ist, ob das bei den poten­ti­ellen Wählern und Wähle­rinnen irgend­welche Emotionen hervor­ruft. Zumin­dest kann ange­nommen werden, dass es Emotionen anspre­chen soll.  Wir reden auch darüber, wie die AfD und andere rechte Parteien für sich und ihre Themen werben, denn insbe­son­dere rechte Parteien versu­chen, ihre Wahl­wer­bung mit Emotionen zu verknüpfen. Die AfD versucht dies zum Beispiel durch Plakate, auf denen eine schwanger Frau zu sehen ist und dazu der Slogan Neue Deut­sche? Machen wir selbst!“ steht.  Hüpper macht deut­lich, dass bei diesen Parteien vor allem mit der Emotion Angst geworben wird. Begriffe wie Flücht­lings­welle oder Migra­ti­ons­flut appel­lieren nicht an das ratio­nale Verständnis der Wähle­rinnen, sondern bedienen Emotionen. Insbe­son­dere, da diese Begriffe etwas Unkal­ku­lier­bares im Sinne einer Natur­ka­ta­strophe beinhalten“, so Hüpper. Welche Emotionen und vor allem Folgen diese Worte bei den Wähle­rinnen haben, lässt sich als Lingu­istin nicht nach­prüfen.“   Am Ende des Gesprächs wird deut­lich, dass es im wissen­schaft­li­chen Bereich noch einige Lücken zu füllen gibt, was Wahl­kampf­sprache angeht. Hüpper hat hier insbe­son­dere die sozialen Netz­werke im Blick, sie äußert sogar die Vermu­tung, dass diese in abseh­barer Zeit als Fünfte Gewalt in Deutsch­land einzu­schätzen seien. Schon jetzt passiere in den Netz­werken soviel, dass man es kaum über­schauen könne. Außerdem hat sich im Gespräch über Wahl­kampf­sprache und ‑Plakate heraus­ge­stellt, dass es die Parteien in ihrem Verhalten zum Teil sehr ähnlich agieren, ähnliche Themen anspre­chen und sich auch im Social Media Bereich ähnlich verhalten. Ob das die Entschei­dung, wo man das Kreuz setzt, einfa­cher macht, ist abzu­warten.      

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