Wie die Jung­frau zum Kinde

Datum
28. August 2015
Autor*in
Lilith Grull
Thema
#Vielfalt im Journalismus 2015
Sabine Rükert

Sabine Rükert

Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin DER ZEIT. Foto: privat

Lilith Grull inter­viewt Sabine Rückert, stell­ver­tre­tende Chef­re­dak­teurin der ZEIT und damit eine der wenigen weib­li­chen Chefs in der Medi­en­branche. Ein Gespräch über Power­frauen, Chef­posten und die Medi­en­land­schaft von heute.

Liebe Frau Rückert, Sie sind fast ein Vier­tel­jahr­hun­dert bei der ZEIT und haben sich zunächst als Gerichts­re­por­terin einen Namen gemacht, woher kam ihre Moti­va­tion?

Zum Jour­na­lismus gekommen bin ich wie die Jung­frau zum Kinde. Ich suchte nach etwas, das mir nach dem Studium noch alle Türen offen ließ. Und dies schien mir der Jour­na­lismus zu sein. Je mehr ich mich später mit Krimi­nal­be­richt­erstat­tung beschäf­tigt und sie verstanden habe, desto mehr Freude hat sie mir gemacht. Mein Faible für Krimi­nal­re­por­tagen stammte noch aus meiner Zeit als Volon­tärin bei der Bild-Zeitung. Nach meinem Publi­zistik-Studium in München – das ziem­lich über­flüssig war – lernte ich an der Axel Springer Jour­na­listen-Schule in Berlin. Dort blieb ich für zwei Jahre in der Redak­tion der Bild-Zeitung. Ich schrieb für diverse Lokal­aus­gaben von Bild und wurde mehr und mehr bei den Poli­zei­re­por­tern einge­teilt. So wurde dieser Bereich zu meiner Vorliebe. In der ZEIT habe ich mich dann auf Kriminal- und Justiz­re­por­tagen spezia­li­siert. Als Stell­ver­tre­tende Chef­re­dak­teurin komme ich heute aber leider kaum noch dazu.

Woran könnte es liegen, dass nur wenige Frauen eine redak­tio­nelle Führungs­po­si­tion inne haben?

Ich selber war auch nicht scharf auf einen Chef­sessel. Aber Giovanni de Lorenzo hat mich eines Tages gefragt, ob ich in die Chef­re­dak­tion der ZEIT kommen möchte. Da dachte ich: Probier’s doch! Bereuen tu ich es nicht. Mein Aufga­ben­feld hat sich seither total verän­dert. Zum Schreiben komme ich kaum noch, heute besteht meine Aufgabe im Koor­di­nieren, Orga­ni­sieren, Themen anregen, Autoren finden und vor allem in der Betreuung der ZEIT-Titel­story. In einer Redak­ti­ons­lei­tung sollte man unab­hängig sein, sich nicht unter­kriegen lassen und offen sein für unbe­queme Posi­tionen. Charakter, Erfah­rung, Können und Einstel­lung defi­nieren eine Führungs­figur – auch eine weib­liche. Wir haben in der ZEIT mitt­ler­weile ziem­lich viele weib­liche Führungs­kräfte und dazu exzel­lente Autorinnen, es ist eine Freude. Frau­en­themen speziell inter­es­sieren mich nicht. Themen sind immer Frauen- und Männer­themen. Die femi­nis­ti­sche Karte habe ich nie gespielt. Aber ich denke trotzdem, zu wenige Frauen stellen sich auf eine Macht­po­si­tion ein. Giovanni die Lorenzo suchte damals ganz gezielt nach einer Frau für die Chef­re­dak­tion. Doch er musste lange nach einer Ausschau halten, die geeignet war, den Posten sich auch zuzu­trauen und auszu­füllen.

Arbeiten Sie heute in einem anderen Jour­na­lismus als dem, für den Sie gelernt haben?

Ja natür­lich! Allein schon deshalb, weil es heute Online gibt. Das gab es vor 25 Jahren nicht.

Wie hat sich der Jour­na­lismus verän­dert – auch in der ZEIT?

Ich habe mit 30 ange­fangen, im ZEIT-Dossier. Damals haben wir große Hinter­grund­stücke zu aktu­ellen Themen schnell zusammen geschrieben. Die waren eine Woche später immer noch aktuell. Heute hat sich das Dossier voll­ständig geän­dert. Man kann nicht mehr zu aktu­ellen Hinter­gründen rasch Infor­ma­tionen zusam­men­tragen. Man konkur­riert mit Online. Print kommt da nicht mehr hinterher. Also liegt der Fokus von Print jetzt auf anderen Themen­kom­plexen und jour­na­lis­ti­schen Formen. Wenn DIE ZEIT auf Dauer bestehen will, muss sie sich auf über­le­genes Wissen konzen­trieren und auf komple­xere Formen zube­wegen: Welt­erklä­rung und Deutung. Inhalte müssen tief recher­chiert und im Zusam­men­hang einge­ordnet und – intel­li­gent – gedeutet werden. Nur so können wir uns unent­behr­lich machen. Das heißt nicht, dass DIE ZEIT und ZEIT­on­line sich trennen sollten, beide arbeiten ledig­lich anders. Sie ergänzen sich.

Berei­chern die digi­talen Verän­de­rungen den Jour­na­lismus von heute?

Ja, es gibt viel mehr Möglich­keiten im Jour­na­lismus. Man kann sich ganz neue Formen ausdenken. Aber der Vormarsch des Digi­talen hat nicht nur Vorteile. Auf die Schnelle werden oft nicht ausrei­chend fundierte Artikel publi­ziert. Ich persön­lich merke es beim Justiz­jour­na­lismus: Berichte auf Online-Platt­formen werden inner­halb weniger Stunden verfasst und ins Netz gesetzt – über ein Verfahren, bei dem der Jour­na­list kaum die Hälfte der Verhand­lungs­tage anwe­send war. Zusätz­lich haben die Autoren oft nur wenig Ahnung von Justiz und Recht. Das ist gene­rell auch bei Print ein großes Problem. So entstehen Unpro­fes­sio­na­lität und Fehler. Man muss heut­zu­tage nicht unbe­dingt verstehen, worüber man berichtet. Viele Autoren sind zum Jour­na­lismus gekommen, weil sie mal einen prima Artikel über irgendein Ereignis geschrieben haben. Dieses recht­fer­tigt aber nicht, dass sie anschlie­ßend Medizin-Bericht­erstat­tung machen oder eben Gerichts­be­richte verfassen sollten. Diese Proble­matik des Wald-und-Wiesen-Halb­wis­sens exis­tiert im Jour­na­lismus ohnehin im Übermaß und wird durch den Zeit­druck des Online­jour­na­lismus nicht besser.

Was ist für Sie Viel­falt im Jour­na­lismus?

Viel­falt ist vor allem Meinungs­viel­falt. Hier treffen wir auf das nächste Problem. Die Meinungen in allen Medien sind häufig dieselben, Kommen­tare einge­schlossen. Ich erlebe sehr wenige wirk­lich kluge origi­nelle Stimmen. Meine große Hoff­nung ist, dass ich durch mein Amt, Autoren für unsere Zeitung gewinnen kann, die für die Leser­schaft unge­wöhn­lich und berei­chernd sind. Natür­lich gibt es eine große Band­breite an Medien, letzt­end­lich herrscht aber zu vielen Themen doch eine Einheits­mei­nung. Die ZEIT hat glück­li­cher­weise sehr viele origi­nelle Köpfe unter ihren Autoren. So versu­chen wir zur Viel­falt im Quali­täts­jour­na­lismus beizu­tragen.


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