Wohnen wählen – So wollen die Parteien den Wohnungs­markt verän­dern

Datum
21. September 2021
Autor*in
Lotte Ziegler
Themen
#BTW21 #Leben
Beitragsbild_SoMe_Unsplash_Marcus Lenk

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Wie wird Wohnen wieder bezahlbar? In Berlin ist das eine der drän­gendsten Fragen zur Wahl. Lotte Ziegler berichtet über Lösungs­an­sätze für die deut­sche Wohnungsnot – von Büro­kra­tie­abbau bis Enteig­nung.

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Wohnungsnot ist längst nicht mehr nur in Großstadtmetropolen ein Problem. Foto: Marcus Lenk / Unsplash

Deutsch­land braucht mehr Wohn­raum. Rund 670.000 Wohnungen fehlen zurzeit, in der letzten Legis­la­tur­pe­riode sind hundert­tau­sende Wohnungen weniger entstanden als im Koali­ti­ons­ver­trag verein­bart wurde. Vor allem an Sozi­al­woh­nungen mangelt es. Diese ernüch­ternde Bilanz zog im Februar das Bündnis Soziales Wohnen“, zu dem unter anderem der Deut­sche Mieter­bund und die IG Bau gehören.

Mieten­de­ckel – Der Berliner Sonderweg?

In Berlin ist die Wohnungsnot beson­ders groß, seit Jahren wollen vor allem viele junge Leute in die Haupt­stadt ziehen – mehr, als es Wohnungen gibt. Dadurch haben sich die Miet­preise im letzten Jahr­zehnt fast verdop­pelt. Der rot-rot-grüne Senat versuchte deshalb schon im Februar 2020, den ange­spannten Miet­markt in der Haupt­stadt selbst zu zügeln. Mit der Einfüh­rung des soge­nannten Mieten­de­ckels wurden die Mieten für etwa 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 einge­froren. So wurden die Miet­kosten bei rund jeder*m dritten Mieter*in um etwa 150 bis 200 Euro pro Monat abge­senkt. Doch ein gutes Jahr später erklärte das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt den Berliner Mieten­de­ckel für nichtig: Die Mieten zu begrenzen, sei nicht Aufgabe der Länder, sondern des Bundes – so die Karls­ruher Richter*innen.

Tausende Mieter*innen mussten daraufhin die Diffe­renzen nach­zahlen, die durch den Deckel einge­spart worden waren. Schät­zungen zufolge wären zwischen 300.000 und 500.000 Wohnungen von der Rück­ab­wick­lung betroffen gewesen, einige Unter­nehmen verzich­teten jedoch frei­willig auf Nach­zah­lungen. Berliner Grüne, Linke und SPD bedau­erten das Urteil und forderten, jetzt bundes­weite Rege­lungen einzu­führen. Die Frak­tionen der FDP und CDU/CSU, von denen die Klage initi­iert worden war, zeigten sich indes erleich­tert über die Entschei­dung des Gerichts. Sie spra­chen von einer guten Nach­richt”, auch für Berliner Mieter*innen: Der Mieten­de­ckel habe nur für Unsi­cher­heit auf den Wohnungs­märkten gesorgt und Inves­ti­tionen ausge­bremst.

Union und FDP: Bauen, bauen, bauen

Maßnahmen wie der Mieten­de­ckel oder die Miet­preis­bremse seien ohnehin recht­lich frag­würdig und unge­eignet”, heißt es auch im Bundes­tags­wahl­pro­gramm der Union. Laut der FDP sorgten solche Eingriffe sogar letzt­lich für weniger Wohn­raum”, weil Inves­ti­tionen weniger attraktiv würden. CDU/CSU und FDP setzen in der Wohn­po­litik klar auf Neubau, der unter anderem durch bessere steu­er­liche Abschrei­bungs­mög­lich­keiten und beschleu­nigte Geneh­mi­gungs­ver­fahren geför­dert werden soll. Die Union will so bis 2025 über 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen lassen. In der FDP will man mehr Bauland ausweisen und den Dach­ausbau verein­fa­chen. Einkom­mens­schwa­chen Mieter*innen will die FDP den Zugang zum freien Wohnungs­markt” mithilfe des Wohn­geldes erleich­tern. Dieses will die Union in Zukunft regel­mäßig anpassen und zudem den sozialen Wohnungsbau fördern – mit wie vielen Wohnungen, ist jedoch unklar.

Mit diesen Maßnahmen zeigen Union und FDP eine klare Kante hin zum rot-grünen Lager. Wie stark die Partei­en­land­schaft beim Thema Wohnen gespalten ist, zeigt sich beson­ders klar im Berliner Abge­ord­ne­ten­haus, wo aktuell SPD, Grüne und Linke regieren. Zu deren Mieten­po­litik der letzten Jahre sagte Chris­tian Gräff, baupo­li­ti­scher Spre­cher der CDU, im August dem Tages­spiegel: Mit der Mieten­de­ckel-Täuschung und Enteig­nungs­fan­tas­te­reien” habe der Senat alles dafür getan, den Neubau zu behin­dern, die Zahl der Wohnungs­bau­ge­neh­mi­gungen ist in diesem Jahr um 28 Prozent gesunken.”

Die Mieten­po­litik radikal verän­dern”

Solche von Gräff verpönten Enteig­nungs­fan­tas­te­reien” fordern tatsäch­lich hundert­tau­sende Berliner*innen, die das Volks­be­gehren Deut­sche Wohnen & Co. Enteignen” unter­schrieben haben: Über 240.000 Wohnungen sollen aus dem Besitz von großen Immo­bi­li­en­kon­zernen verge­sell­schaftet werden, basie­rend auf Artikel 15 des Grund­ge­setzes. Dieser besagt, dass Grund und Boden zum Zwecke der Verge­sell­schaf­tung” in Gemein­ei­gentum über­führt werden können, solange ein Gesetz die entspre­chende Entschä­di­gung regelt. Ob Enteig­nungen nach diesem Prinzip tatsäch­lich recht­mäßig sind, ist aller­dings noch umstritten.

Die Initia­tive möchte sich alle Konzerne vorknöpfen, die über 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen – derzeit sind das zwölf Unter­nehmen mit zusammen rund 240.000 Wohnungen. Ein großer Teil davon gehörte lange dem Land Berlin, bis der Senat in den 90er und 00er Jahren hundert­tau­sende Wohnungen aus Geldnot verkaufte. Wir wollen uns diese Wohnungen jetzt zurück­holen”, sagt Patricia Mach­m­u­toff. Die 24-jährige arbeitet im Kampa­gnen­büro der Initia­tive und hat auf den Straßen Berlins viele hundert Unter­schriften für das Volks­be­gehren gesam­melt.

Wenn die Wohnungen wieder in die öffent­liche Hand kämen, könnten diese gemein­wirt­schaft­lich verwaltet werden. Das würde nicht nur die Mieten in den Wohnungen der großen Konzerne senken, sondern über den Miet­spiegel auch Auswir­kungen auf den rest­li­chen Wohnungs­markt haben – so Mach­m­u­toff. Das könnte die Mieten­po­litik in ganz Deutsch­land radikal verän­dern.” Im Juni wurden für das Volks­be­gehren die gefor­derten 180.000 Unter­schriften einge­reicht, sodass es jetzt zum Volks­ent­scheid kommt. Parallel zur Wahl des Bundes­tags und des Berliner Abge­ord­ne­ten­hauses stimmen die Berliner*innen am 26. September nun auch über den Volks­ent­scheid DW & Co. Enteignen” ab.

Grüne und SPD: Neue Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit

Die Berliner Grünen-Frak­tion jeden­falls unter­stützt die Enteig­nungs-Initia­tive öffent­lich. Auf Bundes­ebene sucht man im Wahl­pro­gramm aller­dings vergeb­lich nach Verge­sell­schaf­tung. Statt­dessen soll ein ganzes Bündel an Maßnahmen bundes­weit die Miet­preise regu­lieren – unter anderem durch Miet­ober­grenzen und eine entfris­tete und verschärfte Miet­preis­bremse. Diese gilt derzeit in knapp 300 deut­schen Städten und soll dafür sorgen, dass die Miete nicht mehr als zehn Prozent über der orts­üb­li­chen Vergleichs­miete liegt. Dabei gelten aller­dings Ausnahmen bei Moder­ni­sie­rungen oder für möblierte Wohnungen. Solche Schlupf­lö­cher möchten die Grünen stopfen, ähnlich wie die SPD im Bund. Zusätz­lich wollen die Sozialdemokrat*innen mindes­tens 300.000 Wohnungen und 100.000 Sozi­al­woh­nungen pro Jahr bauen. Die Grünen wollen bis 2031 eine Million neue Sozi­al­woh­nungen schaffen. Beide Parteien wollen eine neue Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit, also ein Förder­pro­gramm für Sozi­al­woh­nungen, einführen.

Die AfD konzen­triert sich indes auf den Traum vom Eigen­heim”, wobei sie für Ausländer*innen deut­lich höhere Steuern fordert als für Deut­sche. Zudem will die AfD die Ener­gie­ein­spar­ver­ord­nung voll­ständig strei­chen, mit der aktuell die Ener­gie­ef­fi­zienz von Gebäuden gere­gelt wird, und Stan­dards im Brand‑, Wärme- und Schall­schutz absenken. Den sozialen Wohnungsbau hält die AfD für geschei­tert. In der Links­partei hingegen will man 15 Millionen Euro jähr­lich in Sozi­al­woh­nungen inves­tieren. Sie fordert einen bundes­weiten Mieten­de­ckel und die Absen­kung beson­ders hoher Mieten. Zusätz­lich will die Linke die Umwand­lung von Miet- in Eigen­tums­woh­nungen weit­ge­hend verbieten und eine gemein­nüt­zige Wohnungs­wirt­schaft aufbauen. Die Linke ist Teil der Initia­tive Deut­sche Wohnen & Co enteignen” und will ein Verge­sell­schaf­tungs­ge­setz einführen.

Alle Parteien sind sich also einig: Es muss mehr gebaut werden, mit Ausnahme der AfD wollen auch alle den sozialen Wohnungsbau fördern. Und doch sind die Diffe­renzen riesig: Bundes­weiter Mieten­de­ckel, stär­kere Miet­preis­bremse, Verge­sell­schaf­tung? Oder doch weniger Steuern und Büro­kratie beim Häuserbau?

In Berlin wird sich am 26. September gleich drei­fach zeigen, was auf Mieter*innen in den nächsten Jahren zukommt: Ob der Druck aus der Berliner Bevöl­ke­rung groß genug ist, um den Senat einen Entwurf für die Verge­sell­schaf­tung von Wohnungen vorlegen zu lassen, wie es der Volks­ent­scheid vorsieht. Ob das neu gewählte Abge­ord­ne­ten­haus aus Parteien besteht, die solche Vorschläge auch umsetzen würden. Und natür­lich, ob die Regie­rungs­ko­ali­tion im Bundestag in den nächsten vier Jahren Mieten gesetz­lich regu­lieren wird oder nicht. Und diese Entschei­dung wird nicht nur die Haupt­stadt betreffen, sondern Miet­preise in ganz Deutsch­land.

Im Detail: Das steht in den Wahl­pro­grammen der Parteien

Die CDU und CSU wollen den Neubau fördern, unter anderem durch bessere steu­er­liche Abschrei­bungs­mög­lich­keiten und beschleu­nigte Geneh­mi­gungs­ver­fahren. So sollen bis 2025 über 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Maßnahmen wie der Miet­preis­de­ckel lehnt die Unions­partei ab, sie seien recht­lich frag­würdig und unge­eignet”. Für gering­ver­die­nende Mieter*innen will die Union das Wohn­geld anpassen sowie den sozialen Wohnungsbau fördern – mit wie vielen Wohnungen, ist jedoch unklar.

Die SPD will mindes­tens 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, davon 100.000 Sozi­al­woh­nungen. Außerdem könnte es mit der SPD wieder eine Art Mieten­de­ckel geben: In ange­spannten Lagen soll ein zeit­lich befris­teter Mieten­stopp einge­führt werden. Die bundes­weite Miet­preis­bremse will die SPD nach­schärfen und entfristen. Außerdem wollen die Sozi­al­de­mo­kraten eine neue Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit, also ein Förder­pro­gramm für Sozi­al­woh­nungen, einführen. Die Gemein­nüt­zig­keit der Wohnungs­wirt­schaft war in Deutsch­land vor 30 Jahren abge­schafft worden.

Auch im Wahl­pro­gramm der Grünen ist die neue Wohn­ge­mein­nüt­zig­keit zentral – bis 2031 soll sie für eine Million neue Miet­woh­nungen mit dauer­hafter Sozi­al­bin­dung sorgen. Zusätz­lich wollen die Grünen das Recht auf Wohnen im Grund­ge­setz veran­kern und den Verlust von Wohnungen in Krisen­zeiten verhin­dern. Mit einem Bündel an Maßnahmen sollen bundes­weit die Miet­preise regu­liert werden, unter anderem durch Miet­ober­grenzen für Bestands­woh­nungen sowie eine Entfris­tung und Verschär­fung der Miet­preis­bremse.

Anders sieht es bei der FDP aus: Laut Wahl­pro­gramm sorgten Eingriffe wie Miet­preis­bremse und Mieten­de­ckel letzt­lich für weniger Wohn­raum”. Ähnlich wie die CDU/CSU setzen die Freien Demo­kraten vor allem auf Neubau, wollen Geneh­mi­gungs­ver­fahren beschleu­nigen und Steu­er­erleich­te­rungen erhöhen und entbü­ro­kra­ti­sieren. Zudem soll neues Bauland mobi­li­siert werden, etwa durch eine engere Koope­ra­tion von Bund und Ländern. Zahlungs­schwache Wohnungs­su­chende sollen mithilfe des Wohn­geldes unter­stützt werden.

Die AfD konzen­triert sich auf den Traum vom Eigen­heim” für Einhei­mi­sche, wobei Ausländer deut­lich mehr Grund­er­werbs­steuern zahlen sollen. Zudem will sie die Ener­gie­spar­ver­ord­nung voll­ständig strei­chen, mit der aktuell die Ener­gie­ef­fi­zienz von Gebäuden gere­gelt wird, Stan­dards im Brand‑, Wärme- und Schall­schutz deut­lich absenken. Den sozialen Wohnungsbau hält die AfD für geschei­tert, das Wohn­geld möchte sie erhöhen.

Die Linke hingegen will 15 Millionen Euro jähr­lich in Sozi­al­woh­nungen inves­tieren. Sie fordert einen bundes­weiten Mieten­de­ckel und zusätz­lich eine Absen­kung beson­ders hoher Mieten. Außerdem will die Links­partei die Umwand­lung von Miet- in Eigen­tums­woh­nungen weit­ge­hend verbieten und eine gemein­nüt­zige Wohnungs­wirt­schaft aufbauen, mit der Wohnungen in öffent­li­ches Eigentum umge­wan­delt werden sollen. Die Partei ist Teil der Initia­tive Deut­sche Wohnen & Co. enteignen” und spricht sich für ein Recht auf Miet­streik“ aus.


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