Poli­ti­sches Träumen mit Open Globe

Datum
01. Juli 2020
Autor*in
Leon Lobenberg
Themen
#EINEWELT Zukunftsforum 2020 #Leben
Traureise Openglobe header

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Augen zu und will­kommen in deiner eigenen perfekten Welt – die Meisten nennen das Schla­fen­gehen oder Tagträumen. Dass Träumen aber auch mehr kann, beschreibt das Wort Utopie“ sehr gut: Ein Zustand, der noch nicht seinen Ort gefunden hat, ein Nicht-Ort. Bis es diesen Ort wirk­lich gibt, gelangt man dorthin nur über die Brücke der Träume.

Poli­ti­sches Träumen war mit der Traum­reise von Open Globe Netz­werk NRW möglich. Vier­zehn Teil­neh­mende und sieben Veran­stal­tende haben sich an einem Montag­abend virtuell bei Zoom zum gemein­samen Träumen getroffen. Mit beru­hi­gender Hinter­grund­musik, bereit­ge­stellt per Youtube-Link, träumten sich alle in ihr perfektes Zuhause, von dem aus die Reise beginnen sollte.

Wie sieht es zuhause aus und mit wem wohnst du zusammen?“ war die erste Frage, die die Träu­menden auf den Weg zu ihrer Utopie lenkte. Mit weiteren Fragen wurden die Teil­neh­menden zum Nach­denken über das Leben von jungen und alten Menschen und über ihre Fort­be­we­gungs­mög­lich­keiten ange­regt. Aber auch zu der Art und Weise, wie Waren getauscht werden und woher diese eigent­lich kommen. Als wir an einem Kiosk stehen, fällt unser Blick auf eine Zeitung: Welche Schlag­zeilen gibt es? Wie wird über andere Länder berichtet?“. Auf der Zeitung abge­bildet sind auch Lokalpolitiker*innen. Die Träu­menden sollten sich ihre opti­male kollek­tive Entschei­dungs­fin­dung vorstellen und wie sie selbst daran teil­haben.

Auch die Natur kam nicht zu kurz – die Traum­reise ging von der Stadt raus aufs Land. Wie unter­scheiden sich diese Orte und wie gewinnen wir unsere Energie? Nachdem wir uns auf einem schönen Fleck­chen Erde nieder­ge­lassen haben, beob­ach­teten wir die Tiere, die Menschen und wie diese mitein­ander umgehen. Inspi­riert und gewärmt von der imagi­nierten Sonne wachten die Teil­neh­menden nach knapp 30 Minuten aus ihrem poli­ti­schen Schlum­mern wieder auf und schal­teten die Kameras wieder ein.

Spüre noch einmal, was es für dich heißt, ein gutes Leben zu führen“

Nach einer kurzen Session in Klein­gruppen, in der ein Austausch über die eigene Traum­welt möglich war, trafen wir uns alle wieder im virtu­ellen Plenum. Die große Frage stand im Raum: Wie wird aus meiner Traum­welt unsere Traum­welt? Dazu hatte Open-Globe ein Online-Tool vorbe­reitet, ein soge­nanntes Menti­meter. Alle Teil­neh­menden konnten bis zu zwölf Begriffe aufschreiben, die gesam­melt wurden und eine Wörter-Wolke ergaben. Doppelt genannte Begriffe standen in der Mitte. Zentral stachen die Wörter Gemein­schaft“ und Soli­da­rität“ heraus, aber auch Viel­falt“ und Acht­sam­keit“ waren oft vertreten.

Openglobe Mentimeter Traumreise

Mentimeter der Traumreise | Foto: Open Globe

Die anschlie­ßende Diskus­sion spie­gelte die Wörter-Wolke wider. Viele Teil­neh­mende erlebten in ihrer Traum­welt ihren ganz normalen Alltag, mit spie­lenden Kindern und Spazier­gängen durch die Stadt – nur eben ein biss­chen anders, mit mehr Kontakt zum Umfeld und zur Gemein­schaft gene­rell. So schil­derte eine Teil­neh­merin, dass sie in ihrer Welt mehr gelä­chelt hat. Dass sie auf dem Weg durch die Stadt offener für die Eindrücke war, die sie umgaben. Dass sie die Produkte, die sie gekauft hat, mehr wert­schätzen konnte, auch mit einem Bewusst­sein für die langen Produk­ti­ons­ketten, die dahinter stehen. Für andere Teil­neh­mende stand die Ruhe und Gebor­gen­heit im Vorder­grund, um die Zeit zu haben, nicht ständig neue Problem­lö­sungen finden zu müssen.

Konkrete und subver­sive Ände­rungen kamen in den meisten Traum­welten nicht vor. Viel­mehr ging es darum, den Alltag lebens­werter und weniger anonym zu gestalten. Und vor allem Platz für Austausch zu schaffen. Für eine Teil­neh­mende war die Traum­reise selbst schon Teil dieser Utopie. Denn hier versam­meln sich Menschen, die neu denken wollen und damit die Möglich­keit von neuen Perspek­tiven bieten. Nickend stimmte ihr eine andere Teil­neh­merin zu: Die Traum­reise bietet ein Gegen­bild zu meiner Enttäu­schung, dass sich eh nichts ändert. Das macht Mut“.

Die Diskus­sion kam ins Rollen, nachdem Kritik am Wohl­fühl-Faktor dieser eher homo­genen Gruppe laut wurde: Gemein­schaft ist nicht gleich Gemein­sam­keit. Das ist zu bequem und die Hete­ro­ge­nität der Realität wird dann zu unbe­quem“. Zustim­mend wurde die Kritik aufge­nommen und sich darauf geei­nigt, dass Diffe­renzen ja gerade die gewünschte Viel­falt erhalten, die Art und Weise der Konflikt­aus­tra­gung aber geän­dert werden müsse – weniger Gegen­ein­ander, mehr Dialog in geschützten Räumen. Nach circa andert­halb Stunden verab­schie­deten sich alle – und meine Inter­net­ver­bin­dung leider auch.

Is another world (really) possible?

Die Traum­reise von Open-Globe hat die Möglich­keit eröffnet, gemeinsam auf eine krea­tive Weise poli­tisch zu werden und Alter­na­tiven zu erträumen. Das liegt derzeit im Trend: Posi­tive Utopien werden oft einge­for­dert in einer Zeit, die sehr unge­wiss und von Krisen geschüt­telt erscheint – von Kritiker*innen wie auch von reak­tio­närer Seite. Wie würdest du es denn besser machen?“ ist eine häufige Frage, die sich nicht nur Vertreter*innen von Fridays for Future anhören müssen, sondern alle Menschen, die über­kom­mene Werte­sys­teme kriti­sieren. Sei es auch nur am Früh­stücks­tisch, der Ruf nach Alter­na­tiven kommt oft von Menschen, die sich Kritik nicht anhören wollen und die keinen Selbst­re­fle­xi­ons­pro­zess beginnen wollen. Er wird benutzt, um Kritik zu über­tönen oder unglaub­würdig zu machen – mit Erfolg. Die Mehr­heits­ge­sell­schaft findet Kritik erst akzep­tabel, wenn sie konstruktiv ist. Und viele progres­sive Grup­pie­rungen, die für eine bessere Welt einstehen, über­nehmen diese Denk­weise. Leider zu ihrem eigenen Schaden.

Daher bekommt die Traum­reise eine leichte Schlag­seite: Das Verlangen der Teil­neh­menden nach posi­tiven Ideen mischt sich mit ihren wenig utopi­schen Äuße­rungen – ein gleich­blei­bender bürger­li­cher Alltag mit ein biss­chen mehr Gemein­schaft. Subver­sive Kritik am syste­mi­schen Kapi­ta­lismus, an neoko­lo­nialen Produk­ti­ons­ketten, die sich auch nicht ändern, nur weil man darüber Bescheid weiß und an der weißen gewalt­vollen Mehr­heits­ge­sell­schaft wurden nicht geäu­ßert. Kleine kosme­ti­sche Ände­rungen bedeuten meist, dass der Rest eigent­lich gar nicht so falsch ist. Bedeuten meist, dass es den kriti­sie­renden Personen eigent­lich ganz gut geht. Das Ergebnis dieser Traum­reise ist so betrachtet das weitere Produkt eines Kapi­ta­lismus mit grünem Anstrich.

Wer jetzt fragt, wie ich es besser machen würde, versucht wieder, sich der genannten Kritik zu entziehen. Und ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung wie ich es machen würde. Deshalb bin ich froh, dass es Orga­ni­sa­tionen wie Open Globe“ oder Futurzwei. Stif­tung Zukunfts­fä­hig­keit“ – von denen die Traum­reise inspi­riert ist – gibt, die sich krea­tive Annä­he­rungen an Visionen ausdenken, wie zum Beispiel diese Traum­reise. Und ich bin froh, dass es die Möglich­keit gibt, diese Annä­he­rungen zu kriti­sieren. Viel­leicht ist ja schon dieser Prozess selbst unsere gemein­same Utopie?


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