BDEW-Kongress: Treffen der grauen Herren?

Datum
08. Juni 2022
Autor*in
Clara Baldus
Themen
#Politik #BDEW Kongress22
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Dieser Anblick zeigte sich häufig auf dem BDEW-Kongress und erweckte den Eindruck, es sei überwiegend ein Kongress der "grauen Herren". Eine Kongressteilnehmerin teilt diesen Eindruck auf Twitter.

Auf dem dies­jäh­rigen BDEW-Kongress wurden klima- und ener­gie­po­li­ti­sche Entschei­dungen disku­tiert. Wie sollte die Ener­gie­lobby ihren Einfluss auf die Politik nutzen und werden dabei auch junge Stimmen gehört? politikorange war auf Stim­men­fang.

Die sichere Exis­tenz der Mensch­heit steht auf dem Spiel.” – Zu diesem Ergebnis kommt der dies­jäh­rige IPCC Bericht, der die Auswir­kungen des Klima­wan­dels unter­sucht. Von der zuneh­menden Erder­wär­mung werden die jüngeren und nach­fol­genden Gene­ra­tionen deut­lich stärker betroffen sein. Viele junge Menschen machen sich daher große Sorgen um die Zukunft. So ging auch aus der 18. Shell Jugend­studie hervor, dass Umwelt­ver­schmut­zung und Klima­wandel zu den Haupt­pro­blemen zählen, die Jugend­li­chen Angst machen. Gleich­zeitig werden die klima- und ener­gie­po­li­ti­schen Entschei­dungen vornehm­lich von älteren Menschen getroffen. Klima­schutz ist also auch eine Frage der Gene­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit. Im Vorfeld der letzten Bundes­tags­wahl appel­lierten daher viele: Wählt im Sinne eurer Kinder und Enkel­kinder.

Dass nun schnell gehan­delt werden muss, um die Erder­wär­mung einzu­dämmen, scheint ein gemein­sames Verständnis von Politik und Ener­gie­wirt­schaft zu sein, wie auf dem dies­jäh­rigen Kongress des Bundes­ver­bandes der Energie- und Wasser­wirt­schaft (BDEW) immer wieder betont wird. Schließ­lich war der Ener­gie­sektor im Jahr 2020 laut Umwelt­bun­desamt für über 80 Prozent der menschen­ge­machten Treib­haus­gas­emis­sionen verant­wort­lich. 

Der Einfluss der Ener­gie­lobby

Der BDEW ist der größte Lobby­ver­band der Branche. Auf dem Kongress treffen hoch­ran­gige Vertreter*innen der Energie- und Wasser­wirt­schaft auf poli­ti­sche Entscheidungsträger*innen, um gemein­same Ziel­set­zungen, Inno­va­tionen und Möglich­keiten zu disku­tieren. Der Einfluss der Ener­gie­lobby auf die Energie- und Klima­po­litik ist dabei nicht zu unter­schätzen. Bundes­kanzler Olaf Scholz war selbst zu Gast auf dem Kongress, um zur Ener­gie­po­litik der Bundes­re­gie­rung zu spre­chen. Auch Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck schenkte vor einem voll­be­setzten Kongress­saal den Forde­rungen der Branche Gehör.

Die Spre­cherin von Fridays for Future, Carla Reemtsma, sieht dieses innige Verhältnis kritisch: Die Ener­gie­wirt­schaft, die einen unglaub­lich rele­vanten Anteil an Emis­sionen ausmacht, sollte nicht diese Form von Einfluss auf poli­ti­sche Entschei­dungen haben. Das ist per se anti­de­mo­kra­tisch, denn dann entscheiden plötz­lich nicht mehr die Wähler­stimmen, sondern Unter­nehmen über die ener­gie­po­li­ti­sche Gegen­wart und Zukunft.”

Graue Herren in der Über­zahl

Sieht man sich auf dem Kongress um, zeichnet sich ein weit­ge­hend uniformes Bild. Man gewinnt den Eindruck, der typi­sche Ener­gie­ma­nager sei weiß, männ­lich und über 50. Das nimmt auch Kerstin Andreae wahr, die als weib­liche Spitze der BDEW Geschäfts­füh­rung eine Ausnahme ist: Die Branche ist aktuell noch sehr männ­lich.” 

Die Reprä­sen­ta­tion von Frauen in Führungs­po­si­tionen in der Wirt­schaft wird regel­mäßig von der Allbright Stif­tung unter­sucht, einer gemein­nüt­zigen Orga­ni­sa­tion, die sich für mehr Diver­sität in wirt­schaft­li­chen Führungs­po­si­tionen einsetzt. Die im Oktober 2021 veröf­fent­lichte Allbright-Studie stellte fest, dass die Vorstands­mit­glieder in Börsen­un­ter­nehmen1 zu 87 Prozent männ­lich, zu 75 Prozent deutsch und zu einem über­wie­genden Anteil vor 1968 geboren sind. Auch zwei der größten Ener­gie­un­ter­nehmen, die auf dem BDEW-Kongress vertreten waren, machen in Sachen Gleich­stel­lung keine gute Figur: Der Vorstand von RWE ist zu 33 Prozent mit Frauen besetzt, der von Eon nur zu 20 Prozent. 

1 Die Allbright-Studie infor­miert über die Vorstände und Aufsichts­räte der zum 1. September 2021 im DAX30, MDAX und SDAX notierten Unter­nehmen.

Geschätztes Durch­schnitts­alter: Mitte 50

Von hinten betrachtet gehen bei vielen Kongress­teil­neh­menden die Farben der Anzüge in die grau schat­tierten Haar­töne über. Als wir Kerstin Andreae darauf anspre­chen, schätzt auch sie das Durch­schnitts­alter auf Mitte 50. Es sei wohl ange­dacht gewesen, auch die junge Gene­ra­tion auf dem Kongress spre­chen zu lassen, so Andreae. Diesmal habe es nicht geklappt, aber nächstes Jahr”, beteuert sie.

Fridays for Future-Spre­cherin Carla Reemtsma konnte sich bislang kein eigenes Bild vom BDEW-Kongress machen. Gene­rell zwei­felt sie jedoch an, dass die Perspek­tiven der klima-akti­vis­ti­schen Jugend auf dem BDEW-Kongress und ähnli­chen Veran­stal­tungen genü­gend, wenn über­haupt, zur Sprache kommen: Wir erleben, dass junge Menschen oft auf irgend­welche Jugend­kon­fe­renzen abge­schoben werden, dass sie in poli­ti­schen Räumen nicht ernst genommen und nur einge­laden werden, damit sich die Veran­stal­tenden damit schmü­cken können.”

Selbst­wahr­neh­mung der Branche

Zwei, die zumin­dest optisch dem Bild der grauen Herren entspre­chen, sind bereit für ein Gespräch. Einer von ihnen heißt Arnd Hasen­fuss, Jahr­gang 64. Er ist hier als Vertreter von Accen­ture, einer der welt­weit größten Unter­neh­mens­be­ra­tungen. Er findet, der Frau­en­an­teil in der Branche habe sich in den letzten Jahren deut­lich erhöht, aber: Diver­sität ist hier nicht die Haupt­stoß­rich­tung”. Ob er ein Stück weit auch hier ist, um für seine 17-jährige Tochter etwas in Rich­tung Energie- und Klima­po­litik zu bewegen? Nein, die ist selbst aktiv, da muss ich für meine Tochter nichts bewegen.”

Der andere Herr heißt Oliver Strozyk, er ist 49 – also noch unter 50, wie er betont – und arbeitet bei MSU solu­tions GmbH, einem Unter­nehmen das Bran­chen­soft­ware für die Energie- und Wasser­wirt­schaft entwi­ckelt. Er teilt die Auffas­sung nicht, dass die Branche haupt­säch­lich von alten Männern domi­niert werde und nimmt die mangelnde Diver­sität somit auch nicht als Problem wahr. Der Kongress hier sei schließ­lich nur eine Moment­auf­nahme, meint er, die normalen Mitar­bei­tenden”, die zum Beispiel in Stadt­werken arbeiten, seien durch­schnitt­lich weit unter 50

Jung und alt im Dialog bei der Nachwuchsinitiative. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Jung und alt im Dialog bei der Nachwuchsinitiative. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi.

Er, Ü50, sucht junge Fach­kräfte

Die Branche ist drin­gend auf Nach­wuchs ange­wiesen, wie auf dem Kongress immer wieder betont wird. Die vom BDEW orga­ni­sierte Nach­wuchs­in­itia­tive“ soll helfen, Arbeitgeber*innen und junge, quali­fi­zierte Arbeitnehmer*innen vor Ort zu vernetzen. In diesem Rahmen wird ausge­wählten Studie­renden und jungen Berufs­tä­tigen die Teil­nahme auf dem Kongress finan­ziert. 

Eine von ihnen ist die 25-jährige Sophie Jacobs, sie studiert Maschi­nenbau und Wirt­schafts­wis­sen­schaften. Als junge Frau in der Minder­heit zu sein, kennt sie bereits von ihrem Maschi­nen­bau­stu­dium. Dem Kongress rechnet sie dennoch an: Man hat sich ja bemüht, dass in den Plenums­dis­kus­sionen meis­tens mindes­tens eine Frau dabei saß.” Mit Blick auf das Programm zeigt sich: für die Mehr­heit der Programm­punkte trifft das zu, in 16 der knapp 40 verschie­denen Vorträge und Diskus­si­ons­runden kam jedoch keine Frau zu Wort. 

Jacobs Inter­esse an dem Kongress ist von einer klaren Moti­va­tion geleitet: Ich will natür­lich in die Ener­gie­wirt­schaft gehen, um erneu­er­bare Ener­gien voran­zu­treiben. Denn das ist das zukunfts­träch­tige Thema, um das sich alle hier kümmern sollten.” Einige der Diskus­sionen, die auf dem Kongress statt­fanden, betrachtet Jacobs jedoch kritisch: Das ging ein biss­chen in Rich­tung Green­wa­shing. Auch die Chefs von großen Unter­nehmen, die bekannt­lich noch sehr viel mit Kohle­kraft­werken arbeiten, präsen­tieren sich dann so, als wären sie super klima­freund­lich und würden alles in ihrer Macht stehende tun.”

Alex­ander Schwade ist 25 Jahre alt und als Young Profes­sional“, also als Nach­wuchs­kraft auf dem Kongress. Das Ticket, das für den Nach­wuchs zu Sonder­kon­di­tionen 950 Euro kostet (der regu­läre Teil­nah­me­bei­trag beläuft sich auf knapp 3.000 Euro), wurde ihm von seinem Arbeit­geber gespon­sert, der GASAG. Auch ihm fällt auf: Verschie­dene Gesell­schafts­gruppen sind wahr­schein­lich nicht reprä­sen­tiert. Das ist wirk­lich nur die Energie- und Wasser­wirt­schaft, die sich intern trifft, also ein geschlos­sener Bereich.” Er hat jedoch den Eindruck, es werde bewusst versucht, junge Leute an die Branche heran­zu­führen. 

Ähnlich wie Sophie Jacobs möchte auch er einen Beitrag zur Ener­gie­wende leisten. Dass man eine Zeiten­wende anstoßen muss, hat hier auch die ältere Gene­ra­tion verstanden und die Branche hat sich das Klima-Thema auf die Fahne geschrieben”, so der Eindruck von Schwade. 

Auf dem Kongress wird fast schon wie ein Mantra immer wieder bekundet, die Ener­gie­wirt­schaft habe sich der Ener­gie­wende mit dem Klima­schutz als über­ge­ord­netes Ziel verschrieben und werde Hand in Hand mit der Politik den Pfad zur Klima­neu­tra­lität beschreiten. An mancher Stelle tun sich jedoch Zweifel auf, ob diesem Verspre­chen auch konse­quente Taten folgen werden – und in einem Punkt sind sich alle einig, die ihre Stimme von politikorange einfangen ließen: Klima-Akti­vismus braucht es trotzdem.


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