Zukunft ohne Inhalt? Wahl­kampf zwischen Portrait und Floskel

Datum
29. September 2021
Autor*in
Anna Rumpf
Themen
#BTW21 #Wahlen
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welche Information bleibt wohl bei der Wahlentscheidung hängen? Foto: Mika Baumeister / unsplash

Laschet, Baer­bock, Scholz – die Spitzenkandidat*innen haben in diesem Wahl­kampf die poli­ti­schen Inhalte verdrängt. Anna Rumpf sieht den stark perso­na­li­sierten Wahl­kampf kritisch. Ein Kommentar.

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Floskeln über Floskeln - geht es noch ein bisschen inhaltsloser? Foto: MDR

Mutti hört auf. Das frei­wil­lige Politik-Aus von Angela Merkel führte in diesem Wahl­kampf gleich mehr­fach zu einer histo­risch erst­ma­ligen Situa­tion: Noch nie traten gleich drei Kanzlerkandidat*innen an. Noch nie ging davon keine*r mit Amts­bonus ins Rennen. Und noch nie war der Wahl­aus­gang im Vorfeld so offen. Doch schnell wurde klar: Das wird kein Kampf der Inhalte, sondern ein Talent­wett­be­werb der Charak­ter­ei­gen­schaften und Selbst­prä­sen­ta­tion mit Aussichten auf einen Perso­na­lity-Award. Das Problem: Am Ende des Tages haben wir ein sympa­thi­sches, foto­genes und medi­en­wirk­sames Regie­rungs­ober­haupt, aber keine konkrete Vorstel­lung, für welche Inhalte dieser poli­ti­sche Star über­haupt steht.

Inhalte entscheiden über die Zukunft

Deutsch­land hätte dieses Jahr so viel Inhalt wie möglich gebraucht. Schließ­lich geht es um entschei­dende Zukunfts­fragen. Die Worte Klima­schutz, Rente und euro­päi­sche Außen­po­litik fielen zwar häufig, doch letzt­end­lich standen die Sympa­thie­punkte, Fehler und takti­schen Fähig­keiten der drei Spitzenkandidat*innen im Fokus. Politik entwi­ckelt sich mehr und mehr zu einem takti­schen Spiel, bei dem es eher darum geht, Vorteile an der Wahl­urne und Umfragen zu erzielen, anstatt tatsäch­liche Probleme zu lösen“, erklärt der Poli­tik­wis­sen­schaftler Rüdiger Schmitt-Beck im Gespräch mit poli­ti­ko­range.

Wir sind mitt­ler­weile über jedes kleinste Detail von Anna­lena Baer­bocks Lebens­lauf, Armin Laschets Humor und Olaf Scholz‘ mögli­cher Verant­wor­tung im Wire­card-Skandal aufge­klärt. Wir wissen aller­dings nicht, wie die Grünen als selbst­er­nannte Klima­schutz-Partei das 1,5 Grad Ziel errei­chen möchten, ausrei­chende Vorschläge dazu fehlen. Es ist weiterhin ein Rätsel, wie die CDU ihre geplanten Inves­ti­tionen in Forschung, Bildung und Klima­schutz über­haupt finan­zieren möchte. Wir wissen nicht einmal, ob die SPD lieber mit den Linken oder der FDP koalieren würde, obwohl die beiden Parteien inhalt­lich kaum weiter ausein­ander liegen könnten. Weniger Inhalt war selten.

Persön­lich­keit statt Perspek­tive

Problem­ori­en­tiert kann man diesen Wahl­kampf nicht nennen. Auf der Straße lächeln über­große die Spitzenkandidat*innen von Plakaten herunter, die mit inhalts­leeren Flos­keln bedruckt sind. Gut, dass Partei und Kandidat so groß sind, sonst wüsste man nicht, wer mit welchem Spruch wirbt. Phrasen wie Gemeinsam für ein modernes Deutsch­land“ und Respekt für Dich“ sind ja nett gemeint, bei der ratio­nalen Wahl­ent­schei­dung helfen sie aber nicht weiter.

Das gleiche gilt für die medial aufge­bauschten Trielle. Für die Minder­heit, die tatsäch­lich etwas von EEG-Umlagen, den wirt­schaft­li­chen Auswir­kungen eines Mindest­lohns und den Schwie­rig­keiten des Glas­fa­ser­aus­baus versteht, mögen die Debatten bei der Wahl­ent­schei­dung geholfen haben. Doch der Groß­teil, der eine verständ­liche, rich­tungs­wei­sende Diskus­sion erwartet hatte, wurde haupt­säch­lich von Olaf Scholz mit Hinweisen auf seine vielen poli­ti­schen Erfolge oder von Laschet mit Warnungen über Baer­bocks mangelnde Erfah­rung über­schüttet. Nach dem ersten Triell wurden die Zuschauer*innen nach Sympa­thie, Kompe­tenz, Verständ­lich­keit und Glaub­wür­dig­keit der Kandidat*innen befragt. Die konkrete inhalt­liche Posi­tion wurde in der Folge einfach unter Persön­lich­keits­fragen und trivialen Details begraben. Wie sollen Wähler*innen auf dieser Basis eine inhalt­lich fundierte Entschei­dung treffen?

Stereo­type, here we go again

Mit den drei Spitzenkandidat*innen im Fokus der Aufmerk­sam­keit wurde über­deut­lich: Auch 16 Jahre Kanz­lerin haben nichts an der Tatsache geän­dert, dass Männer bei poli­ti­schen Macht­spiel­chen einen Vorsprung haben. Scholz (63) und Laschet (60) bedienen das altein­ge­ses­sene Poli­tiker-Image einwand­frei. Baer­bock (40) hingegen sah sich im Internet gefälschten Nackt­bil­dern und sexis­ti­schen Hass­nach­richten ausge­setzt. Hätte man sich mehr auf rele­vante Inhalte fokus­siert, wäre Sexismus kaum ein Thema gewesen. Die Klima­krise oder die Rente lassen sich nun mal schwierig sexua­li­sieren.

Dieser Wahl­kampf wäre auch die Chance gewesen, junge Themen und Stimmen in der Politik groß raus­zu­bringen. Dieses Jahr trat eine histo­risch große Anzahl von Mitglie­dern der Jugend­or­ga­ni­sa­tionen der Parteien für die Bundes­tags­wahl an. Doch im Schatten der drei Medi­enstern­chen hatten Kühnert, Kuban, Rosen­thal und Co. kaum eine Chance, ihre Themen ins Schein­wer­fer­licht zu rücken.

Heck­meck ohne Zukunft

Viele vergessen scheinbar, dass es sich bei Demo­kratie eben nicht um ein Wett­rennen von Personen handelt, bei dem am Ende ein Pokal für Sympa­thie oder die beste Floskel wartet. Es geht um nicht weniger als die Gestal­tung der Zukunft unseres Landes, kurz: Wir brau­chen zukunfts­fä­hige poli­ti­sche Inhalte der Parteien. Genau darauf hätte sich der Wahl­kampf fokus­sieren sollen. 


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