Gesehen und gehört werden – Ist der Bundestag nun diverser?

Datum
28. September 2021
Autor*in
Eclaire Luzolo Luanzambi
Themen
#BTW21 #Politik
Lu Yen Rollof sitzt vor dem Bundestag.

Lu Yen Rollof sitzt vor dem Bundestag.

Jugendpresse Deutschland e. V./Christopher Folz

Brand New Bundestag“ möchte mehr Diver­sität in den Bundestag bringen. Eclaire Luzolo Luanz­ambi hat mit Initiator*innen und Geför­derten gespro­chen.

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Lu Yen Roloff ist überzeugt: Diversität ist notwendig und muss jeden repräsentieren. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Deutsch­land ist bunt, Deutsch­land ist viel­fältig. Deutsch­land ist schwarz, weiß, musli­misch und queer. In Deutsch­land leben Menschen mit Behin­de­rung und solche ohne. In Deutsch­land hat nicht jede*r Abitur oder einen Hoch­schul­ab­schluss. Diese Viel­falt findet sich im Bundestag aber kaum wieder. Ganz im Gegen­teil: Die Biogra­fien der Bundes­tags­ab­ge­ord­neten sind sich sehr ähnlich“, so Julia Schulte-Cloos. Die Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin des Geschwister-Scholl-Insti­tuts in München hat den Anteil an Bundes­tags­kan­di­die­renden mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund analy­siert. Während 2005 nur vier Prozent der Kandi­die­renden einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund hatten, sind es mitt­ler­weile schon 9,2 Prozent“, erklärt sie. Das sei zwar eine Verbes­se­rung, aber würde nicht ausrei­chen. Wenn das Ziel eine reprä­sen­ta­tive Demo­kratie ist, dann müsste ein Viertel des Bundes­tages aus Personen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund bestehen“, betont die Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin. Diver­sität sei der Schlüssel für eine erfolg­reiche Demo­kratie. Diese Diver­sität möchte die Initia­tive Brand New Bundestag“ errei­chen.

Brand New Bundestag: eine Initia­tive für mehr Diver­sität im Parla­ment

Ein Portrait von Maja Bisanz.

Maja Bisanz engagiert sich seit Anfang des Jahres für den "Brand New Bundestag”. Foto: privat

Die Initia­tive Brand New Bundestag“ (BNB) hat sich ein diver­seres Parla­ment zum Ziel gesetzt – und war erfolg­reich. Drei Kandidat*innen, die von der Orga­ni­sa­tion unter­stützt werden, haben es in den Bundestag geschafft: Rasha Nasr (SPD), Armand Zorn (SPD) und Kassem Taher Saleh (Die Grünen). Für Maja Bisanz, Spre­cherin des BNBs, ein Grund zum Feiern: Wir könnten nicht glück­li­cher sein. Das war unsere erste Wahl und gleich drei Kandi­die­rende in den Bundestag zu holen, das ist einfach toll.“ Gegründet wurde die Orga­ni­sa­tion vor zwei Jahren von Eva-Maria Thun­hofer, Alisa Wieland, Maxi­mi­lian Oehl und Daniel Veld­ohen. Brand New Bundestag“ unter­stützt junge Politiker*innen, die eine beson­dere Biografie haben, bei ihrem Wahl­kampf. Die Unter­stüt­zung erfolgt partei­un­ab­hängig und hat seine Inspi­ra­tion aus der US-Ameri­ka­ni­schen Orga­ni­sa­tion Brand New Congress“. Die Kongress­ab­ge­ord­nete Alex­an­dria Ocasio-Cortez hatte es 2019 mit Hilfe der Orga­ni­sa­tion in den Kongress der Verei­nigten Staaten geschafft. Viele unserer Kandi­die­renden sehen sie deshalb auch als Vorbild“, erklärt Bisanz.

Genau wie das ameri­ka­ni­sche Vorbild unter­stützt der BNB seine Kandi­die­renden unter anderem finan­ziell: Wir hatten eine Crowd­fun­ding-Kampagne, bei der fast 25.000 Euro zusam­men­ge­kommen sind“, erklärt Bisanz. Das Geld sei dann gleich­mäßig an die Kandi­die­renden für ihre Wahl­kam­pa­gnen aufge­teilt worden. Zudem orga­ni­siere und vermittle der BNB regel­mäßig Veran­stal­tungen, bei denen die Unter­stützten die Möglich­keit haben, Reden zu halten. Auch über die Sozialen Medien wirbt der BNB für die Kandi­die­renden. Außerdem gibt es immer wieder Weiter­bil­dungs­an­ge­bote wie Rhetorik-Übungen“, erklärt Bisanz. Der BNB unter­stützt aber nicht nur, sondern stellt auch eigene poli­ti­sche Forde­rungen: Unter anderem die Einhal­tung des 1,5‑Grad-Ziels, eine faire Vertei­lung der Klima­kosten, eine schnelle Verkehrs­wende und eine rege­ne­ra­tive Land­wirt­schaft. Die Kandi­die­renden, die vom Brand New Bundestag“ unter­stützt werden, wurden im Vorfeld von einer Jury des BNBs ausge­wählt. Eine der vielen Geför­derten ist Lu Yen Roloff.

Das macht reprä­sen­ta­tive Demo­kratie aus“

Die partei­lose Kandi­datin tritt für den 61. Wahl­kreis in Potsdam an. Ich war mir schon sicher, dass ich für den Bundestag kandi­dieren möchte, bevor ich mich beim BNB beworben hatte“, erzählt die ehema­lige Extinc­tion-Rebel­lion-Akti­vistin. Ihr sei es vor allem wichtig, dieje­nigen zu reprä­sen­tieren, die sich für die Bekämp­fung der Klima­krise einsetzen. Das macht reprä­sen­ta­tive Demo­kratie aus“, erklärt Roloff. Man müsse im Parla­ment Abge­ord­nete haben, die unter­schied­liche Inter­es­sen­gruppen vertreten. Wenn das Parla­ment weiterhin über­wie­gend aus weißen, alten Männern besteht, dann werden andere Gruppen, vor allem Minder­heiten, in Deutsch­land zwangs­läufig vergessen“, so Maja Bisanz. Es sei natür­lich möglich, sich in verschie­dene Themen einzu­lesen. Aber das sei kein Vergleich zu Personen, die beispiels­weise eine Behin­de­rung haben und dadurch in allen Berei­chen ihres Alltags mit dem Thema konfron­tiert werden. Wenn man nicht selbst betroffen ist, vergisst man schnell, welche Probleme andere Menschen haben“, glaubt Bisanz. Den Einzug in den Bundestag verpasste die Idea­listin am Sonntag aller­dings – in ihrem Pots­damer Wahl­kreis unterlag sie erwar­tungs­gemäß SPD-Zugpferd Olaf Scholz.

Diver­sität ist nur möglich, wenn Personen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund geför­dert werden“

Die Analyse von Julia Schulte-Cloos lege nahe, dass Diver­sität nicht möglich ist, wenn Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Politik nicht geför­dert oder ermu­tigt werden. Damit Menschen mit Einwan­de­rungs­ge­schichte geför­dert werden, brau­chen sie beispiels­weise gute Listen­plätze in ihren Parteien“, erklärt die Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin. Oft würden hier schon die ersten Probleme auftreten, beispiels­weise durch Diskri­mi­nie­rung bei den Listen­plätzen. Damit sich das ändert, brau­chen wir eine Will­kom­mens­kultur in deut­schen Parteien“, so der Poli­tik­wis­sen­schaftler Dr. Benjamin Höhne.

Wie divers der Deut­sche Bundestag also in Zukunft wird, hängt von der Bevöl­ke­rung selbst ab. Wird Deutsch­land in Zukunft offener für Abge­ord­nete mit unter­schied­li­chen Biogra­fien, unter­schied­li­chen Haut­farben und unter­schied­li­chen Reli­gionen? Brand New Bundestag“ konnte bei dieser Wahl jeden­falls einen kleinen Beitrag dazu leisten.


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