Was ist Frieden? Eine kleine Wort­kunde

Datum
09. März 2018
Autor*in
Jan Hendrik Blanke
Thema
#EWLako18
Frieden - was heißt das eigentlich? Jan hat mal ins Lexikon geguckt.

Frieden - was heißt das eigentlich? Jan hat mal ins Lexikon geguckt.

Frieden - was heißt das eigentlich? Jan hat mal ins Lexikon geguckt.
Eine Konfe­renz zum Thema Frieden ist gut – da sind sich wahr­schein­lich alle einig. Aber was bedeutet der Begriff über­haupt? Jan Blanke hat sich einmal Gedanken gemacht.

Frieden - ein Wort, viele Bedeutungen/Grafik: Jan Blanke

Frieden - ein Wort, viele Bedeutungen/ Grafik: Jan Blanke

Einen Begriff macht aus, dass er etwas ist – aber auch, dass er etwas nicht ist. Kalt ist zum Beispiel nicht warm. Selbst große Natur­wis­sen­schaft­le­rinnen und Natur­wis­sen­schaftler wie Lord Kelvin konnten nur sagen, dass der abso­lute Tempe­ra­tur­null­punkt dort liegt, wo es keine Wärme gibt. Kälte“ als Begriff wird also nicht dadurch defi­niert, was er ist, sondern nur dadurch, dass er etwas nicht ist. Logisch, oder?

Krieg und Frieden

Und wie ist das beim Frieden? Auch hier scheint es, dass der Begriff oft über sein Gegen­teil defi­niert wird: nämlich über den Krieg. Aber kennen wir auch eine andere Antwort auf die Frage Was ist Frieden?“

Viel­leicht hilft uns hierbei ein Blick in andere Spra­chen – in das Hebräi­sche zum Beispiel. שלום (=Schalom) bedeutet so viel wie Befreiung von Unheil und Unglück, Gesund­heit, Wohl­fahrt, Sicher­heit und auch Ruhe. Ziem­lich viel also! שלום wird übri­gens als Begrü­ßung genutzt.

Im Arabi­schen wird das hebräi­sche שלום sogar noch um eine weitere Dimen­sion ergänzt: den anderen Menschen, das Gegen­über. السلام عليكم (=as-salāmu-eikum) bedeutet über­setzt Friede auf euch“. Dass der andere Mensch السلام عليكم mitge­dacht ist, steckt nicht nur direkt im Wort, sondern wird deut­lich in der Funk­tion von السلام عليكم in der arabi­schen Sprache. Es dient als Gruß . Übri­gens besitzen שלום und سلام عليكم den glei­chen Wort­stamm. Der Friede aus Friede auf euch“ hat somit eine ähnliche Bedeu­tung wie Schalom“. Er lässt sich auch ziem­lich ähnlich über­setzen, nämlich als Gesund­heit, Ruhe und Sicher­heit. Nur gilt das eben nicht nur für einen, sondern für alle.

Euro­päi­sche Spra­chen – Antike…

Im antiken Grie­chen­land hat Frieden ειρήνη(=Eirene) auch sehr viele Bedeu­tungen Wohl­stand, Ruhe und Ordnung. Da der Begriff durch die Göttin Eirene reprä­sen­tiert wird, ist er zudem reli­giös konno­tiert. Das gleicht dem arabi­schen Frie­dens­ver­ständnis. Doch der grie­chi­sche Begriff bezieht nicht mehr das Gegen­über mit ein. Statt­dessen setzt er am Indi­vi­duum (dem Ich) an. Das liegt daran, dass der einzelne Bürger – bei den Grie­chen bestimmten reiche Männer das öffent­liche Leben – bei demo­kra­ti­schen Entschei­dungen in der Polis viel Spiel­raum hat. Man könnte es viel­leicht so ausdrü­cken: Frieden in der Polis herrscht, wenn es Ordnung und Wohl­stand unter den Bürgern gibt.

Als das römi­sche Kaiser­reich aufge­baut wird, verliert das Indi­vi­duum jedoch wieder rasch an Bedeu­tung. Nun müssen Verträge mit Anderen geschlossen werden, um ein gemein­sames Zusam­men­leben zu ermög­li­chen. Aus diesen verän­derten Bedin­gungen entsteht ein neues Wort für Frieden: Pax. In der Wort­be­deu­tung schwingt erst­mals die Abwe­sen­heit von Krieg mit aber auch die vertrag­liche Geschaf­fen­heit dieses Frie­dens.

… und Neuzeit

Mit ihrem Frie­dens­ver­trag leisten die Römer und Röme­rinnen unbe­wusst viel Vorar­beit für die großen Vertrags­theo­re­tiker der Neuzeit. Der Philo­soph Thomas Hobbs (1588 – 1679) greift das Pax-Konzept auf und grenzt sich in seinem Werk Levia­than“ gleich­zeitig davon ab, indem er den Frie­dens­ver­trag wieder auf das Indi­vi­duum bezieht. Was für ein Hin und Her!

Um in Sicher­heit und nicht im stän­digen Krieg eines Jeden gegen Jeden im Natur­zu­stand“ zu leben, schließt der Mensch bei Hobbes einen Vertrag. Er ordnet sich dem Staat unter. So entsteht der Natio­nal­staat.

Als die ersten Natio­nal­staaten nicht mehr nur auf dem Papier, sondern im Real Life“ gegründet werden, wird die Wehr­pflicht in die Staats­ver­träge aufge­nommen. Dadurch passiert genau das Gegen­teil von dem, was Hobbes gewollt hat: Die Verträge, die den Frieden garan­tieren sollen, werden zu Kriegs­stif­tern. So genannte Dikat­frie­dens­schlüsse“, die nach blutigen Ausein­an­der­set­zungen geschlossen werden, verletzten das Hobbs‘sche Grund­ver­ständnis des Vertrages noch einmal – denn nun ist die Einwil­li­gung in den Frieden nicht mehr frei­willig, sondern erzwungen.

Der neuzeit­liche, euro­päi­sche Frie­dens­be­griff verliert daraufhin seine Bedeu­tung als Vertrag. Heute defi­niert sich Frieden wieder durch – drei Mal dürft ihr raten – die Abwe­sen­heit von Krieg.

Ist das wirk­lich schon alles? Nö.

Es gibt aber noch weitere Frie­dens­ver­ständ­nisse, die in der heutigen Gesell­schaft Verwen­dung finden. Zum Beispiel das Konzept des posi­tiven Frie­dens.

Die Grund­lage dieser sehr heiter klin­genden Wort­paa­rung hat niemand Gerin­geres als der Philo­soph Imma­nuel Kant (1724 – 1804) in seinem Werk Zum Ewigen Frieden“ gelegt. Das Buch ist wie ein unter­schrifts­fer­tiger Vertrag aufge­baut und hält Bedin­gungen fest, die laut Kant zwischen zwei Natio­nal­staaten herr­schen müssen, damit sich der ewige Frieden einstellt. Eine dieser Bedin­gungen ist der so genannte echte Frieden“. Wie, noch ein Frieden?! In der Tat. Laut Kant reicht es für den ewigen Frieden nicht aus, dass ein Krieg beendet ist. Die Konflikt­gründe müssen restlos besei­tigt sein. Also wirk­lich restlos. Ziem­lich streng.

Beim Konzept des echten Frie­dens“ bleibt es aller­dings nicht. Der norwe­gi­sche Sozio­loge und Poli­to­loge Johan Galtung (*1930) erwei­tert Kants Konzept zum posi­tiven Frieden. Galtung zeigt sich dabei sogar noch strenger als Kant. Laut ihm darf es über­haupt keinen Krieg geben – und auch keine struk­tu­relle oder perso­nelle Gewalt in der Gesell­schaft. Für viele klingt diese Defi­ni­tion, gelinde ausge­drückt, utopisch. Zeit­ge­nös­si­sche Probleme wie soziale Ungleich­heit, Geschlech­ter­dis­kri­mie­rung, und Krimi­na­lität darf es nach Galtung nicht geben, wenn Frieden herr­schen soll. Deutsch­land würde sich nach dem Philo­so­phen folg­lich im Krieg befinden.

Auch wenn der posi­tive Frieden“ reich­lich komplex ist, erin­nert er auch an eine einfache Tatsache: Friede wird zwischen Menschen herge­stellt – so, wie es sich auch schon die Hebräer, Araber und Grie­chen dachten. Moment! Heißt das, dass sich der Frie­dens­be­griff über die Jahr­hun­derte nicht verän­dert hat?

Viel­leicht doch. Der fran­zö­sisch-litaui­sche Philo­soph Emanuel Lévinas (1905 – 1995) vertritt mit seiner Ethik des Anderen“ ein neuar­tiges Frie­dens­kon­zept. Um nach Lévinas Frieden herzu­stellen, muss sogar noch mehr geschehen als bei Galtung. Das Ich ist dem Andern der Defi­ni­tion des Philo­so­phen unend­lich verpflichtet“. Das heißt: Das Ich“ ist verant­wort­lich für die Taten und Entschei­dungen des Du“. Klingt ganz schön anstren­gend, aller­dings geht Lévinas davon aus, dass das Ich“ es niemals allein schaffen kann, seine Verant­wor­tung gegen­über dem Anderen voll zu erfüllen. Wichtig ist dem Philo­so­phen vor allem der Dialog – denn den sieht er als Medium zwischen dem Ich und dem Du, das Gemein­schaft stiftet und die Verpflich­tung gegen­über dem Anderen so gut es geht erfüllt.

Äh, okay. Und was heißt das jetzt? Viel­leicht muss Lévinas nicht in seinem streng philo­so­phi­schen Sinn verstanden werden. Statt­dessen lässt sich durch sein Konzept lernen, dass jeder einzelne Mensch den Frieden in der Hand hält. Darüber hinaus liegt er aber auch in den Bezie­hungen zu Anderen. Und mitein­ander zu spre­chen führt allemal besser zu Frieden als Schweigen.

In diesem Sinn: Salem Aleikum“!


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