Parti­zi­pa­tion von Jugend­li­chen: Ohne Druck geht es nicht“

Datum
06. Mai 2018
Autor*in
Mehtap Kirbiyik
Thema
#EPjugendforum 2019
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Ulli Nissen im Gespräch politikorange-Redakteurinnen.

Ulli Nissen (SPD) stellte auf dem #EPju­gend­forum in Wies­baden in zwei­erlei Hinsicht eine Ausnahme dar: Sie ist die einzig vertre­tene Frau auf dem Podium und das auch nur, weil der Euro­pa­po­li­tiker Udo Bull­mann kurz­fristig absagen musste. Zum anderen ist Nissen die erste Bundes­tags­ab­ge­ord­nete, die die Euro­pa­de­batte besucht. Wie sie von Berlin aus die EU betrachtet und welche Ideen sie für stär­kere Jugend­be­tei­li­gung hat verriet sie Aleyna und Mehtap im Inter­view. 

Hallo Frau Nissen, seit wann sind Sie schon poli­tisch aktiv?

Seit ich 12 Jahre alt bin. Ich bin also bereits seit 46 Jahren poli­tisch aktiv.

Gab es einen beson­deren Anlass oder ein wich­tiges Ereignis in Ihrem Leben, die Sie bewogen haben in die Politik zu gehen?

Was ich nicht ertragen konnte ist das Thema Nazi­zeit: Wie konnte so etwas passieren? Wieso hat die Welt zuge­schaut? Wieso haben die Menschen nichts gesagt? So etwas darf nie wieder passieren. Das war ein ganz wich­tiger Aspekt, der mich erschüt­tert hat. Dieser Gedanke hat auch noch etwas mit meinen heutigen poli­ti­schen Über­zeu­gungen zu tun: Ich selbst hatte das große Glück, gutbür­ger­lich aufzu­wa­chen, hab alle Unter­stüt­zungen von zuhause bekommen, durfte alles machen außer zwei Dinge: zu spät kommen und lügen. Alles andere durfte ich. Papa war eher stolz auf mich, wenn ich mich gewehrt habe. Da fällt mir immer wieder eine Geschichte ein: Es war eine Klas­sen­fahrt, meine Fran­zö­sisch­leh­rerin sagte zu einer Klas­sen­ka­me­radin: Was willst du hier auf dem Gymna­sium, dein Papa ist doch nur einfa­cher Arbeiter.‘ Das habe ich dann meinem Papa erzählt – und ich war sehr schlecht in Fran­zö­sisch. Er hat dann diese Lehrerin ange­rufen und sie zur Schnecke gemacht. Da war ich sehr stolz auf ihn, dass er nicht gesagt hat, meine Tochter ist schlecht in dem Fach und deshalb muss ich nett zu der Lehrerin sein. Das hat mich auch sehr geprägt, eben nicht zu gucken, ob es mir dadurch schlecht­gehen kann, wenn ich mich wehre, sondern es einfach zu machen.

Werte passen gut zum Thema, denn Poli­ti­ke­rInnen reden viel über euro­päi­sche Werte. Was bedeutet das über­haupt für Sie und wo begegnet Sie ihnen im Alltag?

Mit etwa zwanzig Jahren hab ich meinen ersten Bildungs­ur­laub gemacht und das war ein ganz tolles Erlebnis für mich. Congress and Freedom in Future“ hieß der Kongress in Däne­mark, wo die Jugend aus Europa zusam­men­ge­kommen ist. Für euch sind Grenzen inner­halb von Europa nicht exis­tent, die kennt ihr gar nicht mehr. Aber ich bin an der hollän­di­schen Grenze aufge­wachsen und musste immer meinen Ausweis zeigen, wenn ich rüber wollte. Was die heutige Frei­heit nun an Freund­schaft und Frieden bedeutet, das ist etwas Großes. In den vergan­genen Jahren hat sich das ein wenig verän­dert, das macht mir auch Angst.

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Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen (SPD) im Interview beim #EPJugendforum im Hessischen Landtag.

Europa war früher ein Frie­dens­pro­jekt. Bei Pulse of Europe bin ich auf fast jeder Kund­ge­bung vor Ort in Frank­furt und sage: Europa ist wirk­lich etwas ganz wich­tiges. Das sehen wir jetzt bei den briti­schen Jugend­li­chen, nämlich dass sie doch besser zur Abstim­mung gegangen wären, um sich diese Frei­heiten mit zu erhalten. Gemeinsam sind wir stark – das sind meine euro­päi­schen Werte.

Den Brexit haben sie gerade schon ange­spro­chen. Wie schätzen Sie denn den aktu­ellen Stand in Europa ein und was gibt es Ihrer Meinung in den nächsten Jahren noch zu tun?

Im Augen­blick wird der neue euro­päi­sche Haus­halt zusam­men­ge­stellt. Da geht es ja auch um die durchaus sinn­volle Diskus­sion, ob Länder wie Polen oder Ungarn, die sich nicht mehr an unsere poli­ti­schen Werte, wie zum Beispiel auch Pres­se­frei­heit halten, können die weiter finan­ziell unter­stützt werden. Auch die Flücht­lings­auf­nahme ist so ein Thema: Soli­da­rität ist keine Einbahn­straße. Deshalb erwarte ich dann auch, dass wenn Länder ein Teil von der EU sein wollen, dass sie sich nicht isolieren sondern mitma­chen. Gerade was das Thema Presse bzw. Pres­se­frei­heit angeht finde ich uner­träg­lich, was dort statt­findet und da vertrete ich auch die Meinung, dass man so etwas mit Geld­strafen versehen müsste.

Denken Sie, dass unsere heutige Gene­ra­tion die künf­tige Politik beein­flussen und bewirken kann? Wir sehen ja, dass viele Polti­ke­rInnen eher älter sind. Wie kann die Jugend dabei besser reprä­sen­tiert werden?

Also ich sehe ja bei uns in der Bundes­tags­frak­tion, dass wir schon einige junge Menschen dabei haben, insbe­son­dere junge Frauen. Da hat sich durchaus etwas verän­dert. Es gibt natür­lich andere Frak­tionen, so wie die von der Partei, dessen Namen wir nicht nennen wollen, da sieht das natür­lich anders aus.

Ein Problem ist, dass sich die Forde­rung nach jünger“ meis­tens auf die Frauen bezieht, nicht auf die Männer und das ärgert mich schon ein biss­chen. Jung‘ ist etwas ganz wich­tiges, aber jung allein kann es auch nicht sein. Es muss eine gute Mischung sein. Ich habe vierzig Jahre lang ehren­amt­lich Politik gemacht, bevor ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Ich meine, wenn mir da nun jemand sagen würde, ich sei jetzt zu alt, würde ich das auch blöd finden. Es braucht eben eine gesunde Mischung, denn die Erfah­rung der Älteren ist wichtig, aber auch von euch Jüngeren werden andere Gedanken und Ideen einge­bracht. Eure Sorgen, eure Ängste sind ja viel­leicht ganz andere als die, die wir gehabt haben. Deshalb ist es nicht nur wichtig, unter­schied­liche Gene­ra­tionen und Geschlechter, sondern auch unter­schied­liche Berufe mit in der Politik zu haben.

Auch das Thema Frieden, das inten­sive dafür Einsetzen, ist ein Kampf. Ich habe mir früher keine Sorgen um Europa gemacht. Gerade heute habe ich gelesen, dass die EU 15.000 Inter­rail-Ticktes verschenkt an junge Menschen. Das kann man ab Juni bean­tragen. So lernen junge Menschen Europa auch mal anders kennen, was in anderen Ländern passiert, wie dort die Kommu­ni­ka­tion funk­tio­niert. Das persön­liche vor Ort sein bringt so viel mehr als Kontakt über das Internet. Man sieht die Welt ganz anders, wenn man persön­lich mit anderen Menschen ins Gespräch kommt.

Was denken Sie, wie nach­haltig kann so ein Jugend­forum sein für die poli­ti­sche Arbeit? Poli­ti­ke­rInnen sagen ja oft, dass die Jugend unend­lich wichtig sei, doch wie können ihre Ideen und Meinungen auch in die reale Politik einfließen?

Dazu wäre es sinn­voll zu sagen, wir machen eine Nach­kon­trolle und treffen uns in einem halben Jahr wieder, um zu schauen, was davon umge­setzt wurde. Denn man braucht auch den Druck. Wir haben ganz viele Termine, deshalb braucht man diesen Druck. Durch eine soge­nannten Erfolgs­kon­trolle könnte die Nach­hal­tig­keit herge­stellt werden. Es ist nicht unbe­dingt böse gemeint, dass die Menschen das von sich aus nicht tun – deswegen muss es in meinem Kalender steht und es zu einem regel­mä­ßigen Austausch kommt.

Das Problem dabei ist aber auch, dass es Erwach­sene braucht, die diesen Druck ausüben, weil die Jugend allein formell nicht diese Macht besitzt. Denken Sie, dass sich auch die allge­meine Einstel­lung und Begeis­te­rung der Jugend für Politik ändern würde, wenn sie stärker und wirk­lich ernst­haft mit einbe­zogen werden würde?

Ja, ich glaube ohne Druck geht es nicht, dass dieser Gedanken mit aufge­nommen wird. Viel­leicht habt ihr inzwi­schen mal Inter­rail gemacht und noch einen anderen Blick auf die Welt bekommen. Das ist auch für uns sinn­voll, das man selbst da noch einmal nach­fragt, was ihr denn daraus mitge­nommen habt.


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