Vom Wohnen in Park­häu­sern, Gebäu­de­lü­cken und IKEA-Hütten

Datum
06. Dezember 2015
Autor*in
Dennis Beltchikov
Thema
#Jugendforum Stadtentwickliung 2015
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2015 werden so viele Geflüch­tete erwartet wie noch nie – und dies stellt Deutsch­land vor bis dato unge­ahnte Heraus­for­de­rungen. Doch hierfür sind nicht nur poli­ti­sche Maßnahmen gefor­dert, sondern auch archi­tek­to­ni­sche. Dennis Belt­chikov präsen­tiert einige der Ideen, die sich krea­tive Köpfe ausge­dacht haben.

Das Bundes­mi­nis­te­rium des Innern prognos­ti­zierte im August für 2015 einen Zustrom von 800.000 Geflüch­teten in Deutsch­land, manche rechnen sogar mit Zahlen von 1,2 bis 1,5 Millionen. Neue und alter­na­tive Ideen für Unter­brin­gungs­mög­lich­keiten sind von daher so gefor­dert wie noch nie.

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Dennis Beltchikov im Gespräch mit Georgios Stavropoulos (Foto: Benedikt Bungarten)

Neu und alter­nativ denken – dies tat auch Geor­gios Stavro­po­lous, Archi­tek­tur­stu­dent an der Leibniz-Univer­sität Hannover: Unsere Aufga­ben­stel­lung forderte unkon­ven­tio­nelle Ideen.“ Im Rahmen des Projekts Auf der Flucht“ unter der Leitung von Professor Jörg Fried­rich konzi­pierten Stavro­poulos und seine Kommiliton*innen proto­ty­pi­sche Ideen für Geflüch­te­ten­un­ter­brin­gungen. Entgegen der eher isolierten Lage der Massen­un­ter­künfte am Stadt­rand stand im Fokus der Studie­renden, Wohn­raum vor allem in inner­städ­ti­schen Gegenden herzu­stellen: Inte­gra­tion statt Isola­tion.

Bunte Lücken“

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, weshalb man die in einigen Städten errich­teten Baulü­cken zwischen zwei Häusern eigent­lich nicht füllt? Stavro­poulos und Kommi­li­tonin Nelli Seibel haben es getan: Gemeinsam entwi­ckelten sie das Konzept Bunte Lücken“. Die Idee: Die Lücken einfach mit schmalen Häusern füllen und den Raum nutzen. Diese neue Häuser lassen die Durch­fahrt im Erdge­schoss bestehen.

Manche dieser Lücken­häuser“ könnten dann als Wohn­raum für Geflüch­tete genutzt werden, in anderen könnten die Kinder­be­treuung oder Deutsch­kurse statt­finden. Dahinter steckt ein Inte­gra­ti­ons­kon­zept: Da die Geflüch­teten in ihrem Stadt­teil nicht nur wohnen, sondern auch in die städ­ti­sche Infra­struktur mit einge­bunden sind, sind sie aktiv dazu aufge­for­dert, heraus­zu­gehen und sich dadurch zu inte­grieren“, erklärt Stavro­poulos.

Wohnen im Park­haus

Weitere Ideen der Student*innen sind unter anderem, unge­nutzte Park­häuser oder Züge in Güter­bahn­höfen zu Wohn­raum umzu­bauen. Durch die Massen­an­fer­ti­gung dieser soge­nannten Wohn­mo­dule“ könnten Kosten einge­spart werden. Außerdem würden diese Konzepte lang­fristig güns­tigen Wohn­raum erzeugen, ist sich Stavro­poulos sicher: Der Zustrom an Geflüch­teten wird sich auf Dauer verrin­gern, unsere Häuser aber bleiben bestehen.“ Gerade ange­sichts des derzeit in Ballungs­zen­tren bestehenden Wohnungs­man­gels seien die Bauten auch nach dem Auszug der Geflüch­teten rentabel. Ferner haben sich die Student*innen über­legt, schon bestehende öffent­liche und gewerb­liche Gebäude mit flachen Dächern um weitere Etagen aufzu­sto­cken. Hierzu erklärte sich sogar die Leibniz-Univer­sität selbst bereit. Momentan werden dafür noch Investor*innen gesucht.

Förde­rung sozialer Durch­mi­schung

Einen ähnli­chen Gedanken des Aufsto­ckens hatte auch Arno Brandl­huber, Berliner Archi­tekt und Professor für Archi­tektur und Stadt­for­schung an der Akademie der Bildenden Künste Nürn­berg. Er möchte gezielt Luxus-Pent­houses aufsto­cken. Dort könnten Geflüch­tete wohnen, bezie­hungs­weise länger­fristig betrachtet auch allge­mein sozialer Wohnungsbau entstehen, um einen urbanen Kosmo­po­li­tismus“, also eine gesell­schaft­liche Durch­mi­schung, zu erzielen. Dies ist unter anderem auch in Dialogic City“, einer aktu­ellen Ausstel­lung in der Berli­ni­schen Galerie zu seinem gleich­na­migen Werk, zu sehen.

IKEA-Hütte à la Billy-Regal aufbauen

Aber auch große Konzerne setzen sich mit dem Thema Flücht­lings­un­ter­brin­gung ausein­ander: Nach einem Bericht des Weburbanist[en]“ hat die IKEA-Stif­tung die Produk­tion von 10.000 Notun­ter­künften durch den UNHCR geför­dert. Im Gegen­satz zu den gebräuch­li­chen Zelten böten die 17 Quadrat­meter großen, von IKEA selbst entwi­ckelten Hütten Schutz vor Wind und Wetter. Ebenso hielten sie deut­lich länger, so verspricht IKEA eine drei­jäh­rige Halt­bar­keit. Über­dies stelle eine auf dem Dach ange­brachte Solar­zelle im Notfall die Strom­ver­sor­gung sicher. Wie für IKEA typisch, wird neben dem benö­tigten Werk­zeug auch eine Anlei­tung zum Aufbau bereit­ge­stellt, die durch Zeich­nungen und damit sprach­un­ab­hängig zu verstehen sei.

Auf die Frage an Geor­gios Stavro­poulos, mit welchen Barrieren man bei der Reali­sie­rung eher unkon­ven­tio­neller Ideen zu kämpfen hätte, entgegnet er kurz und knapp: Was uns hindern könnte? Viel­leicht die Physik.“

Weitere Ideen der Archi­tek­tur­stu­denten der Leibniz-Univer­sität sind im Buch Refu­gees welcome – Konzepte für eine menschen­wür­dige Archi­tektur“ von Jörg Fried­rich, Simon Taka­saki, Peter Haslinger, Oliver Thied­mann, Chris­toph Borchers (Hg.) zu finden; erschienen im jovis Verlag, 2015, ISBN 978 – 386859 – 3785, 28.00 €, nach­zu­lesen.

Ausstel­lung The Dialogic City: Berlin wird Berlin“ (nach dem gleich­na­migen Buch) der Archi­tekten Brandl­huber, Hertweck und Mayfried: Noch bis zum 16.03.2016 in der Berli­ni­schen Galerie zu besich­tigen.


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