Rechte Gruppen halten das Thema Migra­tion in der poli­ti­schen Öffent­lich­keit“

Datum
23. September 2021
Autor*in
Valentin Dreher
Themen
#BTW21 #Politik
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Migration - ein Wahlthema, das polarisiert. Foto: Unsplash

Prof. Hans Vorländer ist Direktor des Zentrums für Verfas­sungs- und Demo­kra­tie­for­schung und des Mercator-Forums Migra­tion und Demo­kratie an der TU Dresden. Für poli­ti­ko­range analy­siert er, welchen Einfluss Migra­ti­ons­skepsis in Sachsen auf die Bundes­tags­wahl hat. Valentin Dreher.

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Migration - ein Wahlthema, das polarisiert. Foto: Kalispera Dell

Professor Vorländer, laut einer Umfrage des MDR sehen 27% der Säch­sinnen und Sachsen vor der Bundes­tags­wahl Zuwan­de­rung als das größte Problem in Deutsch­land. Genauso viele stimmten bei der vergan­genen Bundes­tags­wahl für die migra­ti­ons­feind­liche AfD – der bundes­weit höchste Wert für die Partei. Woher kommt die große Sorge vor Zuwan­de­rung in Sachsen?

Prof. Vorländer: In Sachsen gibt es eine Geschichte der öffent­li­chen Thema­ti­sie­rung und Mobi­li­sie­rung beim Thema Migra­tion. Ende 2014 ist PEGIDA in Erschei­nung getreten – eine Bewe­gung, die sich sehr stark gegen Zuwan­de­rung, gegen die vermeint­liche soge­nannte Isla­mi­sie­rung ausge­spro­chen hat und gegen eine, wie sie glaubte, unge­re­gelte, unge­steu­erte Zuwan­de­rung. Diese Ableh­nung wurde seitdem verstärkt durch die soge­nannte Flücht­lings­krise in den Jahren 2015 und 2016. Dadurch ist dieses Thema gerade in Sachsen in den Mittel­punkt der Öffent­lich­keit gerückt, sodass das Thema nach wie vor poli­ti­siert wird – vor allem von den migra­ti­ons­ab­weh­renden Anhän­gern der AfD und auch anderer Split­ter­gruppen, die im Bereich des rechten und rechts­extremen Spek­trums in Sachsen aktiv sind. Diese errei­chen durch das Thema Migra­tion eine hohe Sichtbar- und poli­ti­sche Mobi­li­sier­bar­keit. Die Thema­ti­sie­rung gerade durch Gruppen, die davon glauben, profi­tieren zu können, hält dieses Thema viru­lent und mani­fest in der poli­ti­schen Öffent­lich­keit.

Das heißt, die vor allem durch die Corona-Pandemie gesun­kenen Zahlen an Asyl­an­trägen in Deutsch­land haben auf das öffent­liche Stim­mungs­bild erstmal keinen Einfluss?

Prof. Vorländer: Das kann man erst dann beur­teilen, wenn man zu diesem Zusam­men­hang eine empi­ri­sche Studie machen würde. Aber wir sehen, dass Migra­tion nach wie vor ein großes Thema ist in Sachsen. Und das liegt eben an der Mobi­li­sier­bar­keit dieses Themas durch rechte und rechts­extreme Grup­pie­rungen, die es in der Öffent­lich­keit halten. Das ist völlig unab­hängig von der Zahl der Zuge­wan­derten, unab­hängig von den Zahlen der Asyl­an­träge, auch unab­hängig von der Frage, ob die Inte­gra­tion der Geflüch­teten erfolg­reich war oder nicht.

Sehr unter­schied­liche Erfah­rungen mit Zuwan­de­rung“

Lassen Sie uns einen Blick in die Geschichte werfen – die DDR (von der Sachsen ein Teil war) und die BRD haben mitunter sehr unter­schied­liche Ansätze in ihrer Migra­ti­ons­po­litik verfolgt. Sind die Folgen dessen in Sachsen bis heute spürbar?

Prof. Vorländer: In Ost- und West­deutsch­land reden wir von sehr unter­schied­li­chen Erfah­rungen mit Zuwan­de­rung. Die DDR kannte nur Vertrags­ar­beiter, die aber keine Kontakte hatten mit der einhei­mi­schen Bevöl­ke­rung. Sie mussten auch sehr schnell das Land wieder verlassen. In West­deutsch­land gibt es schon seit vielen Jahr­zehnten Erfah­rungen mit Einwan­de­rung, beson­ders durch die Gast­ar­beiter in den 1960er und 1970er Jahren. Hier gibt es sozu­sagen einen reichen Erfah­rungs­schatz. Was wir in der Migra­ti­ons­wis­sen­schaft immer wieder bestä­tigt finden, ist die soge­nannte Kontakt­hy­po­these. Das heißt, dort wo die Menschen schon lange und zahl­reich persön­liche Kontakte hatten, da gibt es posi­ti­vere Einstel­lung gegen­über Migra­tion als dort, wo eben solche Kontakte noch nicht so zahl­reich sind oder noch nicht so lange bestehen. Und das macht den Unter­schied aus. Der sehr schnelle und für Ost-Verhält­nisse zahl­reiche Zuzug nach 2015 hat auf manche in Ostdeutsch­land, vor allem in den länd­li­chen Regionen, verstö­rend gewirkt. Dennoch wächst der Anteil von Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in Ostdeutsch­land – hier setzt derzeit ein Gewöh­nungs­pro­zess ein.

Sie haben von der Kontakt­hy­po­these gespro­chen – im jähr­li­chen MIDEM-Report aus dem Jahr 2020 macht Ihr Mercator-Forum eine weitere inter­es­sante Beob­ach­tung: Die Wahl­er­geb­nisse der AfD sind dort am stärksten, wo in den letzten 20 Jahren beson­ders viele Menschen wegge­zogen sind – das betrifft vor allem länd­liche Regionen in Sachsen. Wieso haben gerade Menschen in Regionen, die von massivem Wegzug betroffen waren, über­durch­schnitt­lich viele Sorgen vor dem Zuzug von Migrant*innen?

Prof. Vorländer: Das ist in der Tat so. In Sachsen haben viele Menschen zwischen 2000 und 2020 die länd­li­chen Regionen verlassen, da dort die Arbeits­plätze fehlten – junge Leute haben ihre Chancen eher in den großen Städten im Osten, Leipzig oder Dresden gesehen oder aber – noch viel einschnei­dender – in West­deutsch­land oder im Ausland. Das hat zur Ausdün­nung und Über­al­te­rung der länd­li­chen Regionen geführt. Vor allem unter den älteren Menschen fühlen sich viele allein­ge­lassen. Gleich­zeitig ist auch die öffent­liche Daseins­vor­sorge geringer geworden. Kliniken sind geschlossen, der öffent­liche Perso­nen­nah­ver­kehr eine Zeit lang sehr ausge­dünnt worden. Das führte zu diesem Gefühl des Zurück­blei­bens im wort­wört­li­chen Sinne. Diese Gefühle werden immer sehr deut­lich von rechten Grup­pie­rungen ange­spro­chen und – eben­falls im wort­wört­li­chen Sinne – auch einge­sam­melt“, indem Menschen, die dieses Einsam­keits­ge­fühl haben, auch Möglich­keiten ange­boten werden, zuein­ander zu finden. Vor allem in Sachsen haben die Rechten schon früh Jugend­kul­turen zu etablieren versucht und damit vor allem jungen Männern ein neues Gemein­schafts­ge­fühl gegeben – und das Gefühl, die eigent­li­chen Bewahrer ihrer Heimat zu sein, die von anderen zerstört wird.

Zuzie­hende Fach­kräfte sind skep­tisch“

Konnten Sie in dieser Studie auch eine gegen­sätz­liche Einstel­lung fest­stellen, die Migra­tion als wert­volles Mittel gegen Fach­kräf­te­mangel und Struk­tur­schwäche begreift?

Prof. Vorländer: Es ist ein großes Problem, dass Zuwan­de­rung im Wesent­li­chen als Risiko gesehen wird und nicht als Chance. Bundes­weit benö­tigen wir eine Fach­kräf­te­zu­wan­de­rung von mindes­tens 400.000 Menschen im Jahr. Auch in Sachsen gibt es einen hohen Bedarf. Deshalb versu­chen Politik, Wirt­schafts­ver­bände und Unter­nehmen die Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung zu stei­gern. Leider ist Ostdeutsch­land aber oft auch nicht die erste Wahl von Fach­kräften: Die Löhne in Ostdeutsch­land sind in der Regel nach wie vor geringer als in West­deutsch­land. Gleich­zeitig gibt es auch regional ausge­prägte Frem­den­feind­lich­keit und eine starke AfD im Osten Deutsch­lands, wodurch aus dem Ausland zuzie­hende Fach­kräfte oft skep­tisch sind, ob sie sich tatsäch­lich mit ihren Fami­lien im Osten nieder­lassen können.

Fassen wir zusammen: Das Thema Migra­tion ist nach wie vor hoch­gradig poli­ti­siert, und insbe­son­dere in einigen Regionen in Sachsen mobi­li­siert es zahl­reiche Wähler*innen. Wo sehen Sie die konkreten Auswir­kungen der öffent­li­chen Thema­ti­sie­rung, etwa durch die AfD, auf die Bundes­tags­wahl am 26.09.?

Prof. Vorländer: Das Migra­ti­ons­thema ist bundes­weit nach der Mehr­heit der Befra­gungen nicht mehr das aller­größte Problem. In Sachsen gibt es aber immer eine ganz klare Profi­lie­rung der AfD bei diesem Thema. Und selbst wenn das Thema kaum noch Rele­vanz hätte, das heißt, wenn es keine hohen Zahlen von Asyl­be­wer­be­rinnen und –bewer­bern oder erheb­liche Flucht­be­we­gungen gibt, wird es trotzdem immer wieder nach vorne gespielt. Bei jedem Auftritt macht die AfD davon Gebrauch. Und inso­fern wird die AfD im Frei­staat Sachsen sehr stark wahr­ge­nommen mit ihrer Oppo­si­tion zur Migra­tion, zur Zuwan­de­rung, zur Aufnahme von Asyl­be­wer­be­rinnen und Asyl­be­wer­bern. Gerade deshalb wird im Frei­staat Sachsen die AfD auch bei der Bundes­tags­wahl wieder stark abschneiden.

AfD malt Bedro­hungs­sze­nario an die Wand“

Welchen Einfluss auf die öffent­liche Debatte hat das erhöhte Poten­zial für Migra­tion aus Afgha­ni­stan, das nach dem geschei­terten NATO-Abzug und dem Wieder­erstarken der Taliban entstanden ist?

Prof. Vorländer: Es gibt zwei Antworten. Das eine ist: Im Wesent­li­chen wird dieses Thema ja nicht disku­tiert in der Öffent­lich­keit, auch nicht in den soge­nannten Triellen, also in den Diskus­sionen zwischen den Kanz­ler­kan­di­datin und den Kanz­ler­kan­di­daten. Das heißt, man versucht dieses Thema möglichst aus dem Wahl­kampf heraus­zu­halten. Wenn man sich auf der anderen Seite aber die Stel­lung­nahmen der AfD anguckt, auch in Diskus­sionen oder in Inter­views, dann wird immer sehr deut­lich gesagt: Wir wollen aus Afgha­ni­stan keine Flücht­linge aufnehmen, sie sollen dort, in Nach­bar­län­dern, unter­ge­bracht werden. Und selbst­ver­ständ­lich soll auch weiter dahin abge­schoben werden. Das heißt, wo die anderen das Thema aus dem Wahl­kampf heraus­nehmen, versucht die AfD das Thema sehr stark hinein­zu­bringen. Aus der Erfah­rung der letzten Wahl kann man auch bestä­tigen, dass sie damit punkten kann. Die Ängste sind eigent­lich in der Sache nicht gerecht­fer­tigt, aber die AfD malt ein Bedro­hungs­sze­nario an die Wand, um damit die Leute für sich zu gewinnen.

Herz­li­chen Dank für das Gespräch, Prof. Vorländer.


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