In zwei Tagen vom Kabi­netts- zum Katzen­tisch

Datum
28. September 2021
Autor*in
Lucie Keller
Themen
#BTW21 #Politik
Gregor Gysi am Rednerpult bei der Kundgebung der Partei "Die Linke" am Neptunbrunnen.

Gregor Gysi am Rednerpult bei der Kundgebung der Partei "Die Linke" am Neptunbrunnen.

Jugendpresse Deutschland e. V./Christopher Folz

Inner­halb von 48 Stunden wird die Aussicht der Linken auf eine Regie­rungs­be­tei­li­gung im Keim erstickt. Lucie Keller über Euphorie und Enttäu­schung, Hoffen und Hadern am Wahl­wo­chen­ende. 

Die Bühne der Partei "Die Linke" bei deren Kundgebung am Neptunbrunnen. Auf der Bühne steht die Parteivorsitzende Janine Wissler, im Vordergrund stehen einige Menschen die ihr zuhören.

Es geht um Alles oder Nichts. Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler vergangenen Freitag beim Wahlkampfabschluss in Berlin. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Kurz vor 18 Uhr auf der Wahl­party der Linken im Fest­saal in Berlin-Kreuz­berg. Die Loca­tion ist ausge­leuchtet in rotem Licht, zwischen Indus­triecharme und Grün-Oase, riecht nach Pommes, Popcorn und Ziga­retten. Auf den Bild­schirmen, die gleich die ersten Hoch­rech­nungen zeigen sollen, läuft eine Diashow der Linken-Spit­zen­köpfe aus dem Wahl­kampf. Noch ist es ein biss­chen wie auf einer Hoch­zeit. Die Stim­mung jedoch ist nur trüge­risch gut“, sagt Lucas Fiola, der das letzte halbe Jahr als Prak­ti­kant in der Linken Geschäfts­stelle verbracht hat. Alle wissen, wie knapp es ist“.

Als der pinke Fünf-Prozent Balken der Links­partei in der 18-Uhr-Prognose auftaucht, bleibt es ruhig. Kein Applaus wie etwa bei SPD und Grünen. Den gibt es auch nicht als Dietmar Bartsch anschlie­ßend den enga­gier­testen Wahl­kampf aller Zeiten“ oder die leiden­schaft­li­chen Partei­vor­sit­zenden“ lobt – an beidem habe das schlechte Ergebnis natür­lich nicht gelegen, ganz sicher nicht, das wird man in den nächsten Stunden noch oft beteuern. 

Was die Hoff­nung war

Es ist ein tiefer Fall, vergli­chen mit der Lage der Partei zwei Tage zuvor. Frei­tag­abend am Alex­an­der­platz in Berlin. Auf dem Wahl­kampf­ab­schluss geht es leiden­schaft­lich zu. Das Auftreten ist geschlossen, kämp­fe­risch, regie­rungs­willig. Als mögli­cher Koali­ti­ons­partner im Gespräch hatte sich die Partei so weit vorge­wagt wie möglich, ohne eigene Grund­po­si­tionen zu verraten. Das am 6. September veröf­fent­liche 10-Punkte-Sofort­pro­gramm lag für mögliche Sondie­rungs­ge­spräche als Angebot auf dem Tisch, die zuvor kontro­vers disku­tierte Außen- und Sicher­heits­po­litik der Partei kam hier absicht­lich nicht vor. Die Direkt­kan­di­datin im Wahl­kreis Berlin Mahr­zahn-Hellers­dorf Petra Pau ruft von der Bühne Rich­tung Fern­seh­turm, dass die Linken die Kräf­te­ver­hält­nisse in diesem Land zum Tanzen bringen“. Ein Bild wie David gegen Goliath und die etwa 500 Gäste sind sich einig: Wenn wir alle nur fest genug daran glauben, dann reicht es für R2G und die Linke kann das erste Mal Regie­rungs­ver­ant­wor­tung über­nehmen. 

Die Kräf­te­ver­hält­nisse tanzen nicht nach links

Zurück zu Sonn­tag­abend. Himmel und Stim­mung werden duster. Laut Hoch­rech­nungen gibt es keine Mehr­heiten für rot-grün-rot. Die Linke hat weder eine gesi­cherte Frak­ti­ons­stärke, noch sicher ausge­zählte Direkt­man­date. Nun heißt es wahl­weise Zittern, Bangen oder Hoffen – es kann ein langer Abend werden. 

In dieser Lage erklärt Partei­vor­sit­zende Susanne Hennig-Wellsow um 18:35 Uhr vor den Kameras der ARD im Fest­saal-Kreuz­berg, dass die Linken, sollte es reichen, auch ange­sichts ihrer Verluste für mögliche Koali­ti­ons­ge­spräche bereit stünden. Der Spit­zen­kan­didat Dietmar Bartsch sagt nur 20 Minuten später genau das Gegen­teil: Unser Platz im Deut­schen Bundestag wird jetzt die Oppo­si­tion sein.“ Die Zahlen jeden­falls haben sich in der Zwischen­zeit nicht verän­dert, aber viel­leicht hat es intern neue Abspra­chen gegeben. Nach außen ergibt sich ein für die Linken sympto­ma­ti­sches Bild. Die im Wahl­kampf-Endspurt präsen­tierte Einig­keit hält keine Stunde bis nach Schließen der Wahl­lo­kale.

Wenn’s nicht so traurig wäre… 

Das grüne Außengelände der Wahlparty der Partei "Die Linke". Im Vorder- und Hintergrund unterhalten sich Menschen.

Die Location der Linken-Wahlparty. Während drinnen dicke Luft herrscht, findet man hier Zuflucht und Insta-Kulisse. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Je später der Abend wird, desto enttäuschter werden die Gesichter. Petra Pau, die am Freitag noch kraft­voll von der Bühne sprach, verliert ihr Direkt­mandat an die CDU. Auch die Hoff­nung, dass mit mehr ausge­zählten Stimmen der Briefwähler*innen die Stimm­an­teile der Partei wachsen, zerschlägt sich. Die Moderator*innen der Wahl­party Björn Harras und Anika Tasch kündigen an: Wir machen jetzt eine Wein-Pause.“ Und liefern den nahe­lie­genden Witz direkt selbst nach: Also zum Trinken nicht zum Weinen, na gut beides hilft.“ Tatsäch­lich sind immer wieder Menschen zu sehen, die glasige Augen haben – die einen voller Tränen, andere vom Ins-Leere-Starren. Selbst Gregor Gysi kommt gegen die eigene Enttäu­schung nicht an: Ich bin genauso traurig wir ihr.“

Gysi rettet (nichts)

Am Freitag wollte Gregor Gysi der GroKo noch helfen, ihre sexuell-eroti­sche Bezie­hung zur Schwarzen Null“ zu über­winden. Er könne da aus eigener Erfah­rung spre­chen, dass das die Momente seien, in denen Verstand und Logik aussetzten. Jetzt bleiben nur Phrasen – etwa selbst­kri­tisch über die Zukunft nach­denken“. Im Gegen­satz zu Pau konnte Gysi wenigs­tens seinen Wahl­kreis vertei­digen und ist damit einer der drei Direkt­man­date, dank derer die Linke Mandate entspre­chend ihres Ergeb­nisses von 4,9 Prozent erhält.

Speku­la­ti­ons­spi­ralen 

Spit­zen­kan­didat Dietmar Bartsch landet in seinem Wahl­kreis nur auf dem zweiten Platz und verpasst damit sein Direkt­mandat. Auf der Wahl­party bedient er sich ausge­rechnet an der wohl inzwi­schen leersten aller Politik-Flos­keln der letzten Jahre: Es kann kein Weiter-So geben.“ 

Aber was genau ist dieses Weiter-So“ und wo liegt das Problem? Dazu finden sich am Abend verschie­dene Sicht­weisen. Die Rote-Socken-Kampagne hat wahl­weise geschadet oder als Gegen­wind geholfen. Geschadet, sagen die einen. Die anderen sagen: Der Gegen­wind habe geholfen. Sympathieträger*innen und Urge­steine wie Gesine Lötsch oder Gregor Gysi sind je nach Gesprächspartner*in unver­zichtbar – oder die Partei braucht drin­gend neue Gesichter. Genauso beim Thema Osten, der für manche über­be­tont, für andere unter­be­setzt wurde. 

Einig sind sich alle darin, dass der Rich­tungs­streit inner­halb der Partei geklärt werden müsse. Die Diskus­sionen der Partei im Vorfeld seien besser nicht geführt worden“, so Partei-Geschäfts­führer Jörg Schindler. Ein Wink mit dem ganzen Zaun in Rich­tung Sahra Wagen­knecht. Ob die von ihr verschmähten Life­style-Linken“ verloren gegangen sind? Ja, meinen die einen. Nein, viele Linken-Wähler*innen hätten dieses Mal taktisch die SPD gewählt, um Armin Laschet und die CDU zu verhin­dern, sagen andere. 

Die Eini­gung der Partei beginnt jeden­falls nicht mehr im Fest­saal. Die Veran­stal­tung leert sich schnell – aus den Boxen schallt Hurra, diese Welt geht unter“. Inzwi­schen zeichnet sich ab, dass die Linke drei Direkt­man­date holt und ihr damit entspre­chende Zweit­stimmen-Mandate zuge­spro­chen werden. Dennoch versucht niemand mehr, das Ergebnis schön zu reden. Wozu auch? Manchmal muss es erst schlechter werden, bevor es wieder besser wird. In der Linken hoffen Sie, den Tief­punkt bald erreicht zu haben.


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