Sprache ist Macht

Datum
09. Mai 2021
Autor*in
Themen
#JPT21 #Leben
Foto_Inga Schauerte

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Als Mode­ra­torin bei den Jugend­Po­li­tik­Tagen 2021 setzte sich Abena Appiah für eine offene, diskri­mi­nie­rungs­freie Diskus­si­ons­kultur ein. Im Inter­view erklärte sie, warum man sich mit der Wertig­keit von Sprache ausein­an­der­setzen sollte.

Abena Appiah ist 28 Jahre alt und studiert Germa­nistik und Philo­so­phie. In ihrem Studium beschäf­tigt sie sich mit sensi­bler Sprache und mode­rierte im Rahmen der Jugend­Po­li­tik­Tage 2021 das Themen­forum Digi­ta­li­sie­rung in Recht und Gesell­schaft“ am 6. Mai 2021.

poli­ti­ko­range: Während des Themen­fo­rums soli­da­ri­sierten sich Teilnehmer*innen im Chat mit dir und gegen diskri­mi­nie­rende Sprache. Was genau ist passiert und wie hast du die Stim­mung wahr­ge­nommen?

Abena Appiah: Grund­sätz­lich war das Panel wenig divers aufge­stellt und unsere Gäste haben nicht immer auf diskri­mi­nie­rungs­freie und gender­ge­rechte Sprache geachtet. Im Laufe des Gesprächs fielen einige Worte, die nicht in Ordnung waren. Als Moderator*innen bekommen wir gefil­tertes Feed­back. Ich sehe nicht direkt, was im Chat abgeht, das habe ich erst danach gelesen. Irgend­wann hieß es aus der Regie: Das geht jetzt gerade gar nicht, wir müssen einschreiten!‘ Dann habe ich unsere Gäste darauf hinge­wiesen, dass ich hier unter­bre­chen muss, denn wir benutzen nicht-inklu­si­vie­rende Sprache.

Beson­ders bei älteren Menschen stößt diskri­mi­nie­rungs­freie und gender­ge­rechte Sprache scheinbar oft auf Unwissen und Unver­ständnis. Sind dieje­nigen, die für sensible Sprache eintreten, in der Verant­wor­tung, diese zu erklären und zu vertei­digen?

Das ist ein schwie­riger Grad. Man kann belehren, aber wenn eine Person blockiert, dann verfes­tigt sich dieser ableh­nende Stand­punkt nur. Viele gehen auf Abwehr, anstatt die Möglich­keit zu nutzen, zuzu­hören und dazu­zu­lernen. Man darf ja gar nichts mehr sagen!‘, ist oft das Gegen­ar­gu­ment. Viel­leicht liegt es daran, dass ich Sprach­wis­sen­schaft­lerin bin, aber ich habe ein Problem damit, dass wir uns nicht mehr mit dem Ursprung von Worten ausein­an­der­setzen. Wir hören ein Wort und sagen es einfach.

Wie reagierst du auf Aussagen wie Man darf ja gar nichts mehr sagen‘? Was wäre eine gute Antwort darauf?

Sprache ist eine Form, dem anderen zu zeigen, dass man die Ober­hand hat. Im Endef­fekt ist es eine Trotz­re­ak­tion. Man sollte sich fragen: Bringt es etwas, mit der Person zu disku­tieren? Man kann nicht alle über­zeugen. Da spreche ich lieber mit denje­nigen, die offener sind. Manchmal nehme ich mir auch die Zeit, zu sagen, dass mich die Worte meines Gegen­übers verletzen. Das funk­tio­niert aber nur bei empa­thi­schen Menschen.

Würdest du akzep­tieren, wenn Menschen in deinem engsten Kreis keine diskri­mi­nie­rungs­freie Sprache verwenden?

Meine Mutter ist in Bezug auf neuere Sozi­al­phä­no­mene wie Catcal­ling oder Mans­plai­ning nicht so sprach­lich reflek­tiert. Sie fragt dann aber nach und bittet mich, es ihr zu erklären.

Wenn ein Freund, der weiß ist, etwas sagt, das für dich rassis­tisch war, dann mache deut­lich: Deine Aussage hat mich gerade verletzt. Wenn man sich die Zeit nimmt zu erklären – und die nehmen wir uns oft nicht – dann versteht der andere, wie man viel­leicht unbe­wusst jemanden mit diesen Worten verletzt hat.

Und wenn eine Person, die man eigent­lich mag, partout seine Sprache nicht ändern will?

Bei fort­lau­fenden Sprach­pro­zessen wie dem Gendern, akzep­tiere ich, dass wir noch im Prozess des Anneh­mens sind. Lange wurde disku­tiert, wie wir gendern sollen – ob mit Gender­stern­chen, Unter­strich oder Doppel­punkt. Ich habe eine Freundin, die blind ist und mir erklärte, dass ihr der Doppel­punkt gar nichts bringt, weil ihr Voice­over den Doppel­punkt vorliest. Dabei sollte der Doppel­punkt, nicht-sehenden Menschen eine Hilfe sein, damit sie die Pause im Wort hören.

Bei Dingen, die jedoch seit Jahren nicht sagbar sind, wie das N‑Wort oder das Z‑Wort, bin ich weniger tole­rant. Eine Freund­schaft musste ich deswegen jedoch nicht canceln. Aber eigent­lich ist Sprache nur Ausdruck davon, dass man sich gedank­lich in der Freund­schaft entfernt hat.

Im Netz wird oft unge­fil­terter disku­tiert, als im persön­li­chen Gespräch. Wie kann man Online- und Offline-Debatten besser vereinen? 

Chats sind auf jeden Fall hemmungs­loser. Das Problem mit geschrie­bener Sprache ist, dass sie oft miss­in­ter­pre­tiert wird, weil wir die Nach­richt in unserer eigenen Emotion lesen und nicht in der des Absen­ders. Wenn du mit deinem Freund schreibst und er beendet das Gespräch mit Hab einen schönen Tag‘, inter­pre­tierst du das mögli­cher­weise anders. Dein Freund meinte das nett, du denkst dir: Hä? Schönen Tag noch? Was soll das denn?!?‘

Deswegen bin ich Fan von Sprach­nach­richten, wenn es komplexer wird. Auch habe ich einge­führt, am Ende der Nach­richt anzu­fügen: ohne nega­tive Emotion geschrieben‘.

Was war der Moment, in dem du das gemerkt hast, dass Sprache verlet­zend sein kann?

An einen Moment erin­nere ich mich beson­ders häufig. In der Schule haben wir das Arbeitsamt besucht und als ich der Frau beim Amt erklärte, dass ich Jour­na­listin werden will, erwi­derte sie: Hast du schon einmal jemanden wie dich im Fern­sehen gesehen? Menschen wie du, die machen nur Musik oder Mode­ra­tion.‘ So wie sie das formu­lierte, hat sie mir abge­spro­chen, dass es über­haupt die Möglich­keit gibt, eine schwarze Jour­na­listin zu sein. An diesen Moment erin­nere ich mich immer, wenn ich Bewer­bungen schreibe.

Wie kann man eine respekt­vol­lere Diskus­si­ons­kultur stärken, gerade auch online?

Geschrie­bene Nach­richten haben die Wertig­keit der Sprache verän­dert: Wie geht’s dir?‘ ist nichts mehr wert. Die Debatten auf Twitter zeigen, dass wir nicht gelernt haben, richtig zu disku­tieren. Aber wie will man auch in 280 Zeichen ein Argu­ment voll­ständig darstellen? Da bleibt vieles unaus­ge­spro­chen.

Man wählt seine Worte mit mehr Bedacht, wenn man sie jemandem direkt ins Gesicht sagt. Online ist das anders, aber eine respekt­vol­lere Diskus­si­ons­kultur im Netz ist nicht unmög­lich. Man muss aber bereits in den Schulen und Kinder­gärten anfangen, etwas zu verän­dern. Bilder­bü­cher sollten beispiels­weise auch Menschen mit Behin­de­rungen oder einem Körper, der nicht der Norm­figur entspricht, zeigen.

Wo liegt die Grenze zwischen Meinungs­frei­heit und Diskri­mi­nie­rung?

Man sollte sich zunächst fragen, wer diese Grenze defi­niert. Meis­tens sind das nicht-margi­na­li­sierte Menschen, die Diskri­mi­nie­rungen nicht sehen oder nach­voll­ziehen können. Das resul­tiert in einem Die-sollen-sich-mal-nicht-so-haben-Narrativ, in verbaler Mani­pu­la­tion, die Opfern von Diskri­mi­nie­rung ihre Wahr­neh­mung und Urteile abspricht.

Hast du eine abschlie­ßende Message an Leser*innen, die sich mehr mit diskri­mi­nie­rungs­freier Sprache ausein­an­der­setzen möchten?

Lesen, Podcasts hören und reflek­tieren. Beson­ders empfehlen kann ich das Buch Die 101 wich­tigsten Fragen – Rassismus“ von Susann Arendt. Sie bietet den perfekten Einstieg.


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