Wohin mit unserer Meinung, Frau Giffey?

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Foto: Jugendpresse Deutschland/Annkathrin Weis

Für Wahl­recht ab 16 oder Fridays for Future – die Jugend demons­triert! Doch was kommt dabei heraus? Unsere Autorinnen Lilian Sekkai und Leonie Thei­ding haben Bundes­ju­gend­mi­nis­terin Fran­ziska Giffey zum Gespräch gebeten.

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Guten Morgen, Frau Giffey!

Guten Morgen!

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. In zwei Wochen sind die Euro­pa­wahlen. Wie begeis­tert man Jugend­liche für Europa und für die Euro­päi­sche Union?

Ich denke, das Wich­tigste ist, dass man ihnen klar macht, was auf dem Spiel steht. Wir haben viel in Europa, das wir ganz selbst­ver­ständ­lich finden und wovon wir manchmal denken, dass es das schon immer gab. Reise­frei­heit, die Frei­heit zu Leben und zu Arbeiten, wo man will. Der Handel, der Wohl­stand in Deutsch­land als Export­na­tion. All diese Dinge, auch der Frieden und die Demo­kratie, das ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Wenn wir den Frieden in Europa erhalten wollen, ist es wichtig, dass wir uns dafür einsetzen. Das fängt damit an, dass man sein Wahl­recht wahr­nimmt.

Wie bringt man das den Jugend­li­chen nahe? Viele junge Menschen fordern das Wahl­recht ab 16 Jahren, wie würden Sie sich dafür einsetzen?

Zunächst finde ich es wichtig, dass alle die jetzt schon ein Wahl­recht haben, dieses auch wahr­nehmen. Ich finde wichtig, dass man darüber ins Gespräch kommt und Menschen dazu moti­viert, wählen zu gehen. In ganz vielen Ländern der Welt gibt es heute noch kein freies Wahl­recht. Deshalb ist es ein Schatz, dass wir dieses demo­kra­ti­sche Recht haben. Ich glaube auch, dass jeder, der poli­tisch inter­es­siert ist, jetzt die Aufgabe hat, in seinem privaten Umfeld – beim Nach­barn oder bei Freunden – dafür zu werben und zu sagen: Kommt, geht wählen!

Bei den Jugend­Po­li­tik­Tagen haben junge Menschen die Chance, ihre poli­ti­sche Meinung zu äußern. Haben Sie sich als Jugend­liche poli­tisch enga­giert, sind Sie auf die Straße gegangen oder haben dafür die Schule geschwänzt?

(lacht) Also die Schule geschwänzt habe ich nicht. Aber ich hab mich in der Schul­ge­mein­schaft enga­giert. Ich war in der Schul­bi­blio­thek sehr aktiv und auch immer wieder als Klas­sen­spre­cherin und Schü­ler­spre­cherin tätig. Wir haben uns für die Sachen einge­setzt , die uns wichtig waren. Es muss ja nicht immer ein Amt damit verbunden sein. Aber, dass man sich traut, seine Meinung zu äußern und für seine Posi­tion einzu­stehen, das finde ich ganz wichtig. Damit startet poli­ti­sche Betei­li­gung.

In den vergan­genen Jahren sind Jugend­liche wieder häufiger auf die Straße gegangen: Für Europa bei Pulse of Europe“, gegen Artikel 13“ oder gegen den Klima­wandel bei Fridays for Future“. Wie kommt die Meinung der jungen Menschen von der Straße in den Bundestag?

Durch die Demons­tra­tionen wurde starke öffent­liche Debatte geschaffen. Die Themen sind in aller Munde und das ist ein riesiger Erfolg – das muss man erstmal sagen. Ihr [Anm. d. Red.: Die ] seid bereits in den Debatten im Bundestag. Das erlebe ich immer wieder in verschie­denen Reden. Dieser Erfolg muss auch so weiter­gehen. Und die Jugend­Po­li­tik­Tage, die wir jetzt veran­stalten, sind ein ganz wesent­li­cher Schritt dafür. Hier soll ernst­haft über Themen gespro­chen und über­legt werden, was Empfeh­lungen und Wünsche sind. Dass wir die berück­sich­tigen und sie in die Bundes­ju­gend­stra­tegie einfließen lassen, die wir Ende des Jahres im Kabi­nett beschließen werden, ist das Ziel. Wir wollen nicht nur Jugend­po­litik vom grünen Tisch im Minis­te­rium machen, sondern wir wollen junge Menschen aus ganz Deutsch­land dazu befragen. Dazu dienen die Jugend­Po­li­tik­Tage und natür­lich auch viele andere Formate.

Trotzdem heißt es oft, Jugend­liche sind unpo­li­tisch und haben keine poli­ti­sche Meinung. Wir behaupten: Wenn man Jugend­liche stärker in poli­ti­sche Entschei­dungen einbindet, würden sie sich auch mehr für Politik inter­es­sieren. Was denken Sie?

Erst einmal glaube ich, dass es nicht die Jugend­li­chen“ gibt. Es gibt immer solche und solche Jugend­liche. Es gibt die, die super inter­es­siert und enga­giert sind und die, die darauf keine Lust haben und sich nicht dafür inter­es­sieren. Die Frage ist, wie wir die Zahl der Aktiven erhöhen können. Wie können wir andere auch dazu bewegen? Wir leben in einer reprä­sen­ta­tiven Demo­kratie, die davon lebt, dass es ein Partei­en­system gibt, in dem sich auch junge Menschen stärker enga­gieren sollten. Ich finde, jede Bewe­gung ist eine gute Sache. Aber es war unser Altkanzler Gerhard Schröder, der sagte: Rein in die Orga­ni­sa­tion und von innen aufmi­schen. Ich finde, das hat nach wie vor Charme, sich auch in Parteien zu enga­gieren. Die Parteien haben einen Mangel an jungen Menschen, sind aber das Funda­ment für uns demo­kra­ti­sches System. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr junge Menschen in Parteien gehen und sich auch in der Kommu­nal­po­litik enga­gieren – gerade Frauen. Wir haben nur zehn Prozent Bürger­meis­te­rinnen in Deutsch­land und wenn wir da mehr hätten, auch mehr junge Frauen, wäre das schon klasse. Da kann ich nur ermu­tigen.

Wie erreicht man die Jugend­li­chen, die sich nicht so für Politik inter­es­sieren?

Das fängt bereits in der Schule an. Wenn ich manchmal höre, dass Poli­tik­un­ter­richt ausfällt oder abge­wählt wird, finde ich das wirk­lich sehr bedenk­lich. Ich glaube, wenn man kein Wissen über die Politik hat, dann kann man auch nicht mitma­chen und nicht gut entscheiden. Deshalb ist poli­ti­sche Bildung ganz wichtig. Ich glaube, Demo­kratie kann man sogar schon in der KiTa lernen. Kinder haben auch schon in einem sehr jungen Alter eine Meinung und können mit einbe­zogen werden – natür­lich alters­ge­recht. Es muss im Kinder­garten, in der Grund­schule, in der Ober­schule immer wieder Möglich­keiten geben, dass die jungen Menschen gefragt werden, wenn es um die Orga­ni­sa­tion der Schule geht. Wie sollen der Spiel­platz, der Sport­platz, der Schulhof gestaltet werden? Es so viele Möglich­keiten mitzu­ma­chen und diese Gele­gen­heiten müssen genutzt werden. Und natür­lich: Wenn du nicht weißt, wie unsere Bundes­re­pu­blik funk­tio­niert, dann kannst du auch nicht gut darüber entscheiden. Deshalb ist es wichtig, dass die Basics gelernt werden.

Sollte mehr auf Veran­stal­tungen wie die Jugend­Po­li­tik­Tage aufmerksam gemacht werden?

Auf jeden Fall! Ich finde, Jugend­Po­li­tik­Tage müssen nicht nur eine Bundes­an­ge­le­gen­heit sein, das kann auch in den Ländern passieren. Wir haben schon in in vielen Kommunen in Deutsch­land Kinder- und Jugend­par­la­mente. Das finde ich sehr gut. Man muss all dieje­nigen bestärken, die das machen und auch noch viel mehr dafür sorgen, dass das verbreitet wird.

Auch in diesem Jahr erar­beiten die Jugend­li­chen wieder Forde­rungen. Bear­beiten Sie die persön­lich? Wenn ja, wann? Und können die Jugend­li­chen darauf hoffen, dass ihre Lösungs­an­sätze in der Politik berück­sich­tigt werden?

Wir werden das, was hier auf den Jugend­Po­li­tik­Tagen heraus­kommt, natür­lich bei uns im Minis­te­rium bespre­chen. Wir haben eine eigene Kinder- und Jugend­ab­tei­lung im Minis­te­rium, in der ganz viele Kollegen arbeiten, die auch während der Veran­stal­tung mit vor Ort sind. Meine Staats­se­kre­tärin wird eben­falls hier sein. Wir haben verschie­dene Vertreter der Bundes­re­gie­rung, die in den nächsten Tagen auch mit euch ins Gespräch kommen und wir werden diese Ergeb­nisse natür­lich auswerten. Wir werden sortieren und über­legen, wie wir die einbringen können. Für uns ist der konkrete Anknüp­fungs­punkt die Bundes­ju­gend­stra­tegie, an der wir arbeiten und der Kabi­netts­be­schluss, der für Ende des Jahres vorbe­reitet wird. Da sollen diese Dinge einfließen. Ich hoffe, viele Empfeh­lungen finden sich dort wieder. Daran arbeiten wir.

Vielen Dank, Frau Giffey!


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