Wahlen sind ein will­kom­menes Einfallstor“

Datum
30. September 2021
Autor*in
Clara Hoheisel
Themen
#BTW21 #Medien
des-Information

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Beson­ders vor Wahlen können Falsch­in­for­ma­tionen großen Einfluss haben. Dabei kommen die Desin­for­ma­tionen nicht nur aus Russ­land. Clara Hoheisel hat mit Expert*innen gespro­chen.

Desinformation 2

Auch wenn sich Desinformation nicht auf Wahlen beschränkt, bilden diese ein willkommenes Einfallstor. Foto: Jugendpresse Deutschland / Saad Yaghi

Im direkten Vergleich der Mitglieds­länder der EU ist Deutsch­land mit Abstand am meisten von russi­schen Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen betroffen. Zu dieser Auswer­tung kommt eine Unter­su­chung des Euro­päi­schen Auswär­tigen Dienstes der EU: Seit 2015 werden in der Daten­bank EU vs. Disinfo“ gezielte Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen des Kremls gesam­melt. Demnach sind in Bezug auf Deutsch­land 700 Fälle bekannt, für Frank­reich 300 und für Italien 170 Angriffe. Doch nicht nur der Kreml hat ein Inter­esse daran, in den Bundes­tags­wahl­kampf einzu­greifen, wie Patrick Stege­mann und Khesrau Behroz in ihrem Podcast Noise erklären. In Koope­ra­tion mit dem Recher­che­zen­trum Correctiv gehen die Investigativjournalist*innen in der Folge Vienna Calling einem öster­rei­chi­schen Netz­werk von mitunter erst wenige Wochen vor der Bundes­tags­wahl gegrün­deten Online-Medien nach. Diese eint mangelnde Trans­pa­renz: Wie die Investigativjournalist*innen im Rahmen ihrer Recherche entdeckten, zeichnen sich die öster­rei­chi­schen Medien mit Namen wie Wochen­blick oder Report 24 durch einen falschen Firmen­namen aus. Bei einem Groß­teil handelt es sich um Brief­kas­ten­firmen, die ihren Sitz in der ober­ös­ter­rei­chi­schen Stadt Linz haben.

Die Publi­ka­tionen des öster­rei­chi­schen Netz­werks sind vorrangig in der rechten Szene ange­sie­delt. Veröf­fent­licht werden neben impf­kri­ti­schen Arti­keln auch hetze­ri­sche Inhalte gegen deut­sche Politiker*innen – vorrangig ist Anna­lena Baer­bock das Ziel. Die rechts­po­pu­lis­ti­schen Beiträge erhalten nicht nur zahl­reiche Klicks in Öster­reich, sie werden oft unge­prüft von deut­schen Medien über­nommen. Tatsäch­lich kamen laut einer Recherche der NGO Avaaz bereits 56 Prozent aller Deut­schen mit einer Fehl­in­for­ma­tion in Kontakt, die in direktem Zusam­men­hang zur Spit­zen­kan­di­datin der Grünen steht. Bei einem Vergleich der veröf­fent­lichten Falsch­in­for­ma­tionen über die drei Spitzenkandidat*innen ermit­telte die NGO ein ebenso erschre­ckendes Ergebnis: Während 71 Prozent der Desin­for­ma­tion auf Anna­lena Baer­bock zielen, beziehen sich auf Armin Laschet 29 Prozent. Einzig Olaf Scholz blieb von solchen Desin­for­ma­tions-Narra­tiven verschont.

Die Jour­na­listen Stege­mann und Behroz stellen in ihrem Podcast auch die Frage nach der Finan­zie­rung. Sogar ein russi­scher Einfluss wird nicht ausge­schlossen. Wir wissen zumin­dest, dass die Akteure, die da unter­wegs sind, Russ­land-Connec­tions haben“, meint Stege­mann. Diese Vermu­tung gründet darauf, dass viele der öster­rei­chi­schen Autor*innen der rechts­po­pu­lis­ti­schen FPÖ nahe­stehen, die bekann­ter­maßen Verbin­dungen nach Russ­land pflegt. Auch ist auffällig, dass die Bericht­erstat­tung inner­halb der Publi­ka­tionen vorrangig im Sinne der russi­schen Regie­rungs­linie erfolgt.

Stege­mann und Kolleg*innen stellten sich die Frage: Welches Inter­esse haben die öster­rei­chi­schen Medien daran, den deut­schen Bundes­wahl­kampf zu beein­flussen? Ein Ziel sei der direkte Einfluss auf die euro­päi­sche Politik: Wer in der EU etwas ändern möchte, muss die Stim­mung in Deutsch­land ändern. Und das ist den Rechten in Öster­reich klar“, mutmaßt der Jour­na­list. Außerdem könnten sich poli­ti­sche Entschei­dungen, die in Deutsch­land getroffen werden, unmit­telbar auf die öster­rei­chi­sche Politik auswirken. Und auch Geld spielt eine Rolle: Bei einer größeren Leser­schaft steigt der Gewinn der Zeit­schriften.

Doch Öster­reich ist neben Russ­land nicht das einzige Land, das mit gezielten Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen in den deut­schen Bundes­tags­wahl­kampf eingreift. Welche Mittel werden zur gezielten Desin­for­ma­tion einge­setzt? Und wer sind die Akteure, die hinter den Kampa­gnen stehen?

Dazu zählt prin­zi­piell alles das, was pola­ri­siert“

Desin­for­ma­tion erfolgt im Gegen­satz zu Fehl­in­for­ma­tion immer mit schä­di­gender Absicht. Damit beein­flusst oder verfälscht Desin­for­ma­tion die öffent­liche Meinung und kann das gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Klima schwer­wie­gend beein­träch­tigen. Ein Vertreter des Auswär­tigen Amtes erklärt im Gespräch mit poli­ti­ko­range: Staat­lich gesteu­erte oder mindes­tens gedul­dete Desin­for­ma­tion zielt in den meisten Fällen darauf ab, bereits bestehende gesell­schaft­liche Gräben bei pola­ri­sie­renden Themen zu vertiefen.“ Auch wenn der Blick nicht auf Wahlen per se verengt werden sollte, betont er die Bedeu­tung von Desin­for­ma­tion in diesem Kontext: Wahlen sind ein will­kom­menes Einfallstor für Akteure im Bereich Desin­for­ma­tion, weil im Wahl­kampf ohnehin bestehende gesell­schaft­liche Pola­ri­sie­rung verstärkt wird.“

Die Mittel der einge­setzten Desin­for­ma­tion sind so verschieden wie viel­fältig: Während Cyber­an­griffe, wie beispiels­weise die Macron Leaks, nicht per se als Desin­for­ma­tion bezeichnet werden, stehen sie oft in unmit­tel­barem Zusam­men­hang. Außerdem zählen falsche oder verzerrte Darstel­lungen als Desin­for­ma­tion. Wenn sich ein Akteur zum Beispiel einen bestimmten Kandi­daten aus einer Partei heraus­greift‘ und immer wieder auf die glei­chen Aspekte oder Äuße­rungen eingeht, kann das auch mit Desin­for­ma­ti­ons­ab­sicht geschehen“, erklärt der Vertreter des Auswär­tigen Amtes. Wissent­lich werden alle anderen Aspekte ausge­blendet, zum Beispiel, dass diese Person ihre Aussage schon rela­ti­viert und einge­ordnet hat; oder dass es sich um ein altes State­ment handelt.“

Gezielte Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen können Wahlen auf unter­schied­liche Art beein­flussen: Zum einen kann Desin­for­ma­tion auf den Wahl­pro­zess selbst abzielen, ein Klas­siker dafür ist die Brief­wahl“, so der Mitar­beiter des Außen­mi­nis­te­riums. Dieses Phänomen konnte zum Beispiel in den USA im Rahmen der letzten Präsi­dent­schafts­wahl beob­achtet werden: Riesige Kampa­gnen schürten den Eindruck, die Brief­wahl sei mani­pu­liert worden. Auf der anderen Seite haben wir, und das ist aus unserer Sicht das gravie­ren­dere Problem, klas­si­sche Themen der Desin­for­ma­tion. Dazu zählt prin­zi­piell alles das, was pola­ri­siert, was die Menschen auf die Straße bringt und wo Emotionen dahin­ter­ste­cken“. Das seien beispiels­weise der Klima­wandel, Migra­tion, in Frank­reich die Gelb­westen, in den USA Black Lives Matter und 2021 könnten es in Deutsch­land die Maßnahmen zur Eindäm­mung der Corona-Pandemie sein. Auch wenn die Ziele der auslän­di­schen Akteur*innen verschieden ausfallen, stehe nicht primär der Einfluss auf den konkreten Wahl­aus­gang im Fokus.

Der Groß­teil der Desin­for­ma­tionen kamen aus dem Inland.“

Die Akteur*innen, die hinter den Kampa­gnen stehen, sind nur schwer auszu­ma­chen. So ist auch die Bedro­hung der Bundes­tags­wahl durch auslän­di­sche Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen nach Aussage des Mitar­bei­ters im Außen­mi­nis­te­riums unmög­lich statis­tisch nach­voll­ziehbar: Die Gründe, aus denen Personen ihre Einstel­lung gegen­über Parteien und gesell­schaft­lich kriti­schen Themen verän­dern, kann von vielen Faktoren gleich­zeitig abhängen.“ So sei es beispiels­weise bis heute unglaub­lich schwer, mit Sicher­heit zu sagen, ob bei der US-Wahl 2016 auch nur eine Stimme durch eine auslän­di­sche Einfluss­nahme verän­dert wurde. Auch wenn der Vertreter in diesem Feld noch viel Poten­zial für zukünf­tige Forschung sieht, nimmt er an: Nach meiner Einschät­zung ist die Gefahr real.“

Desin­for­ma­tion kommt aber keines­wegs nur aus dem Ausland. Julian Jaursch ist Projekt­leiter bei der Stif­tung Neue Verant­wor­tung (SNV). Der Think Tank unter­sucht auf gemein­nüt­ziger, partei­un­ab­hän­giger Basis aktu­elle gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Fragen inno­va­tiver Tech­no­lo­gien. In einer Studie zur Bundes­tags­wahl 2017 ermit­telte Jaursch, dass der Einfluss von auslän­di­schen Falsch­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen eher gering ausfiel. Obwohl der Wahl­kampfs 2021 noch nicht abschlie­ßend ausge­wertet ist, vermutet er, dass sich diese Diagnose auch auf die aktu­elle Bundes­tags­wahl über­tragen lässt: Natür­lich ist die Gefahr da, dass auch Geheim­dienste, staat­liche Medien oder Einzel­per­sonen aus dem Ausland versu­chen, auf Deutsch­land Einfluss zu nehmen, aber der Groß­teil der Desin­for­ma­tionen kamen aus dem Inland. Das sind einfach unsere Mitbürger*innen, die aus verschie­dene Gründen Desin­for­ma­tion streuen.“

Es geht uns um eine resi­li­ente Gesell­schaft“

Bis heute exis­tiert welt­weit keine einheit­liche Stra­tegie im Kampf gegen Desin­for­ma­tion. Die Kampa­gnen werden oft nicht von Anbieter*innen wie Face­book selbst aufge­deckt, sondern von zivil­ge­sell­schaft­li­chen oder univer­si­tären Orga­ni­sa­tionen, wie beispiels­weise Graphika, EUDis­in­foLab oder Avaaz. In Deutsch­land sind die Zustän­dig­keiten im Bund über verschie­denste Ressorts und Insti­tu­tionen verteilt, eine zentrale Stelle für die Bekämp­fung von Desin­for­ma­tion gibt es nicht. Julian Jaursch steht dieser Situa­tion kritisch gegen­über: Meiner Meinung nach ist es subop­timal, dass der Umgang mit Desin­for­ma­tion in Deutsch­land so unko­or­di­niert gestaltet ist.“ Auch die Formu­lie­rung über­ge­ord­neter Ziele und Stra­te­gien hält der Experte für eine Möglich­keit. Mein Kern­an­liegen ist, dass wir uns als Gesell­schaft nicht darauf verlassen, dass die Platt­formen das irgendwie selber regeln, in Form frei­wil­liger Maßnahmen. Ich sehe es als Gefahr, wenn es kein koor­di­niertes, demo­kra­tisch legi­ti­miertes, unab­hän­giges, gemein­sames Vorgehen gibt.“ Die Verant­wor­tung, mit Desin­for­ma­tionen umzu­gehen, an die Inter­net­nut­zenden abzu­geben, schätzt der Experte als proble­ma­tisch ein. Gleich­zeitig wäre es sinn­voll, digi­tale Medi­en­kom­pe­tenz und quali­tativ hoch­wer­tigen Jour­na­lismus zu fördern“, führt er aus. Außerdem wünscht sich der Experte einfa­cheren Zugang zu den Daten der sozialen Netz­werke für Forschende, um Desin­for­ma­tionen leichter aufde­cken zu können.

Das Auswär­tige Amt setzt bis dato vor allem auf eine bessere Vernet­zung zwischen den Minis­te­rien und Gremien sowie in den inter­na­tio­nalen Bünd­nissen, erklärt dessen Vertreter. Ein weiterer Ansatz­punkt des Außen­mi­nis­te­riums stellt der Versuch dar, Wider­stands­fä­hig­keit in der Bevöl­ke­rung zu stärken: Es geht uns um eine resi­li­ente Gesell­schaft, die wider­stands­fähig im Kern ist gegen auslän­di­sche Einfluss­nahme. Eine Gesell­schaft, die gut einschätzen kann, welche Medien seriös sind, wie man soziale Medien konsu­miert und bei der ein gewisses Grund­ver­trauen in den Staat herrscht“. Als dritte Stra­tegie stärkt das Auswär­tige Amt die eigenen Analy­se­fä­hig­keiten. Wir haben ein spezi­fi­sches Inter­esse daran, Dinge schnell zu erkennen und reak­ti­ons­fähig zu sein“, heißt es auf Nach­frage.

Wir glauben nicht, dass diese Heraus­for­de­rungen verschwinden werden“

In Zukunft rechnet das Auswär­tige Amt mit weiteren Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen. Wir glauben nicht, dass dieses Problem oder diese Heraus­for­de­rungen verschwinden werden.“ Um dieser Entwick­lung entge­gen­zu­wirken, gibt es welt­weit in einigen Ländern erste Versuche, Desin­for­ma­tion als Straf­tat­be­stand zu etablieren und dann auch dementspre­chend zu verfolgen. Der Mitar­beiter des Außen­mi­nis­te­riums spricht sich aller­dings entschieden dagegen aus: Wir sind über­zeugt davon, dass das nicht der rich­tige Weg ist, unter anderem da das oft als Vorwand benutzt wird, um kriti­sche Stimmen zu unter­drü­cken.“ Statt­dessen seien lang­fristig eine resi­li­ente Gesell­schaft und eine aktive, fakten­ba­sierte, stra­te­gi­sche Kommu­ni­ka­tion die besten Mittel, um gegen Desin­for­ma­tion vorzu­gehen.

Auch der Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­list Patrick Stege­mann wünscht sich eines für die Zukunft: Desin­for­ma­tionen greift die Grund­festen unserer Gesell­schaft an. Deshalb hoffe ich, dass das Thema mehr ins gesell­schaft­liche Gespräch inte­griert wird.“


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