Homo­se­xua­lität und Reli­gion – ein Annä­he­rungs­ver­such

Datum
22. Juli 2020
Autor*in
Larissa
Themen
#spurensuchemenschlichkeit 2020 #Leben
Jonas Jödicke

Jonas Jödicke

Foto: Jonas Jödicke

Kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex vor der Ehe und keine gleich­ge­schlecht­liche Liebe: poli­ti­ko­range-Redak­teurin Larissa ist Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ und sympa­thi­siert mit der LGBTQ*-Community. Sie hat sich lange die Frage gestellt, inwie­fern sie ihren Glauben mit ihrer gesell­schafts­po­li­ti­schen Einstel­lung verein­baren kann und möchte dieser Frage auf den Grund gehen. 

Jonas Jödicke

Foto: Grand Chandra

Blonde Haare, schwarzer Pull­over – mir gegen­über sitzt ein junger Mann mit schlanken Gesichts­zügen und einem leichten Lächeln auf den Lippen. Hinter ihm eine weiße Wand. Nichts deutet darauf hin, dass er eigent­lich den ganzen Tag mit Farben zu tun hat. Jonas ist Künstler, seine Bilder sind auf T‑Shirts, Puzzlen und Postern zu finden.

Der Plan der Erlö­sung setzt die Ehe zwischen Mann und Frau voraus

Früher drehten sich seine Bilder oft um das Thema Frei­heit, das ist inzwi­schen anders. 24 Jahre lang hat er seine Homo­se­xua­lität versteckt gehalten, bis er letztes Jahr zum ersten Mal offen darüber sprach, dass er Männer liebt. Und das in einem Umfeld, in dem Homo­se­xua­lität als Sünde gilt.

Die Kirche Jesu Christi zählt zu den Frei­kir­chen, sie ist protes­tan­tisch und von den Landes­kir­chen unab­hängig. Nach eigenen Angaben zählt sie welt­weit mehr als 17 Millionen Mitglieder. Kern der Lehre ist der Plan der Erlö­sung, der besagt, dass das irdi­sche Dasein dazu dient, errettet zu werden. Voll­kommen erlöst würde man jedoch nur, wenn man als Mann und Frau, im Bund der Ehe in den Himmel eingehe.

Same-sex-attrac­tion“ statt homo­se­xuell

In der Kirche Jesu Christi wird Homo­se­xua­lität als Neigung verstanden, bei der es darauf ankommt, ob man ihr nach­ginge oder nicht. Wir spre­chen nicht so gerne von Homo­se­xua­lität, sondern eher von same-sex-attrac­tion“, so Matthias Leben. Auch er ist seit seiner Geburt in der Kirche und war früher Kinder­arzt. Heute ist er in Rente und Bischof meiner Heimat­ge­meinde. Ich habe ihn reprä­sen­tativ zum Thema Homo­se­xua­lität befragt. Ihm ist es wichtig, dass niemand aufgrund seiner sexu­ellen Neigung“ in der Kirche diskri­mi­niert wird. Auch deswegen ist er für andere Begriff­lich­keiten: Aus seiner Sicht ist Homo­se­xua­lität eine Eigen­schaft, bei deren Beto­nung andere Eigen­schaften hinten ange­stellt würden. Dabei sei es nicht wichtig zu wissen, welche Neigung ein Mensch habe, sondern nur, dass er ein Kind Gottes“ sei. Denn Gott werde eine Lösung für alles haben. Deshalb rät die Kirche den Mitglie­dern, weiter an den Grund­sätzen ihres Glau­bens fest­zu­halten, die Gebote zu halten und ihre Homo­se­xua­lität nicht auszu­leben. Dann würden auch sie erlöst.

Kein rich­tiger Mann?

Auch Jonas hat daran geglaubt, dass seine Gefühle gegen­über dem glei­chen Geschlecht vom Teufel seien, der ihn versucht“ und dass er sich nur genug anstrengen müsse, um sie nicht zu haben. Er wirkt etwas aufge­bracht, als er davon erzählt, wie schlecht er sich damals gefühlt hat. Seine Hände gesti­ku­lieren wilder als zuvor.

Er ist genauso wie seine Geschwister in die Kirche hinein­ge­boren und mit den Lehren des Evan­ge­liums aufge­wachsen – und somit auch mit den stereo­ty­pi­schen Vorstel­lungen von Mann und Frau. Schon früh hat er jedoch gemerkt, dass irgend­etwas anders war. Bereits im Klein­kind­alter orien­tierten sich seine Inter­essen nicht vornehm­lich an den typi­schen Jung­ssa­chen“ wie z.B. Fußball spielen. Er hatte schon immer lieber gemalt und Musik gemacht. Sein Blick schweift ab, als er sich erin­nert, wie er mit elf Jahren zum ersten Mal Gefühle für einen Jungen hatte. Ein paar Jahre später sei ihm dann richtig klar geworden, dass er Jungs attrak­tiver fand als Mädchen. Er gerät ein paar Mal ins Stocken, als er mir davon erzählt, dass er seine Gefühle damals nicht wahr­haben wollte und immer versucht hat, sie zu igno­rieren. Ich hatte Angst, dass man mich für meine Homo­se­xua­lität nicht akzep­tieren würde.“

Homo­se­xua­lität als Sünde und doch kein Grund zur Diskri­mi­nie­rung?

Alle Leute, die es als Sünde bezeichnen, haben meist nicht die Idee, dass das diskri­mi­nie­rend sei. Aber wir haben da den kompletten Wider­spruch: Lesben und Schwule sollen bitte nicht diskri­mi­niert werden, aber eigent­lich soll ihre Homo­se­xua­lität auch unter­bunden werden, weil‘s nicht okay ist. Das ist, als würde ich sagen, ich habe nichts gegen Reli­gion, aber bitte, beten muss jetzt nicht“, kommen­tiert Markus Ulrich, der Pres­se­spre­cher des Lesben-und Schwu­len­ver­bandes in Deutsch­land (LSVD). Trotzdem möchte sich Ulrich nicht der Born this way“-Argumentation anschließen. Die Frage, ob ich als Person die glei­chen Rechte habe wie alle anderen, kann ich nicht daran fest­ma­chen, ob etwas ange­boren ist oder nicht.“ Schließ­lich sei Reli­gion auch nicht ange­boren und trotzdem gäbe es Reli­gi­ons­frei­heit. Seiner Meinung nach müsse man erkennen, dass es beim Thema Homo­phobie immer um eine Auf-und Abwer­tung gehe. Im reli­giösen Kontext: Ich bin gott­ge­fällig und du halt nicht. Das ist ja schon eine Bestä­ti­gung und auch eine Hier­ar­chi­sie­rung, wo ich ganz oben stehe“.

Foto: Jonas Jödicke

Leben in zwei Welten

Jonas ist trotz seiner Gefühle auf Mission gegangen und hat für die Kirche in einem zwei­jäh­rigen Frei­wil­li­gen­dienst an Hilfs­pro­jekten teil­ge­nommen und Menschen vom Evan­ge­lium erzählt. Dabei hat er sie auch darüber belehrt, dass Liebe nur zwischen einem Mann und einer Frau exis­tieren könne. Er schüt­telt den Kopf. Es war natür­lich alles ziem­lich surreal und schon wie in zwei Welten zu leben“. Auch nach seiner Mission hat er mit niemandem über seine Homo­se­xua­lität gespro­chen. Er lacht bei dem Gedanken daran, wie er versucht hat, Mädchen zu daten. Er hat sich niemals mehr mit ihnen vorstellen können. Drei weitere Jahre habe er versucht, seine Gefühle wegzu­schieben und sich in die Kunst gestürzt. Kurz vor seinem Coming-Out entstand ein Tiger mit regen­bo­gen­far­benen Streifen.

Where Light and Dark Meet_Digital Art von Jonas Jödicke

Where Light and Dark Meet, Digital Art von Jonas Jödicke

Es sieht so aus, als würde er aus der Dunkel­heit hervor­kommen und als hätte mein Unter­be­wusst­sein mir schon damals gesagt: Sei dein wahres Ich und lass das leuchten, was in dir steckt.“

Sex ausschließ­lich als Mittel zur Fort­pflan­zung?

In der Kirche gilt das Gesetz der Keusch­heit, das Sex vor der Ehe unter­sagt. Da gleich­ge­schlecht­liche Ehen nicht möglich sind, werden homo­se­xu­elle Menschen zu lebens­langer Enthalt­sam­keit ange­halten. Bischof Leben erklärt jedoch, dass sexu­elle Enthalt­sam­keit genauso von Allein­ste­henden oder verwit­weten Mitglie­dern erwartet wird. Die Fort­pflan­zungs­kraft sei gött­lich und sollte deshalb nur im Bund der Ehe voll­zogen werden. Markus Ulrich vom LSVD sieht das kritisch: Die reli­giöse Vorstel­lung von Sexua­lität wird oft auf Fort­pflan­zung verkürzt, dabei hätte das auch drama­ti­sche Einschrän­kungen für hete­ro­se­xu­elle Menschen. Niemand hat nur drei Mal im Leben Sex, nur um Kinder zu bekommen.“

Nichts­des­to­trotz haben es homo­se­xu­elle Menschen noch immer nicht leicht, wenn sie ihre Gefühle öffent­lich machen. Dabei ist hete­ro­se­xu­ellen Menschen meist gar nicht bewusst, wie oft sie sich im Alltag outen würden. Die Sexua­lität ist für sie eine banale Sache, die im Small­talk schnell gegeben wird, wenn man z.B. als Frau davon erzählt, dass man mit dem Freund in den Urlaub fährt. Einfach weil uns Part­ner­schaft, Familie und Bezie­hung unser Leben lang begleiten“, so Ulrich.

Das Coming-Out

Deshalb hat auch Jonas nicht mehr schweigen können. Der Druck habe irgend­wann so schwer auf ihm gelastet, dass er sich nieder­ge­kniet und gebetet hat. Er scheint sehr bewegt, als er von einem Besuch seiner Familie erzählt, seine Schwester und seine Mutter seien da gewesen. Ich dachte nur, jetzt ist der Moment, nach dem du gefragt hast. Wenn du es jetzt nicht erzählst, wird dich das irgend­wann kaputt machen.“ Die Situa­tion sei sehr emotional gewesen, alle hätten geweint. Trotzdem betont er mehr­mals, wie gut alle reagiert hätten – nicht nur seine Familie auch seine Freunde und die Gemeinde hätten Verständnis gezeigt. Natür­lich sei es für alle ein Schock gewesen, weil niemand jemals etwas von seiner Homo­se­xua­lität geahnt hatte, aber Jonas betont: Jeder versi­cherte mir, dass das über­haupt nichts daran ändere, wie sie mich betrachten und dass sie mich immer noch genauso lieb haben wie vorher.“ Sein Bischof habe bekräf­tigt, dass es in der Kirche immer einen Platz für ihn gäbe.

Männer gedatet hat Jonas dann zum ersten Mal übers Internet. Das war super­span­nend, aber auch super­gru­selig. Ich hatte super­viele Vorur­teile gegen­über der LGBTQ*-Community und dachte, dort sei alles nur ober­fläch­lich und auf physi­sche Sachen begrenzt.“ Das dem nicht so war, habe er früh gemerkt. Seinen Freund hat er über Tinder kennen­ge­lernt und nicht nur seine Familie, auch die Gemeinde hatte ihn herz­lich empfangen.

Vergan­gene Zeiten, neue Ideen

Wir haben einen Maßstab in der Kirche und das ist bedau­er­lich für Menschen, die sich als homo­se­xuell betrachten und sich dadurch von einem wich­tigen Teil des Lebens ausge­schlossen fühlen. Umso wich­tiger ist es, dass sie wissen, dass sie Kinder Gottes sind und von ihren Mitmen­schen geachtet werden.“ Auch Bischof Leben unter­streicht deut­lich, wie schlimm es sei, wenn jemand aufgrund seiner sexu­ellen Neigung“ vorver­ur­teilt würde.

Die Kirche hat sich in vielerlei Punkten von vergan­genen Aussagen distan­ziert. Während vor einem Jahr­zehnt noch der Teufel, der Abfall vom Glauben oder sogar psychi­sche Krank­heiten als Grund genannt wurden, hat die Kirche inzwi­schen keine Posi­tion mehr zur Herkunft von gleich­ge­schlecht­li­cher Liebe. In den neuesten Stel­lung­nahmen zum Thema Homo­se­xua­lität verweisen die Kirchenführer*innen auf die Wissen­schaft und heben deut­lich hervor, dass sie deshalb auch keine Angaben zu mögli­chen Thera­pie­formen von Homo­se­xua­lität, soge­nannten Konver­si­ons­the­ra­pien, machen können. Dabei stellen sie auch klar, wie falsch der thera­peu­ti­sche Umgang mit Homo­se­xua­lität gewesen sei.

Spiri­tuell, aber nicht mehr reli­giös

Für Jonas ist die Kirche Jesu Christi im stetigen Wandel und er freut sich, dass sie zu vielen Dingen ihre Meinung geän­dert hat. Und auch wenn er inzwi­schen aus der Kirche ausge­treten ist, geht er immer noch gern in die Gemeinde, um die Mitglieder wieder­zu­sehen. Ich glaube, dass die Menschen zum großen Teil wirk­lich ihr Bestes geben, aber dass es in der Theo­logie einige Sachen gibt, die meines Erach­tens nach nicht stimmen und das kann ich dann einfach nicht unter­stützen.“ Trotzdem sieht er sich immer noch als sehr spiri­tu­ellen Menschen an und versucht sich nun in jede Rich­tung weiter­zu­bilden. Neben dem christ­li­chen Glauben befasse er sich nun auch mit östli­chen Reli­gionen oder auch New-Age-Bewe­gungen. Ich versuche, nur nach guten Prin­zipen zu leben, und ich denke, dass man diese in nahezu allen Reli­gionen und spiri­tu­ellen Tradi­tionen findet.“


Empfohlene Beiträge