Rohr­krie­cher: Wie Politik und Jugend sich online (nicht) errei­chen

Datum
04. November 2023
Autor*in
Bjarne Rauls
Themen
#Politik #JMWS23
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Soziale Medien verspre­chen, eine Nähe zwischen Politik und Jugend­li­chen herzu­stellen. Doch dabei gibt es Fall­stricke.

Eine Mehr­heit der Jugend­li­chen fühlt sich von der Politik nicht gehört. Dabei bieten insbe­son­dere soziale Medien Politiker*innen und Jugend­li­chen Möglich­keiten zu kommu­ni­zieren. Die Gründe einer unzu­rei­chenden Verstän­di­gung müssen also in den sozialen Netz­werken selbst zu finden sein. 

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Mit Fridays for Future gingen hundert­tau­sende Jugend­liche auf die Straße und schrien der Bundes­re­gie­rung ihre Enttäu­schung entgegen. Ange­sichts der Klima­krise wurde diese Unzu­frie­den­heit immer wieder deut­lich. Sie beschränkt sich aber nicht nur auf die Streit­frage der Klima­po­litik: 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in Deutsch­land sind unzu­frieden damit, wie ihre Inter­essen von Politiker*innen vertreten werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Infra­test dimap im Auftrag der Voda­fone-Stif­tung. Die Jugend­li­chen und jungen Erwach­senen fühlen sich nicht gehört und verstanden. 

Johannes Schraps, Bundes­tags­ab­ge­ord­neter der SPD, hat eine Theorie, wieso dies der Fall ist. Beim Anspre­chen von Politiker*innen müssten Jugend­liche, so Schraps, eine Hürde über­winden. Denn viele von ihnen würden Politiker*innen nur aus dem Fern­sehen kennen. Das würde den Kontakt erschweren. Politiker*innen müssten für Jugend­liche greifbar sein. Sie müssten auf die Jugend­liche zugehen, sei es im Wahl­kreis oder in den sozialen Medien. 

Laut Infra­test dimap wünschen sich 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen, dass Politiker*innen bei Insta­gram aktiver wären, bei YouTube 52 Prozent. Viele Politiker*innen haben bereits ein Profil auf diesen Platt­formen. Medien würden, so Schraps, in der Bezie­hung zwischen Politik und Jugend­li­chen immer wich­tiger, sowohl als Infor­ma­ti­ons­quelle als auch zur Kommu­ni­ka­tion. Doch offen­sicht­lich, das hat die Umfrage ergeben, wünschen sich viele Jugend­liche noch mehr Online­ak­ti­vität von Politiker*innen. 

Eine Frage der Ansprache 

Wolf­gang M. Schmitt, Publi­zist und Podcaster, erkennt in der Art und Weise, wie viele Politiker*innen Jugend­liche anspre­chen das Problem: Man sollte sich, wenn man in den sozialen Medien agiert und dort auch ein junges Publikum errei­chen will, vor allem auf eine Ansprache einigen, die das Gegen­über ernst nimmt.“ Die sozialen Medien würden dazu einladen, sich pein­lich zu verhalten. Dieser Cringe-Faktor schrecke Jugend­liche ab. Würden sie von der Politik statt­dessen ernst­ge­nommen und wie Erwach­sene ange­spro­chen werden, bestünde auch online durchaus Inter­esse an poli­ti­schen Inhalten. Ich habe nicht die Erfah­rung gemacht, dass man mit poli­ti­schen Inhalten keine Reich­weite erlangen kann. Es ist die Frage, wie man sie vermit­telt.“ 

Auch die Studie der Voda­fone Stif­tung kommt zu dem Ergebnis, dass sich über die Hälfte aller 14- bis 24-Jährigen für Politik inter­es­siert. Die Mehr­heit davon infor­miert sich außerdem regel­mäßig. Diese Erfah­rung teilt auch Johannes Schraps. Politiker*innen, so Schraps, müssten sich mehr mit Jugend­li­chen austau­schen und ihr Inter­esse wecken. Sie seien in der Pflicht, sich mit Jugend­li­chen ausein­an­der­zu­setzen. Im Austausch bekämen Politiker*innen außerdem wert­volle Rück­mel­dungen von den Jugend­li­chen. Und auch Schraps will sich als Poli­tiker in sozialen Medien nicht lächer­lich machen: Mir hilft es gar nichts, wenn ich auf TikTok ständig irgend­welche verrückte Videos mache, die viel­leicht Aufmerk­sam­keit erregen, die aber mich in meiner Authen­ti­zität und der Art und Weise, wie ich bin, nicht richtig darstellt.“ Man könne nur Politik machen, wenn man mit den eigenen Online­auf­tritten seine Authen­ti­zität und Respek­ta­bi­lität, die man als Politiker*innen hat, nicht unter­gräbt. Daneben sei es immer eine Abwä­gungs­sache zwischen öffent­li­cher Präsen­ta­tion und Trans­pa­renz in sozialen Netz­werken einer­seits und der eigent­li­chen Arbeit als Bundes­tags­ab­ge­ord­neter, für die man eigent­lich gewählt wurde, ander­seits. Gesetze zu machen und sich in Fach­themen einzu­ar­beiten, ist aber halt nicht so inter­es­sant, dass man das über soziale Medien trans­por­tieren könnte.“ 

Auffällig ist, dass TikTok, der Umfrage von Infra­test dimap zufolge, in der Frage, auf welchen Platt­formen sich Jugend­liche mehr poli­ti­sche Inhalte wünschen, mit 29 Prozent hinter­her­hinkt. Wolf­gang M. Schmitt sieht hierfür einen klaren Grund: Die Jugend­li­chen würden sich eine Alter­na­tive zu den platt­form­ty­pi­schen Kurz­vi­deos wünschen. Beson­ders zur Aufklä­rung über poli­ti­sche Themen sei ein längeres Video­format von Nöten. Viele Jugend­liche hätten außerdem noch die ersten Versuche von Politiker*innen auf der Platt­form vor Augen, ihre Teil­nahme an verrückten Chal­lenges inklu­sive. 

Zwischen Chance und Gefahr 

Schließ­lich aber entscheiden Algo­rithmen darüber, was ein*e Nutzer*in in den sozialen Medien zu sehen bekommt. Schmitt sieht hier poli­ti­schen Content als benach­tei­ligt an. Hinter den sozialen Medien stünden Firmen, die ihre Geschäfte eigent­lich durch Werbung machen würden. Da poli­ti­scher Content werbe­un­freund­lich sei, habe er bei den profit­ori­en­tierten Algo­rithmen der Tech­firmen eher geringen Erfolg. Wenn der Algo­rithmus nicht will, dann kann der beste poli­ti­sche Inhalt ein Rohr­krie­cher bleiben.“  

Auch Johannes Schraps hat den Algo­rithmus im Blick. Denn dieser würden einem, schaut man sich einen Content an, danach häufig ähnli­chen Content zuspielen. Das ist sicher­lich schwierig, sodass wir dann auch über­legen müssen, wie wir poli­tisch solche Dinge regu­lieren können.“ Dies sei wichtig, nachdem pola­ri­sie­rende Aussagen meist mehr Aufmerk­sam­keit erhielten. Ange­sicht des großen Einflusses, den Algo­rithmen dabei auf die poli­ti­sche Öffent­lich­keit nehmen, hält auch Wolf­gang M. Schmitt regu­lie­rende Eingriffe der Regie­rung für möglich. Durch den Algo­rithmus wären viele Jugend­liche einer einsei­tigen Bericht­erstat­tung ausge­setzt, so Schmitt. Dadurch entstehe die Gefahr, dass es zur Bildung extremer Meinungen komme.  

Trotz aller Probleme sind sich Schraps und Schmitt einig, dass soziale Medien für poli­ti­sche Bildung eine riesige Chance bieten. Für Johannes Schraps ist klar, dass es für Politiker*innen notwendig ist, in den sozialen Medien aktiv zu sein. Es sei eine der wenigen Möglich­keiten, mit Jugend­li­chen in Kontakt zu bleiben und sie für Politik zu inter­es­sieren. Wolf­gang M. Schmitt ist der Ansicht, dass die Reich­weite von Politiker*innen und Journalist*innen in den sozialen Medien zur Aufklä­rung genutzt werden müsste. Er sei in den sozialen Medien schon auf inter­es­sante Ansätze gestoßen. Ich kann sagen, dass ich vor allem durch Twitter auf Artikel und Posi­tionen gestoßen bin, die ich wahr­schein­lich nie kennen­ge­lernt hätte, wenn es das Internet nicht geben würde.“ Er empfiehlt aber auch, die sozialen Medien mal zu verlassen: Ich würde raten, dass man diese Platt­formen als einen Anlass nimmt, sich mit Themen zu konfron­tieren, die man aber dann, zum Beispiel durch die Lektüre längerer Artikel, vertiefen muss. Allein auf Twitter den ganzen Tag zu sein und Twitter niemals zu verlassen, führt dazu, dass man tatsäch­lich nur noch in sehr wenigen Zeichen dazu bereit ist, über Dinge nach­zu­denken.“ 


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