Von der Antike zum Image­board. Wenn Online-Frau­en­hass auf das anti­se­mi­ti­sche Konto einzahlt.

Datum
15. November 2023
Autor*in
Nabieha Ebedat
Themen
#Leben #Antisemitismus
bruno-guerrero-DFRGt7KI3cI-unsplash

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Im Internet wächst seit mehreren Jahren eine Gene­ra­tion von Täter­typen heran, die sich anti­se­mi­tisch und auch rassis­tisch, aber vor allem frau­en­ver­ach­tend geben: Der Täter­typus pilled“.

TW: Hass, Gewalt, Anti­se­mi­tismus, Rassismus, Miso­gynie 

Anti­se­mi­tismus reicht bis in den Anti­ju­da­ismus, die reli­giös moti­vierte Juden­feind­schaft der frühen Christ*innen, zurück. Viele der dort gestreuten Vorstel­lungen, zum Beispiel die Kinds­mord­le­genden und Asso­zia­tionen mit dem Teufel, reichen bis in die Moderne. Hier hat der Anti­se­mi­tismus eine neue vernich­tende Qualität angenommen, wie sie im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land umge­setzt wurde. Im Internet wächst nun seit mehreren Jahren eine Gene­ra­tion von Täter­typen heran, die sich anti­se­mi­tisch und auch rassis­tisch, aber vor allem frau­en­ver­ach­tend geben: Der Täter­typus pilled“. 

Wo die Hüllen fallen

Die Platt­form 4chan‘ ziert ein glücks­brin­gendes Vier­klee­blatt. Auf 8chan‘ erin­nert eine liegende Acht an das Unend­lich-Zeichen aus Tumblr-Zeiten. Öffnet man die Seite Reddit‘, lächelt einem ein rotes Alien-Maskott­chen entgegen. 4chan, 8chan und Reddit sind Image­boards (ugs. Chan‘). Eine Art von Inter­net­foren, auf denen User anonym Texte und Bilder austau­schen können. Begibt man sich weiter in die Tiefen solcher Foren, stößt man auf Orte, in denen männ­liche User gekränkter Männ­lich­keit, Sexismus und Anti­fe­mi­nismus, sowie grup­pen­be­zo­gener Menschen­feind­lich­keit freien Lauf lassen. Unter ihnen, die wahn­hafte Spitze“ der Frau­en­hasser, die Incel. Allen gemein ist die Über­zeu­gung, dass Männer heut­zu­tage benach­tei­ligt würden, der Femi­nismus an allem schuld sei und Frauen schlichtweg zu verachten seien. Hier tobt ein Gewitter aus frau­en­feind­li­chen, rassis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Hass­bot­schaften. Unter anderem werden die Täter vergan­gener Anschläge in Kali­for­nien 2014, Toronto 2018 und Christ­church 2019 gefeiert. Auch von dem anti­se­mi­ti­schen Halle-Atten­täter wird vermutet, in dieser Reihe von tötungs­be­reiten, jungen Männern zu stehen. Am 9. Oktober 2019 versuchte er, schwer bewaffnet und anläss­lich des hohen jüdi­schen Feier­tages Jom Kippur, in eine Synagoge einzu­dringen. Alle Täter nahmen aus anti­se­mi­ti­schen, miso­gynen und/ oder rassis­ti­schen Gründen viele Menschen­lebenDoch vor allem ist allen gemein, dass sie sich online radi­ka­li­sierten. 

abso­luter Absturzort“  

Die Ideo­logie von Anti­fe­mi­nisten ist von einer Pillen-Meta­pher gecodet. Die Meta­pher ist einer Szene aus dem Science-Fiction-Film Matrix“ (1999) entnommen. Dort steht der Prot­agonist Neo vor der Wahl, eine blaue oder rote Pille zu schlu­cken. Fällt seine Wahl auf die blaue Pille, kann er wie bisher weiter­leben. Entscheidet er sich hingegen für die rote, erfährt er die Wahr­heit über die Welt, die in Wirk­lich­keit compu­ter­ge­steuert ist. Red Piller“ behaupten also von sich, einen gesell­schaft­li­chen Code geknackt zu haben. In ihrem Verständnis gespro­chen meint das, eine von jüdi­scher Hand geführte Verschwö­rung erkannt zu haben, in der die Welt vom Femi­nismus beherrscht werde. Die Pillen-Meta­pher ist heut­zu­tage zu einem beliebten Sinn­bild von Verschwö­rungs­gläu­bigen geworden, die das Schlu­cken einer Pille für die Erkenntnis über die wahren gesell­schaft­li­chen Verstri­ckungen empfehlen. 

Die Gruppe von Black Pillern“, die Incel, treiben den Anti­fe­mi­nismus auf eine miso­gyne Spitze. Incel‘ steht für Invol­un­tary Celi­bate“, was konkret unfrei­willig ohne Sex Lebender“ bedeutet. Denn eigent­lich, im Verständnis der Incel gespro­chen, stände dem weißen und hete­ro­se­xu­ellen Mann von Natur aus ein angeb­li­ches Grund­recht auf Sex zu. Incels sehen sich selber als Opfer einer jüdisch-femi­nis­ti­schen Gesell­schaft an, die sie diesem Recht beraubt. Weil Incel sich durch und durch unat­traktiv finden, sei es für sie chancen- wie aussichtslos in einer Welt wie dieser eine Bezie­hung einzu­gehen. Ihr Aussehen machen sie als Ursache ihrer scheinbaren Diskri­mi­nie­rung aus, ihren Selbst­hass verla­gern sie auf Frauen, die ihnen immer attrak­tive Chads“ vorziehen würden – Der Begriff Chad“ beschreibt den Proto­typen hyper­mas­ku­liner Männer, die alles klischee­haft Männ­liche mitbringen. 

Melanie Hermann recher­chiert zu dem Zusam­men­hang von Anti­se­mi­tismus und Anti­fe­mi­nismus in der verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Welt­sicht von Atten­tä­tern und ihren digi­talen Milieus. In einem Inter­view erklärt sie, dass sich Incel-Foren, von einer Art Selbst­hil­fe­gruppe für Einsame, zu einem extremen Ort des Hasses gewan­delt haben. Die männ­li­chen User stacheln sich, mit dem Effekt einer Echo­kammer, gegen­seitig zu Gewalt an. Wer Gewalt ausübt, wird in den Foren für seine Incel Rebel­lion“ gefeiert. Wer es nicht zu Taten bringt, bleibt der kläg­liche Versager. Es ist wirk­lich so ein abso­luter Absturzort und das ist auffällig. Auch der Umgang mitein­ander. Der ist extrem hart, unso­li­da­risch, auf Verlet­zung ange­legt und es wird die ganze Zeit nur nach einer Projek­ti­ons­fläche für den eigenen Hass gesucht, urteilt Hermann.  

Melanie Hermann

Melanie Hermann ist Expertin für Verschwörungsideologien und Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung (AAS). In einer laufenden Vergleichsstudie untersucht sie Hintergründe, Weltbilder und Verschwörungsideologien von verschiedenen terroristischen Attentätern und School Shootern. Foto: Melanie Hermann

Die Angst zu verschwinden 

Hass ist laut Melanie Hermann ein innerer Abwehr­me­cha­nismus, um eigent­lich Angst zu vermeiden“. Das ist schon in der Struktur von Verschwö­rungs­ideo­lo­gien, wie dem Anti­se­mi­tismus ange­legt. Verschwörungsideolog*innen haben ein manich­äi­sches Welt­bild – die Vorstel­lung davon, dass man die Welt pass­genau in Gut und Böse einteilen könne. Verschwö­rungs­gläu­bige stili­sieren sich selber als Kämpfer auf der Seite des Guten. Das, was im manich­äi­schen Welt­bild mit böse gemeint ist, ist evil‘, also quasi an der Wurzel des Bösen.“ Dieser Kampf kann nur mit einem Sieg oder exis­ten­ti­eller Nieder­lage enden. Herr der Ringe mäßig gibt es nur den Unter­gang oder ewige Herr­lich­keit“, so Hermann. 

Wenn die Radi­ka­li­sie­rung weiter fort­schreitet, dann ist die einzige Möglich­keit sich vom Bösen zu befreien, das Böse zu vernichten. Und das ist das, was die so gefähr­lich macht. Die haben eine unglaub­lich große Radi­ka­li­sie­rungs­wir­kung, weil die immer diese Apoka­lypse-Rhetorik bedienen. Und weil das immer einen Auffor­de­rungs­cha­rakter dazu hat, sich letzt­end­lich mit derselben Gewalt zu wehren, die man dem Gegner unter­stellt“, erklärt Hermann weiter. Verschwörungsideolog*innen schaffen über diese Abgren­zung von dem Bösen und über den Kampf gegen das Böse ihre eigene Iden­tität. Das heißt, damit ich über­haupt zum Helden werden kann, muss es das Böse geben, das ich bekämpfen kann, muss es die Verschwö­rungs­ideo­logie geben, die ich aufde­cken kann.“  

Hinter dem Bösen“ stecke aus verschwö­rungs­ideo­lo­gi­scher Sicht so gut wie immer ein jüdi­scher Feind, findet Hermann. Die Feind­bild­kon­struk­tion folge dem psycho­ana­ly­ti­schen Begriff der Schief­hei­lung“. Gesell­schaft­liche Dinge, die unheim­lich erscheinen und belas­tend sind, uner­wünschte Begierden und Emotionen würden dann abge­spalten und in ein äußeres Feind­bild proji­ziert werden. Im Fall der frau­en­has­senden Männer, ist eine solche Emotion der eigene Selbsthass. Schuld an der eigenen Situa­tion sei man nie selbst. Der Feind im außen aber, der könne bekämpft werden. Und dann, wenn ich das vernichtet habe, dann ist alles gut, dann bin ich gerettet. Das ist das große Heils­ver­spre­chen des Anti­se­mi­tismus“, führt Hermann fort. Weil die eigene Exis­tenz an Feind­bild­kon­struk­tionen gebunden ist, würde der Verlust desselben Feindes in der Logik bedeuten zu verschwinden.“ 

Menschen­feind­lich­keiten hängen zusammen 

Auch wenn die Online­kul­turen der Anti­fe­mi­nisten und Incels keines­wegs eine rein weiße Commu­nity sind – laut einer im März 2020 auf dem Forum incels​.co geführten Umfrage sind nur knapp über die Hälfte der dortigen Mitglieder weiß stößt man auch auf Rassismus, sowie anti­se­mi­ti­sche Verschwö­rungs­ideo­lo­gien. Die legen beispiels­weise das Klischee von Juden als Zuhälter“ ganz neu auf. Diese Stimmen behaupten, dass die Juden die Männer zur Porno­sucht verleiten würden, um sie an ihrem Kampf gegen ihre scheinbar unge­rechte Sexlo­sig­keit zu hindern. Solche Verschrän­kungen von anti­se­mi­ti­schen Verschwö­rungs­ideo­lo­gien, Anti­fe­mi­nismus und grup­pen­be­zo­gener Menschen­feind­lich­keit sind die trei­bende Moti­va­tion von terro­ris­ti­schen Anschlägen, wie dem in Halle. Zusam­men­hänge von grup­pen­be­zo­genen Menschen­feind­lich­keiten zeigen sich auch in der letzten Studie der Recherche- und Infor­ma­ti­ons­stelle Anti­se­mi­tismus (RIAS) über das Jahr 2022. Bei 19% aller anti­se­mi­ti­schen Vorfälle war solch ein Inein­an­der­greifen der Fall.  

Auch von allein handelnden Tätern zu spre­chen, die ihren eigenen Ideo­lo­gien erliegen, gar zum Opfer fallen, reicht nicht aus. Die Moti­va­tion hinter dem Attentat auf die halle­sche Synagoge wird in einem welt­weiten online Netz­werk von Gleich­ge­sinnten geteilt. Hinter angeb­li­chen soge­nannten lonely-wolf-Tätern steht ein ganzes Wolfs­rudel von hass­erfüllten Männern, die Gewalt als berech­tigtes Rache­mittel ihrer sexu­ellen Krän­kung feiern. Das kann im schlimmsten Fall im Terrorakt münden. Es ist ja nicht Zufall, dass die ganzen Atten­täter, mit denen ich mich beschäf­tige, sich alle online radi­ka­li­siert haben und auch dort ihre Gefolg­schaft bis heute haben und gefeiert werden“, findet auch Melanie Hermann. Das reicht der jetzigen Bundes­re­gie­rung als Gefähr­dung nicht aus. Sie könne von der Incel-Ideo­logie, bezie­hungs­weise ihrer Anhän­ger­schaft in Deutsch­land, aktuell keine Gefähr­dungs­re­le­vanz ableiten, heißt es in ihrem State­ment zu der frau­en­has­senden Männer­kultur. Welches Gefah­ren­po­ten­tial der Online-Mix aus anti­se­mi­ti­scher Verschwö­rungs­ideo­logie, Rassismus, Frauen- und Selbst­hass aber birgt, haben die tödli­chen Folgen in Kali­for­nien, Toronto, Christ­church und Halle, um nur eine Auswahl zu nennen, gezeigt.


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