Isla­mi­sches Regime Iran: Mario­net­ten­spieler in Nahost

Datum
29. Mai 2024
Autor*in
Linda Niedermüller
Thema
#Politik
Menschen demonstrieren am 4. Februar 2023 in Berlin.

Menschen demonstrieren am 4. Februar 2023 in Berlin.

Foto: Artūras Kokorevas
Seit Jahr­zehnten kämpft die Bevöl­ke­rung im Iran für eine Revo­lu­tion und damit für ihre lang ersehnte Frei­heit. Der Einfluss des Irans welt­weit und speziell auf die Lage in Nahost ist jedoch signi­fi­kant. West­liche Länder, darunter auch Deutsch­land, sind an den Akti­vi­täten des Mullah-Regimes nicht unbe­tei­ligt.
Wie unbe­re­chenbar das isla­mi­sche Regime im Iran ist, predigten Aktivist*innen und Widerstandskämpfer*innen schon vor dem massiven Angriff des Regimes auf Israel in der Nacht auf den 14. April. Mit dem Tod von Präsi­dent Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauber-Absturz am 19. Mai könnte sich in dem unter­drü­cke­ri­schen Staat etwas ändern. Die Hoff­nung auf ein Ende des isla­mi­schen Regimes ist jeden­falls groß. Doch wie wahr­schein­lich ist die vom Volk so sehn­lichst gewünschte Revo­lu­tion? Susanne Schröter, Profes­sorin der Johann Wolf­gang Goethe-Univer­sität Frank­furt am Main und Leiterin des Forschungs­zen­trum Globaler Islam, glaubt nicht, dass sich das Regime noch zehn oder 20 Jahre halte, da der Wider­stand im Volk immer größer werde. Wenn man sich auto­kra­ti­sche Regime oder Dikta­turen anschaut, die so an Zustim­mung verlieren inner­halb der Bevöl­ke­rung, dann ist es eigent­lich auch nur eine Frage der Zeit“, sagt Schröter.

Deut­scher Staats­bürger in Geisel­haft

Auch die deut­sche Akti­vistin Gazelle Shar­mahd, welche in Amerika lebt, ist sicher, dass eine Revo­lu­tion bevor­steht: Dieses Regime weiß, dass es am Ende ist. Es geht nur darum, wie lange es dauern wird und wie viele dafür sterben müssen.“ Ihr eigener Vater ist im Iran zum Tode verur­teilt worden. Er war Teil der Exil-Oppo­si­ti­ons­gruppe Tondar“, welche von der irani­schen Justiz beschul­digt wird, im Jahr 2008 einen Anschlag auf eine Moschee in Schiras verübt zu haben. Jamshid Shar­mahd soll demnach daran betei­ligt gewesen sein.

Vor über drei­ein­halb Jahren wurde er während einer Geschäfts­reise bei einem Zwischen­stopp in Dubai vom Regime entführt und im Iran ohne fairen Prozess inhaf­tiert. In Haft wurden ihm die Zähne ausge­schlagen und er leidet an Parkinson im fort­ge­schrit­tenen Stadium. Wie lange und ob der 69-Jährige noch lebt, weiß nur die irani­sche Führung.

Wenn Shar­mahd an den Iran denkt, spüre sie eine Mischung aus Schmerz und Stolz. Sie sei stolz darauf, dass Menschen trotz dem Leid, das ihnen und ihren Fami­lien zuge­fügt wird, immer weiter­kämpfen. Gleich­zeitig sei sie in Gedanken immer bei ihrem Vater: Es gibt keine Sekunde, in der ich nicht an ihn denke, keinen Morgen, an dem ich nicht aufwache und mich frage: Lebt er noch? Was fühlt er jetzt? Hat er Schmerzen? Hat er Angst? Tun sie im weh? Werde ich noch einmal mit ihm reden und ihm sagen können, wie sehr ich ihn liebe?“ Die letzte Kontakt­auf­nahme mit der Familie per Telefon ist nun schon einige Monate her. Solche Tele­fo­nate laufen natür­lich nicht frei, sondern unter genauer Über­wa­chung und Kontrolle ab.

Am 11. März berich­teten irani­sche Staats­me­dien, dass Jamshid Shar­mahd und die US-Regie­rung wegen angeb­li­cher Terror­pläne“ ange­klagt wurden und sie als Wieder­gut­ma­chung“ 2,478 Milli­arden Dollar zahlen sollen. Die Berichte bekräf­tigen zudem Jamshid Shar­mahds Todes­ur­teil. Mit einem drin­genden Appell rich­tete sich die Inter­na­tio­nale Gesell­schaft für Menschen­rechte daraufhin an die Regie­rungen der Verei­nigten Staaten und der Bundes­re­pu­blik und rief zum sofor­tigen Handeln auf. Eine Reak­tion blieb bislang aus.

West­liche Staaten – Mitfi­nan­zierer des Terrors?

Dass die west­li­chen Staaten am Geschehen in Nahost und im Iran betei­ligt sind, ist kein Geheimnis. Deutsch­land verhan­delt weiterhin mit dem Iran über das Atom­ab­kommen (hier erfahrt ihr mehr dazu) und sei laut Schröter größte Handels­partner Tehe­rans in der EU . Zwar wurden zum Start der Protest­be­we­gung nach dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 Sank­tionen gegen den Iran erlassen, diese seien jedoch kein wirk­volles Mittel, da sie nach Einschät­zungen von Schröter weder durch­ge­halten werden, noch wirk­lich etwas bewirken können.

Die Mitglied­schaft im BRICS-Verbund bietet dem Iran verschie­dene Wege, sich gegen die Auswir­kungen west­li­cher Sank­tionen zu schützen oder diese zu mildern, wie durch die Diver­si­fi­zie­rung seiner wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Bezie­hungen. Auch mit dem Einfluss irani­scher Lobby­or­ga­ni­sa­tionen auf die deut­sche Politik ließe sich die starke Untä­tig­keit der Deut­schen Politik erklären, so Schröter. Die Dinge, die wir wirk­lich tun könnten, um die Oppo­si­tion zu stärken, werden im Moment nicht getan und das finde ich wirk­lich drama­tisch“, sagt die Profes­sorin.

Sie schlägt vor, die irani­sche Ober­schicht, welche im Regime Macht ausübt, daran zu hindern, an west­li­chen Univer­si­täten zu studieren. Im russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukraine wurde diese Maßnahme bereits ergriffen. Des Weiteren müssen die feder­füh­renden Revo­lu­ti­ons­garden“, welche die stärkste Macht­basis des Regimes darstellen, auf die Terror­liste gesetzt werden, fordert Schröter. Während andere Staaten dies schon längst getan hätten, halte sich Deutsch­land eher zurück. Auch müsse über die Schlie­ßung des isla­mi­schen Zentrums in Hamburg – der Euro­pa­zen­trale der Mullahs – nach­ge­dacht werden, sagt Schröter.

Das Geisel-Problem“

Deutsch­land müsse eine klare Haltung zu Geisel­nahmen beziehen, fordert Shar­mahd. Deut­li­cher kann eine Geisel­nahme nicht sein und trotzdem wird nicht von einer Geisel gespro­chen“, sagt sie und spricht von ihrem Vater, welcher über zwei Staats­grenzen hinweg verschleppt worden ist. Für den Umgang mit Geisel­nahmen gibt es bislang keinen wirk­samen Lösungs­an­satz. West­liche Staaten machen sich erpressbar, wenn sie dem Druck des isla­mi­schen Regimes nach­geben und Gefan­ge­nen­aus­tau­schen oder anderen Verein­ba­rungen zustimmen.

Shar­mahd sagt, dass es endlich eine inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion brauche, um das Geisel-Problem“ angehen zu können. Daher kämpft sie für die Einfüh­rung einer global task force for hostage taking“. Diese soll zu einer länder­über­grei­fenden Bewäl­ti­gung des Problems führen und so mit verschie­denen Mitteln Druck auf den Iran ausüben.

Mut und Stärke

Schröter zufolge sei es nicht der Westen, der das isla­mi­sche Regime um seinen Macht­er­halt bangen ließe. Viel größer sei die Bedro­hung, sollte der Konflikt mit Israel weiter außer Kontrolle geraten und der inner­staat­liche Wider­stand steigen. Dem stimmt auch Shar­mahd zu. Es sei die Kraft des Volkes und der Aktivist*innen inner­halb und außer­halb des Iran, vor dem sich die Führung fürchte. Das Volk hat nichts zu verlieren. Die haben keine Angst zu sterben!“

Shar­mahd ist sich sicher, dass das Regime alles versuche, die Aufmerk­sam­keit weg von Protest und Wider­stand inner­halb ihres eigenen Volkes zu lenken. Daher sollten west­liche Medien umso genauer hinschauen, wenn es um die Revo­lu­tion im Iran gehe. Und auch die Politik müsse immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, sich diesen Problemen anzu­nehmen, sagt Schröter. Da sind Menschen, die werden gefangen genommen, werden gefol­tert, werden hinge­richtet, dass muss man sich immer wieder ins Bewusst­sein rufen“, appel­liert sie.

Ein wich­tiges Signal setzte vor wenigen Wochen die UN-Unter­su­chungs­kom­mis­sion zur Lage im Iran. Diese beschul­digt die irani­sche Regie­rung, bei der Unter­drü­ckung der Proteste Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit begangen zu haben. Der Bericht wurde während der 55. Sitzung des Menschen­rechts­rates in Genf vorge­stellt und stützt sich auf über 300 Seiten, hundert Zeugen­aus­sagen und zahl­reiche Doku­mente. Hier erfahrt ihr mehr dazu.

Iran als Strip­pen­zieher in Nahost?

Bei den Protesten im Iran spielt der Kampf um die Rechte der Frauen die zentrale Rolle. Der Wider­stand richtet sich jedoch auch gegen die Inves­ti­tion der Staats­gelder. Statt der schlechten Wirt­schafts­lage entgegen zu wirken, fließen die Gelder in die massive Aufrüs­tung der irani­schen Milizen und die finan­zi­elle und mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung verschie­dener Terror­or­ga­ni­sa­tionen, wie die Hisbollah, Hamas oder den Paläs­ti­nen­si­schen Isla­mi­schen Dschihad. Diese Proxy-Gruppen, deren Staats­ziele die Auslö­schung Israels“ und die Wieder­erobe­rung Jeru­sa­lems“ sind, unter­stützt der Iran mit Finanzen, Aufklä­rungs­daten, Waffen und Trai­ning. Hier erfahrt ihr mehr dazu.

Der direkte Angriff des Regimes auf Israel am 13. April folgte auf einen mutmaß­lich israe­li­schen Angriff am 2. April auf die irani­schen Botschaft in Syrien, bei der zwei irani­sche Gene­räle starben. Während die irani­schen Staats­me­dien daraufhin Propa­gan­da­vi­deos von feiernden Iraner*innen veröf­fent­lichten, sieht die Realität anders aus.

Der Groß­teil der irani­schen Bevöl­ke­rung spricht sich klar gegen den Angriff und die Feind­schaft des Iran gegen­über Israel aus. Schon nach dem Terror­an­griff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, habe die Oppo­si­tion inner­halb der sozialen Netz­werke stark gegen die Invol­viert­heit im Nahost­kon­flikt mobil gemacht und als Demons­tra­tion ihrer Gegner­schaft die israe­li­sche Flagge einge­setzt, erklärte Profes­sorin Schröter. Wie sich die Lage entwi­ckeln wird, hängt auch von der Reak­tion des Irans auf den mutmaß­li­chen Vergel­tungs­schlag Israels am 19. April ab.

Eine Revo­lu­tion könnte Vieles bewirken. Das geopo­li­ti­sche und mili­tä­ri­sche Agieren des Iran hat wahn­sin­nige Auswir­kungen auf die Welt­wirt­schaft und auf die Situa­tion in der gesamten Nahost-Region“, sagt Profes­sorin Schröter. Im Mitt­leren Osten wäre Frieden tatsäch­lich möglich.“ Solch eine Revo­lu­tion würde inter­na­tional viele Probleme lösen und an aller­erster Stelle natür­lich den Iraner*innen ihre lang ersehnte Frei­heit geben.


Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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